Bei kaum einem anderen Popkünstler liegen Grandiosität und Stagnation so nahe beisammen wie bei Richard Ashcroft. Der einstige Sänger und Mastermind von The Verve ("Bittersweet Symphony", "The drugs don't work") hat sich – sowohl was die Bandarbeit früher als auch seine Solowerke nunmehr anbelangt – auf ein Muster festgelegt, das er nicht mehr verlässt. Auf engstem harmonischem Raum, meist nur wenige Akkordfolgen umfassend, schichtet er dick wattierte Klänge, vorzüglich von Streichern, übereinander – und lässt obendrauf seine charismatische Stimme thronen. Sie fleht, sehnt, röhrt, tiriliert und dreht unermüdlich vokale Schleifen.
Das Erstaunliche daran ist, dass dieses Muster meistens aufgeht, dass also einer, der so sehr auf Wirkung aus ist wie Ashcroft, sie auch tatsächlich erzielt. So auch auf diesem dritten Soloalbum, "Keys To The World", das in seiner fast durchgängigen Intensität eher an das Debüt "Alone With Everybody" (2000) erinnert als an "Human Condition" (2002), das etwas abfiel (künstlerisch wie kommerziell).
Aber wie gesagt, Differenzierungen sind bei diesem Künstler lediglich im Mikrobereich angesiedelt. In der Anordnung der ersten beiden Songs des neuen Albums ist die programmatische Botschaft des englischen Popexpressionisten sogleich erkennbar: Auf "Why Not Nothing?", einen Nihilismus-Befund, folgt "Music Is Power", ein fast religiöses Bekenntnis zur Musik als universeller Kraft und globaler Sprache. Und für Ashcroft haben Klänge unüberhörbar etwas Mantrahaft-Beschwörendes, Feierlich-Flehendes, darum wiederholt er sie so unaufhörlich, umkreist sie in inbrünstiger, tranceartiger Beharrlichkeit. Aber wehe, wenn diese mit großer Hingabe aufgebaute Spannung nur einen Moment nachlässt – dann stürzen diese wall of sounds sofort zusammen wie Kartenhäuser, die Motive treten öde auf der Stelle, die Schleifen ziehen fette Schlieren.
Und plötzlich klingt dieser beseelte Troubadour wie ein talentierterer Robbie Williams oder ein wenig ambitionierter Johnny-Cash-Imitator. Zum Glück sind solche Stellen auf diesem Album selten, aber sie sind vorhanden – Risse im Gebälk, die die Fragilität dieser nur scheinbar massiven Hochbauweise zeigen. Ein etwas breiteres Fundament könnte in Zukunft nicht schaden.
Wie mit deutlich weniger Aufwand eine ebensolche, vielleicht sogar noch größere Dichte und Intensität erzielt werden kann, demonstriert Chan Marshall alias Cat Power auf ihrem neuen, in Memphis, Tennessee (wie schon ihr zweites Album 1996), eingespielten Album "The Greatest". Darauf versammelt die amerikanische Sängerin auch eine Vielzahl an Instrumenten und Klängen, die ihrer brüchigen Stimme beistehen, lässt ihnen aber mehr Luft, sodass sich eine Atmosphäre von Weite zwanglos einstellen kann.
Die zwölf Songs pendeln zwischen entspanntem Soul, munterem Südstaaten-Folk und gehauchten Balladen hin und her. Marshalls Stimme ist nicht so suggestiv wie jene von Ashcroft, steht nicht so demonstrativ im Vordergrund, kommt verhallt irgendwo zwischen quengelnden Orgeln, leiernden Pianos und gestopften Trompeten hervor – und wirkt doch nachhaltig, wie langsames Gift. Am Ende ist man ihr buchstäblich hörig, folgt ihr überall hin. Meistens verzapfen Pressetexte ja Unsinn, aber der zu diesem Album trifft die Sache ganz gut: "Marshalls Musik kommt scheinbar von nirgendwo her, füllt den Raum aus – und verschwindet wieder. Der Hörer weiß lediglich, dass er von etwas berührt wurde – aber nicht, wovon."
Cat Power: The Greatest (Matador/Edel Musica).
Samstag, 04. Februar 2006