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Verlierer sind meist die Männer

Eine Studie zeigt, dass Kinder Scheidungen oft gut verkraften
Von Christian Thiel

Nein, eine Anhängerin von Ehescheidungen ist die US-Psychologin E. Mavis Hetherington nicht. "Jede Scheidung ist eine einmalige Tragödie, weil jede Scheidung das Ende einer einzigartigen Lebenskultur bedeutet, die aus Tausenden von geteilten Erfahrungen, Erinnerungen, Hoffnungen und Träumen besteht", urteilt die emeritierte Professorin an der Universität von Virginia in Charlottesville. Sie verfolgt seit mittlerweile 30 Jahren die Biografien von Scheidungskindern und vergleicht sie mit Kindern aus nicht-geschiedenen Familien. Daten von immerhin 1.400 Familien wurden von ihr erfasst. Mit Hilfe von stundenlangen Interviews und strukturierten Tagebüchern hat sie die weltweit größte Studie über die Folgen von Scheidungen durchgeführt.

Trotz der - anfänglichen - Tragödie sieht die Forscherin als hervorstechendstes Ergebnis, dass Kinder Scheidungen auf lange Sicht erheblich besser verkraften, als bisher angenommen wurde. Nur selten hinterlässt die elterliche Trennung bleibende Schäden. Kurzfristig ist eine Scheidung für Kinder aber fast immer eine schwere psychische Belastung, die auch zu Verhaltensauffälligkeiten wie gesteigerter Aggressivität, Reizbarkeit oder Ängstlichkeit führt. Dies gilt vor allem für die ersten beiden Jahre nach einer Trennung. Doch bereits nach sechs Jahren finden sich solche Auffälligkeiten nur noch bei jedem fünften Kind, bei Gleichaltrigen aus nicht-geschiedenen Familien bei jedem zehnten Kind.

Kinder als Scheidungsgewinner

Demgegenüber gibt es einen beträchtlichen Anteil von Kindern, die aus einer Scheidung auf lange Sicht als Gewinner hervorgehen. Sie werden ungewöhnlich belastungsfähig, reif, verantwortungsbewusst und zielstrebig - nicht trotz der Scheidung und den Herausforderungen, die sie mit sich bringt, sondern gerade deswegen. Darüber hinaus kann noch eine Gruppe profitieren: und zwar Kinder aus Familien mit hohem Konfliktpotenzial. Solche Kinder weisen auch schon vor der Trennung der Eltern klassische Scheidungssymptome wie Aggressivität, Trotz, Angst und einen Mangel an sozialer Verantwortung auf. Kinder aus derartig konfliktgeladenen Familien, die nach der Trennung in einer guten Atmosphäre mit einem unterstützenden Elternteil aufwachsen, sind nach Hetheringtons Überzeugung die eindeutigen Scheidungsgewinner. "Das lässt sich bereits zwei Jahre nach der Trennung feststellen."

Das zweite zentrale Ergebnis der Studie: Entscheidend für das Wohlergehen von Kindern nach einer Scheidung ist das Verhalten desjenigen Elternteils, bei dem sie leben. "Ein fürsorglicher, kompetenter Elternteil war der wirkungsvollste Schutz, den ein kleines Kind gegen die Stressbelastung nach der Scheidung haben konnte. Ein gereizter, gleichgültiger, strafender Elternteil dagegen führte in aller Regel zu großen Problemen für das Kind." Dabei spielt es nach Hetheringtons Untersuchung keine entscheidende Rolle, ob der Vater oder die Mutter die Elternfunktion übernimmt.

Doch bei allem Optimismus verweist Hetherington auch deutlich auf die großen Gefahren, die für Kinder mit einer Scheidung verbunden sein können. Sie liegen zum großen Teil nicht in der Tatsache begründet, dass die Eltern sich trennen, sondern im Wie der Scheidung. Die gleiche Überzeugung vertreten der Schweizer Kinderarzt Remo Largo und die Journalistin Monika Czernin: "Wenn es Kindern schlecht geht, ist nicht die Scheidung an sich schuld, sondern die unzureichende Befriedigung ihrer Bedürfnisse", stellen die Autoren in ihrem Buch "Glückliche Scheidungskinder" fest. Sie fordern die Verwandten und Freunde eines Paares auf, gerade in der schwierigen Zeit einer Trennung für die Eltern und die Kinder weiterhin als verlässliche Unterstützer vorhanden zu sein.

Unterstützung und Hilfe brauchen nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern. Die ersten beiden Jahren nach der Trennung sind auch für sie eine Krisenperiode, wie E. Mavis Hetherington in vielen Details nachweist. Ihre Studie untersucht nicht nur die Entwicklung der Kinder, sondern auch die Konsequenzen der Scheidung für die Eltern. In der Zeit danach sinkt die psychische Stabilität von Eltern enorm - und die Belastungen nehmen zu. Ein Erwachsener muss die Arbeit von zwei erledigen. Ausgelaugt und ausgepumpt, fällt ein Teil der Unterstützung für die Kinder weg, die Hilfe bei Hausaufgaben zum Beispiel.

Eine besonders große Gefahr besteht für Kinder in dieser Zeit in der so genannten "Parentifizierung". Der Begriff meint den Rollentausch zwischen Eltern und Kindern. In solchen Familien sind nicht mehr die Eltern für das Wohlergehen der Kinder zuständig, sondern die Kinder übernehmen die Rolle einer umsorgenden und für alle Probleme zuständigen Freundin bzw. eines Freundes. Diese Gefahr besteht vor allem bei Mutter-Tochter-Beziehungen. Manche Frauen beschrieben Hetherington ihre zehnjährigen Töchter wie beste Freundinnen oder Schwestern. Sie haben das Gefühl, ihnen alles erzählen zu können, auch persönliche Probleme, Ängste, Depressionen, Geldsorgen, Verabredungen mit Männern und Einsamkeitsgefühlen. "Doch Zehnjährige brauchen eher eine kompetente, fürsorgende Mutter als eine anstrengende mütterliche Freundin", stellt Hetherington klar.

Aus der Parentifizierung ergibt sich für die Kinder das schmerzliche Gefühl der Hilflosigkeit. Sie sind fortgesetzt mit Problemen konfrontiert, die sie nicht zu lösen vermögen. Das hat ab der Pubertät häufig Depressionen und ein geringes Selbstwertgefühl zur Folge.

Ein weiteres Problem, das aus Scheidungen resultiert: Nur ein Viertel der Eltern schafft es, nach der Trennung zum Wohle des Kindes in Erziehungsfragen zu kooperieren. Auch sechs Jahre nach der Trennung halten immer noch 20 bis 25 Prozent der Eltern an einer konflikthaften Co-Elternschaft fest. Sie machen sich gegenseitig schlecht, unterminieren die elterliche Beziehung des jeweils anderen zum Kind und streiten sich vor dem Kind. "Zwei sich streitende Eltern, die geschieden sind, sind für ein Kind noch schädlicher, als zwei sich streitende Eltern, die verheiratet sind. Ein solches elterliches Verhalten gefährdet die seelische Gesundheit der Kinder", stellt Hetherington unmissverständlich fest.

Darüber hinaus macht anhaltender Streit mit dem Ex-Partner auch die Eltern selbst unglücklich. Sie sind von ihrem Zorn und ihren Ressentiments gegen den anderen so besessen, dass es ihnen schwer fällt, den Blick auf ein neues, erfülltes Leben zu richten. Und genau hier liegt eine weitere Gefahr, die sich für Kinder ergibt. Denn unglückliche und durch die Scheidung überforderte Eltern sind häufig nicht in der Lage, ihren Kindern das nötige Maß an Verlässlichkeit und Stabilität zu geben.

Schwaches Immunsystem

Der Scheidungsstress der Eltern hat auch deutliche Auswirkungen auf das Immunsystem der Betroffenen: Männer wie Frauen sind nach einer Trennung anfälliger für Krankheiten und Unfälle. Arztbesuche sind bei Männern fast doppelt, bei Frauen sogar drei Mal so häufig wie in der Zeit davor. Bevorzugte Erkrankungen, die Hetherington fand, waren Erkältungen, Kopfschmerzen, Magenbeschwerden, Schlafstörungen, Lungenentzündungen und Hepatitis. Dabei spielt es keine Rolle, ob jemand verlassen wurde oder selbst verlassen hat. Ein besonders hohes Risiko zu erkranken haben diejenigen, die nach einer Trennung noch Jahre lang innerlich an den anderen gebunden bleiben. Anhaltender Liebeskummer ist emotional und körperlich sehr riskant.

Wie bei den Kindern zeigt sich auch bei den Eltern eine Aufteilung in Scheidungsgewinner (20 Prozent), Scheidungsverlierer (10 Prozent) und den großen Rest, bei dem das Leben durch die Trennung auf Dauer keine nennenswerten Veränderungen erfahren hat. Das Schicksal des Scheidungsverlierers ereilt besonders häufig Männer. Ihr Leben ist nach einer Trennung oft völlig chaotisch. Sie kochen selten, bekommen zu wenig Schlaf, schaffen es kaum, Einkauf, Wäsche und das Putzen zu erledigen. "Ich kann nicht still sitzen", klagte ein solcher Mann. Männer neigen dazu, die Sache "durchzustehen". Sie fühlen sich wurzellos und desorientiert. Wiederverheiratete Männer waren in Hetheringtons Studie pychisch sehr stabil. Allein lebende Männer dagegen waren oft Scheidungsverlierer. Sie neigten zu Angst, Wut, Depressionen, Drogenmissbrauch, Alkoholismus und Gesundheitsproblemen.

Eines hatten Männer wie Frauen nach einer Trennung gemeinsam: Wer über Sexualität nach Intimität suchte, fühlte sich danach oft noch einsamer. Besonders Männer werden häufig von dieser Erkenntnis überrascht. Die kulturellen Botschaften unserer Gesellschaft über Sexualität versprechen ihnen nämlich etwas anderes. Für Frauen war Gelegenheitssex in vielen Fällen noch riskanter. Er löste bei ihnen schwere Depressionen und Gefühle des Ungeliebtseins aus. In Hetheringtons Studie ist von insgesamt sieben Suizidversuchen die Rede: "Sie alle wurden von Frauen nach Gelegenheitssex verübt."

Literatur:

E. Mavis Hetherington: Scheidung. Die Perspektiven der Kinder. Aus dem Amerikanischen von Andreas Nohl. Beltz Verlag, 2003, 386 Seiten.

Remo H. Largo/Monika Czernin: Glückliche Scheidungskinder. Piper, 2003, 336 Seiten.

Freitag, 03. Oktober 2003

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