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Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Weltverschwörer, Welterlöser

Zwei Bücher warnen vor neuen Gefahren des Rechtsextremismus

Von René Freund

Die Jahrtausendwende naht, und mit ihr das Ende der Welt · zumindest in den Fantasien jener Menschen, die von den selbstauferlegten Zwängen des gregorianischen Kalenders beengt und von
Untergangsängsten geplagt werden. Gerade zum richtigen Zeitpunkt sind nun zwei Bücher erschienen, die sich mit verschiedenen Phänomenen der esoterischen und politischen Endzeitprophezeiungen
befassen:

· „Erlöser", das neue Werk der Brüder Guido und Michael Grandt, handelt von „Phantasten, Verführern und Vollstreckern", die in der Grauzone zwischen Esoterik, Kunst, Wissenschaft und
Politik die Stimmung für Irrationalismus und Totalitarismus aufbereiten. „Erlöser" ist das Buch zu Petrus van der Lets gleichnamigem Film, dessen Ausstrahlung im ORF einige heftig geführte
Kontroversen ausgelöst hatte.

· Das bewährte Autorenduo Eduard Gugenberger und Roman Schweidlenka, bereichert durch den Rechtsextremismus-Experten Franko Petri, widmet sich in „Weltverschwörungstheorien · Die neue Gefahr von
rechts" einem Phänomen, das tatsächlich immer stärker um sich zu greifen beginnt · dem Glauben nämlich, daß der Lauf der Geschichte von geheimnisvollen Machthabern vorbestimmt wäre, daß sich „die
da oben" oder „die da drüben" verschworen hätten, um sich die Welt untertan zu machen.

Gugenberger, Schweidlenka und Petri stellen auf 320 Seiten unter Beweis, daß Sachbücher seriös und gleichzeitig spannend sein können. „Weltverschwörungstheorien" bietet neben einer Geschichte
der „klassischen" Komplottmythen, wonach eine Verschwörung von Juden, Geheimbünden und Freimaurern die Welt im Innersten zusammenhält, auch einen Überblick über neuere Feindbilder wie die
„außerirdische Internationale", die „Insider" oder die „Bilderberger". Außerdem präsentiert das Buch fundierte und differenzierte Analysen über die Entstehung von esoterischen Verschwörungstheorien
und Weltuntergangsvisionen in einer zunehmend größer und komplexer werdenden Welt: „Der moderne Mensch ist durch die Unübersichtlichkeit der pluralistischen Gesellschaft überfordert. Er sucht
gerne nach einfachen Welterklärungsmodellen. Solche Modelle werden von Sekten angeboten. Aber eben auch von Weltverschwörungstheorien, die den Vorteil haben, daß sie einfach immer passen · nur ihre
Feindbilder müssen entsprechend ausgetauscht werden." Geschickte Autoren, die alte Vorurteile mit abenteuerlichen Erfindungen und einer halben Prise Wahrheit würzen, haben bei ihren Manipulationen
leichtes Spiel: „Die Autoren von Verschwörungstheorien benutzen meist bestimmte Techniken, damit der Leser auch glaubt, was ihm da erzählt wird. Über allen zitierten Quellen steht die angebliche
,Theorie`, die als Wegweiser für die Interpretation der geschichtlichen Dokumente dient. Diese Voreingenommenheit zieht sich durch die einschlägige Literatur wie ein roter Faden. Durch Bezugnahme auf
die ältere Verschwörungsliteratur, auf der die heutige vielfach aufbaut, kommt es zu Wiederholungen alter Behauptungen. Es entstehen die sogenannten ,Zitationskarusselle`."

Meister dieser Karusselfahrten, der seine Leserschaft durch die ständigen Wendungen und Verdrehungen schwindlig schreibt, ist Jan Udo Holey, der unter dem Pseudonym Jan van Helsing mit seinem
zweibändigen Machwerk „Geheimgesellschaften und ihre Macht im 20. Jahrhundert" einen ungeahnten Erfolg erzielte. Van Helsing verkaufte weit über 100.000 Exemplare seines Buches, das auch in
zahlreiche Sprachen übersetzt wurde. Obwohl der Verkauf des Buches mittlerweile (in Österreich nach vielen unerklärlichen Verzögerungen endlich auch) verboten ist, geht der Handel über Versand munter
weiter. Auch zahlreiche Buchhandlungen · wovon ich mich selbst überzeugen konnte · verkaufen „Geheimgesellschaften" unter dem Ladentisch heimlich weiter und berufen sich, auf das Verbot
angesprochen, auf „Restposten" oder die „Wünsche von Stammkunden".

Die immer gleichen Lügen

Van Helsings „Geheimgesellschaften" ist eine üble Mischung aus verschiedenen anderen Werken rechtslastiger Autoren wie Dieter Rüggeberg, Trevor Ravenscroft, Miguel Serrano oder Wilhelm
Landig, von denen sich der Autor, gelinde gesagt, inspirieren ließ. Hätten diese anderen Autoren nicht auch ständig untereinander und von denselben dubiosen Quellen abgeschrieben, würde es vermutlich
Plagiatsklagen hageln. Doch die Kontinuität der immer gleichen Lügen und Verdrehungen ist leider nur für jene Experten ersichtlich, die sich eingehend mit dem Thema beschäftigen. Die anderen denken
sich, daß da schon „irgendwas dran sein wird" · und zwar auch solche Menschen, die man eigentlich für immun gegen den Unsinn der Verschwörungstheorien gehalten hätte. Zurecht schreiben also
Gugenberger, Schweidlenka und Petri, daß Jan van Helsing „der wohl bedeutendste Coup des Rechtsextremismus nach 1945" gelungen sei: „Mit ihm wurde die Esoterik zum wichtigsten
zeitgenössischen Einfallstor für rechtsextreme Konzepte und Weltanschauungen."

Die Theorie van Helsings ist ebenso einfach wie perfid: Die Welt hätte sich „wieder" verschworen, um Deutschland zu vernichten. Zwar bedrohten verschiedene Geheimgesellschaften die Existenz
Germaniens, doch vor allem die Juden hätten sich die Zerstörung Deutschlands zum Ziel gesetzt. Das sei zumindest den „Insidern" bekannt · und zu diesen „Insidern" dürften sich auch die Leser des
Buches zählen.

Der Autor geht von den „Protokollen der Weisen von Zion" aus, dem angeblichen Schriftstück eines angeblichen Geheimbunds jüdischer Mächtiger, die sich die Welt untertan machen wollten. Dabei
bedienten sie sich zynischer, machiavellistischer Machtpolitik, spielten Freund und Feind gegeneinander aus, wären ausschließlich an Spekulation, Profit und finanzieller Manipulation interessiert.
Jan van Helsing geht in keiner Zeile darauf ein, daß bereits in der Zwischenkriegszeit nachgewiesen wurde, daß die „Protokolle" eine Erfindung russischer antisemitischer Kreise waren.

Die Verschwörungstheorien rund um die „Protokolle" sind im Grunde genommen ein alter Hut rechtsradikaler, pseudoesoterischer Literatur. Van Helsing versucht, diesen alten Hut über das neue
Erscheinungsbild der Welt zu stülpen. Er will im Besitz „neuer Versionen" der „Protokolle" sein, aber allein die Tatsache, daß verschiedene Versionen existieren, deutet auf eines hin: Nicht der
angebliche Plan der „Weisen von Zion" bestimmt den Lauf der Welt, sondern der Lauf der Welt bestimmt die angeblichen „Pläne", die deshalb ständig erneuert und umgeschrieben werden müssen. Überhaupt
jetzt, da es mit dem Sieg des klassischen „jüdisch-kommunistischen" Feindbildes doch nichts geworden ist.

Dennoch: Die „Schuldigen" bleiben über die Jahre immer dieselben: Die Bankiers Rockefeller, Rothschild usw. Der angebliche „Esoteriker" Adolf Hitler (der sich kein bißchen für Esoterik interessierte)
wird als hilfloses Werkzeug dunkler Mächte dargestellt. Die Verdrehung der Geschichte erreicht in Band II der „Geheimgesellschaften" ihren Höhepunkt: Der „Holocaust an den Deutschen", so van
Helsing, wäre von langer Hand geplant gewesen. Doch auch heute ginge die geheime Verschwörung gegen Deutschland munter weiter: Was wunder, entlarvt doch van Helsing Helmut Kohls Großeltern als die
„galizischen Juden" „Salomon und Sara Kohn" . . .

Von Absurditäten wie diesen abgesehen: Die Argumentation gegen Verschwörungstheorien wird natürlich mitunter dadurch schwierig, daß es ja tatsächlich Indizien dafür gibt, daß nicht immer alles so
ist, wie es scheint oder präsentiert wird. Jüngstes Beispiel: Der Golfkrieg, der nicht erst seit David Mamets zynischem Drehbuch zu dem Film „Wag the Dog" in den Verdacht geriet, zumindest zum
Teil eine gigantische Medieninszenierung mit dubiosen Hintergründen gewesen zu sein. Ebenso naiv und im Grunde genommen kontraproduktiv wäre es, gewisse andere Tatsachen zu leugnen: Zum Beispiel, daß
die Freimaurer im 18. Jahrhundert tatsächlich einen Einfluß auf die Politik hatten oder daß multinationale Konzerne heute tatsächlich mit ihrer Macht ganze Staaten unter Druck setzen können.
„Solange trotz steigender Massenarbeitslosigkeit und Sparpaketen, die vor allem sozial Schwache treffen, weltweit nicht einmal ein Prozent der Superreichen immer reicher wird, werden
Weltverschwörungsmythen einen guten Nährboden haben", schreiben Gugenberger, Schweidlenka und Petri. Aber das heißt eben noch lange nicht, daß hinter allen Widersprüchen oder Koinzidenzen der
Weltgeschichte ein geheimer Plan steht. Jeder, der schon einmal einen Urlaub geplant hat, weiß, was schon dabei alles schiefgehen kann · wie sollten dann „ein paar Mächtige" sich die ganze Welt in
einem Plan unterwerfen wollen?

Doch der Glauben an die allgemeine Verschwörung macht das Leben wunderbar einfach. Denken, Handeln, Verantwortung übernehmen · all das wird überflüssig. Verschwörungstheorien weisen einen
einfachen Weg zur Erlösung vom Ich.

Der einfache Weg

Hier liegt auch der Zusammenhang mit dem Buch „Erlöser" der schreibenden Zwillingsbrüder Guido und Michael Grandt. Denn der Glaube an die Verschwörung, die Endzeitangst, die gleichzeitig
eine verdeckte Art der Endzeitsehnsucht ist, erweist sich als eine der Grundbedingungen für die Entstehung von Gurus und Propheten. Kein Wunder, daß viele dieser selbsternannten „Erlöser" den
nahenden Weltuntergang predigen. Und nur jene Eingeweihten, die ihnen bedingungslos folgen, werden dem allgemeinen Untergang entgehen.

Guido und Michael Grandt, bekannt geworden durch kritische Publikationen zu Themen wie Satanismus oder Anthroposophie, spannen einen weiten Bogen von alten Erlösungsreligionen über die Theosophie der
Helena Petrowna Blavatsky, die Anthroposophie Rudolf Steiners bis zur modernen Esoterik (Satanismus, Scientology oder Mun-Sekte). Andere Kapitel handeln von Künstlern, die sich die Erlösungsideologie
an die Fahnen geheftet haben: Etwa Richard Wagner, der in seinen theoretischen Schriften die Opferung der Juden und in seinen Opern die Opferung der Frauen als Wege zur Erlösung propagierte. Oder
Otto Mühl, der sich gerne als eine Art Messias sah.

Bei diesem umfassenden Programm ist es klar, daß vieles journalistisch verkürzt und pointiert dargestellt werden muß. Wenn z. B. der Mystiker Jakob Lorber als eine der Inspirationsquellen des
Rassisten Lanz von Liebenfels bezeichnet wird, nur weil dieser ihn als „ariosophisches Medium" bezeichnet, dann gehen die Grandt-Brüder dem Manipulator Lanz selbst auf den Leim.

Freilich: Die Grandt-Brüder sind keine Wissenschafter, sondern Journalisten, und als solche bieten sie eine umfassende Übersicht über viele Erlöserbewegungen. Sie weisen dabei nach, daß der Weg von
scheinbar unpolitischen Wirrköpfen zu gefährlichen Demagogen und brutalen Vollstreckern oft sehr kurz ist. „Erlösung" und „Endlösung" gehören in erschreckender Weise zusammen.

Wieviele Tabus Guido und Michal Grandt mit ihren Angriffen auf „Institutionen" wie Richard Wagner oder Rudolf Steiner ansprechen, zeigten die wilden Polemiken, die die Ausstrahlung von Petrus van der
Lets Film „Erlöser", auf dem das Buch basiert, auslösten: Von einer hitzig geführten ORF-Studiodiskussion über (übrigens abgewiesene) Beschwerden bei der Rundfunkkommission sowie beim Europarat
bis hin zu Polemiken u. a. in der Wiener Stadtzeitung „Falter" reichten die Konsequenzen. Liest man das Kapitel des Regisseurs van der Let zu diesen Polemiken und Interventionen rund um seinen
Film, wähnt man sich zeitweise in einer irrwitzigen (und ziemlich schlechten) Komödie.

Solange Obskurantisten dermaßen zu bewegen und aufzuregen vermögen, bleiben Bücher wie „Weltverschwörungsstheorien" und „Erlöser" unentbehrlich. Auch, wenn sie uns nicht vom
Irrationalismus erlösen werden.

Eduard Gugenberger/Franko Petri/Roman Schweidlenka: Weltverschwörungstheorien. Die neue Gefahr von rechts. Deuticke-Verlag, Wien/München 1998, 320 Seiten.

Guido und Michael Grandt: Erlöser. Phantasten, Verführer und Vollstrecker. Alibri-Verlag, Aschaffenburg 1998, 312 Seiten.

Der Film „Erlöser" wird im Spätherbst 1998 auf 3sat in einer aktualisierten Version zu sehen sein.

Freitag, 28. August 1998

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