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Bekenntnisse eines schwierigen Patienten

diarium
Von Hermann Schlösser

Vor kurzem war ich wieder einmal bei einer Gesundenuntersuchung, und wie immer habe ich auch dieses Mal ein bisschen Angst vor der Prozedur gehabt. Eigentlich fühlte ich mich ja nicht krank, aber es gehört zu den Besonderheiten unserer modernen Geistesverfassung, dass Gefühle in Fragen der Gesundheit nicht viel besagen. Nur ein Arzt kann feststellen, wie es wirklich um uns steht, die Selbsteinschätzung des Patienten hat gegen die objektivierten Verfahren der Schulmedizin wenig Chancen. Gnadenlos wird der Hypochonder zur Gesundheit verdammt, während ein gerade noch kraftstrotzender Naturbursche die Ordination vielleicht als Risikopatient verlässt.

Weil man sich also in medizinischen Belangen auf das eigene Gefühl kaum verlassen kann, gehen Gesundenuntersuchungen – trotz ihres optimistischen Namens – oft mit einer gewissen Angst einher. Um sie zu überwinden will, kann man versuchen, sich mit makabren Medizinerwitzen abzulenken: "Fragt der Patient: 'Herr Doktor, wie lange habe ich noch zu leben?' Antwortet der Arzt: 'Also, eine CD können Sie noch auflegen, aber eine DVD geht sich nicht mehr aus.'" Scherze dieser Art gibt es mehr als genug, aber sie helfen nur den Freunden des sogenannten Galgenhumors.

Ernsthaftere Zeitgenossen werden vielleicht Gewinn aus den Tröstungen der Philosophie ziehen. Denn wenn man es genau bedenkt, entspringt die Angst vor der medizinischen Kontrolle einem Paradoxon, dem man auch bei jeder anderen Art von Vorsorge begegnen kann: Je mehr ich über die Risiken weiß, die mir im Leben drohen könnten, desto unsicherer werde ich. Die humanistischen Aufklärer des 18. Jahrhunderts hofften noch, dass die Welt ihre Schrecken verlöre, wenn jedes Phänomen auf einen erklärbaren Grund zurückgeführt würde. Mittlerweile haben wir aber gelernt, dass sich das vermehrte Wissen selbst zu einer Angstquelle erster Güte entwickeln kann. Wer schon einmal im "Klinischen Wörterbuch" des verdienstvollen Professors Willibald Pschyrembel geblättert hat, kennt vermutlich das Gefühl, das sich mit den Worten "Das habe ich alles auch" umschreiben lässt. Man braucht sich nur die Illustrationen dieses Handbuchs anzuschauen – hier ein eindrucksvoller Hautausschlag, dort ein anschaulicher Knochenbruch oder eine farbschöne Entzündung –, und schon fühlt man sich nicht mehr ganz so wohl wie vorher.

Das Thema Krankheit lädt also zu Nervosität und Hysterie ein – allerdings nur einen gewissen Menschentyp. Wer seinen Emotionen mehr vertraut als den Ermahnungen der Vorsorgemediziner und nur zum Arzt geht, wenn er sich wirklich krank fühlt, hat wenig Grund zur Nervosität. Und wer zur eigenen Gesundenuntersuchung dasselbe rationale Verhältnis unterhält wie zur Inspektion seines Autos, bleibt von Hysterie verschont. Gefährdet sind nur diejenigen, die zwischen Ratio und Emotion hin und her irren, und die eben deshalb für viele Ärzte als schwierige Patienten gelten.

Samstag, 04. Februar 2006

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