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Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Guter Rat für George W. Bush

Die großen Probleme der Welt, beschrieben in kurzen Briefen
Von Peter Markl

Um im Stil von George W. Bush zu beginnen: "Lassen Sie sich nicht täuschen!" Was da als Briefserie an George Bush ins Internet gestellt wurde, sind nicht wirkliche Briefe von Wissenschaftlern. Es handelt sich um eine Art Public-Relations-Aktion des New Yorker Literatur-Agenten John Brockmann, der jedes Jahr eine Reihe ihm wichtig erscheinender Wissenschaftler, Schriftsteller und "Futuristen" dazu einlädt, eine Frage aus dem Umkreis von Wissenschaft und Kultur zu beantworten.

Was dann an Antworten zeitgerecht eintrudelt, wird am Beginn des nächsten Jahres veröffentlicht. Dieses Jahr war das Ganze als Spiel angelegt: Jeder der Eingeladenen erhielt einen fiktiven Brief, in dem ihm mitgeteilt wurde, dass er als Wissenschaftsberater des Präsidenten in Frage käme. Man bitte ihn aber, zuvor noch in einem Memo an den Präsidenten zwei Fragen zu beantworten: "Was sind die für die Nation und die Welt drängendsten wissenschaftlichen Probleme? Was raten Sie mir, um diese Fragen in Angriff zu nehmen?"

Dieses Jahr sind bis zum 9. Jänner nicht weniger als 85 Antworten von Wissenschaftlern der unterschiedlichsten Art (und Qualität), aber auch von Journalisten, Essayisten und Futuristen eingelangt. Was die Wissenschaftler betrifft, handelt es sich natürlich nicht um eine repräsentative Stichprobe: es waren meist die Öffentlichkeitsbewussteren, die da geantwortet haben. Auch sie haben das Spiel unterschiedlich ernst genommen. Da finden sich kurze Ratschläge neben längeren Essays zu umfassenden Fragen oder ganz speziellen Themen, Briefe von opportunistischen Parteigängern, mehr oder minder getarnte Vorschläge in eigener Sache neben präzisem Rat zu Problemen auf eingegrenzten Sachgebieten.

Ein gutes Beispiel für Letzteres lieferten Ian Wilmut, heute Leiter der "Abteilung für Genexpression und Entwicklung" des Roslin-Instituts, wo man 1966 das Klon-Schaf Dolly zusammengebastelt hat, und J. Craig Venter, "Präsident und Vorsitzender der J. Craig Venter Science Foundation", wie er zurückhaltend schreibt, einer der erfolgreichsten Privatforscher der Sequenzierung des menschlichen Genoms.

Ian Wilmut hat die Umfrage ernst genommen und wiederholt sein Plädoyer für ein Verbot des reproduktiven Klonens: "Ganz abgesehen von den vielen ethischen und sozialen Problemen, welche diese Technik aufwirft, führen alle Belege aus den Tierversuchen zu dem Schluss, dass jeder Versuch, Menschen zu klonen, mit Notwendigkeit dazu führen muss, entweder Schwangerschaften in einem späten Stadium abzubrechen oder die Geburt toter oder abnormaler Kinder hinzunehmen. Da es keinen Weg gibt, solche tragischen Resultate zu vermeiden, ist es wichtig, so bald als möglich Gesetze in Kraft zu setzen, die solche Versuche verbieten." Die amerikanische Regierung hat eben einen einschlägigen Versuch dazu bei der UN torpediert, weil sie nicht nur das reproduktive Klonen, sondern jeden Versuch des Klonens verbieten will.

Wilmut aber drängt darauf, das reproduktive Klonen vom Klonen menschlicher Embryonen für die medizinische Forschung zu unterscheiden. Er führt im Besonderen eine mögliche Anwendung an, auf die bisher nur selten hingewiesen wurde: Jedes Jahr sterben in den USA Tausende an den Nebenwirkungen von Medikamenten, auch wenn sie sachgerecht verschrieben und angewandt wurden. Der Grund dafür ist, dass Menschen auf Medikamente verschieden reagieren.

Die Pharmakonzerne könnten diese für alle existierenden Risiken reduzieren und Medikamente gezielt planen, die sicherer und effektiver sind, wenn sie die von Mensch zu Mensch zu findenden Unterschiede in der Funktion der Leberzellen untersuchen könnten.

Leberzellen klonen

Heute gibt es nur eine Quelle für Leberzellen, wie man sie für diese Forschung braucht: die Leber von Unfallopfern, die man aber nur dann einsetzen wird, wenn sie nicht für eine Lebertransplantation benötigt wird. Es wäre aber möglich, aus geklonten Embryonen Leberzellen zu gewinnen und in Zellkulturen zu züchten, an denen man in einem ersten Schritt die genetische Grundlage der Unterschiede untersuchen könnte. Mit dem Hintergrund so erworbenen Wissens könnte man nebenwirkungsfreiere Medikamente entwerfen und damit auch die Basis für eine personalisierte Therapie schaffen.

Craig Venter dagegen erwähnt drei besonders drängende Probleme, zu deren Lösung er nur ein Rezept anbietet: den Einsatz von mehr Genetik. Er plädiert für einen Umbau des amerikanischen Gesundheitssystems in Richtung auf präventive Medizin hin, basierend auf dem massiven Einsatz der neuen Gendiagnostik und anderer neuer Prognosemöglichkeiten.

Er hält es für unbedingt notwendig, die USA von ausländischen Energiequellen unabhängig zu machen und empfiehlt darüber hinaus, so schnell als nur möglich auf eine Wasserstofftechnologie überzugehen.

Im Hinblick auf Craig Venters politische Ansichten ist es nicht gerade überraschend, dass er den Kampf gegen den Terrorismus nicht vergessen haben wollte. Er weist darauf hin, dass man gentechnische Methoden im Kampf gegen den Bioterrorismus einsetzen sollte, und zwar zur Identifikation biologischer Kampfstoffe, der Suche nach neuen antiviralen und antibiotischen Medikamenten und Impfstoffen.

Sein Vertrauen in die Wirksamkeit solcher Methoden selbst in politischen Fragen ist aber doch etwas verblüffend. Er versichert dem Präsidenten, dass Vorsorgemaßnahmen auch im Kampf gegen den Bioterrorismus die Bedrohung nicht nur weit geringer machen, sondern sie "effektiv eliminieren könnten".

So sehr das nach dem Geschmack von George W. Bush sein mag, so wenig dürften ihm all jene Warnungen gefallen, die sich gegen Nebenwirkungen der heute existierenden Maßnahmen zum Schutz gegen Terroristen richten. Gemeinsam mit der Sorge um die Qualität der amerikanischen Schulen sind sie ein Thema, das viele Briefe gemeinsam haben.

Der berühmte Harvard-Wissenschaftshistoriker Gerald Holton erinnert an den jämmerlichen Zustand der Ausbildung in den Naturwissenschaften: 70 Prozent der College-Absolventen erhalten ihr Abgangszeugnis, ohne auch nur eine einzige Stunde Unterricht in den Naturwissenschaften absolviert zu haben. Das hat Folgen: 30 Prozent der Amerikaner glauben an UFO's, 40 Prozent halten die Astrologie für eine Wissenschaft, 60 Prozent glauben an außersinnliche Wahrnehmung und 70 Prozent daran, dass die Wirksamkeit der Magnettherapie wissenschaftlich bewiesen sei.

Es ist schwierig, sich auszumalen, wie sie zu einem rationalen, informierten und kritischen Urteil über die auf sie einstürmenden neuen Erkenntnisse kommen könnten. Gerald Holton erinnert daran, dass die Amerikanische Physikalische Gesellschaft im Dezember 2002 zugeben musste, dass die Zahl der Doktoranden - gemittelt über alle naturwissenschaftlichen und technischen Fächer - zuletzt vor einem halben Jahrhundert so niedrig war wie heute.

Die Stärke der amerikanischen Wissenschaft war immer die Stärke der Graduierten-Ausbildung in den Departments der Eliteuniversitäten. Dazu Gerald Holton: "Die Zahl der ,fremden' Studenten war in den 80er und 90er Jahren in die Höhe geschnellt. Das ist heute immer noch so. In vielen der naturwissenschaftlichen Departments der größeren Universitäten kommt heute die Hälfte oder mehr als die Hälfte der Forschungsstudenten aus dem Ausland. Studenten, die dann auch wieder in ihre Heimatländer zurückkehren."

Der Kampf gegen den Terror aber droht zu einer ernsten Bedrohung für die Offenheit der Wissenschaftsinstitutionen zu werden, die besonders an den weltbesten Universitäten spürbar ist.

Kampf gegen den Terror

Rodney Brooks, Direktor des Artificial Intelligence Lab am MIT (Massachusetts Institute of Technology) schreibt dem Präsidenten: "Wissenschaft und Technologie waren die großen Stärken der Vereinigten Staaten, ohne die die USA nicht die einzige Supermacht in der Welt von heute geworden wären. In den letzten fünfzig Jahren wurde Wissenschaft weitgehend in großer Offenheit betrieben und ihre Resultate mit dem Rest der Welt geteilt. Gerade dieses Teilen war die Quelle großer Stärke. Das amerikanische System der Graduiertenausbildung ist das beste der Welt und viele internationale Führungspersönlichkeiten haben einen Teil ihrer Ausbildung an unseren Universitäten erhalten. Die Offenheit und die Art, wie wir unsere Universitäten als Meritokratien geführt haben und nicht als Institutionen, an denen Herkunft oder Religion bei der Beurteilung einer Leistung eine Rolle gespielt hätten, hat dazu geführt, dass große Wissenschaftler und Ingenieure scharenweise in die USA immigrierten. Es gibt natürlich einen Ort für klassifizierte und verbreitungsbeschränkte Forschung, aber der liegt meist auf Gebieten, welche der Anwendung näher sind - und nicht in der wissenschaftlichen und ingenieurtechnischen Grundlagenforschung. Wenn ich Wissenschaftsberater wäre, würde ich darauf drängen, die Politik der Offenheit fortzusetzen und zu verstärken."

Einige Kommentatoren weisen auch darauf hin, dass sich die naturwissenschaftliche Abstinenz der Jungen kaum ändern würde, solange die längerfristigen, über kommerzielle Interessen hinausgehenden Perspektiven nicht wieder stärker in den Vordergrund träten, wie es der renommierte englische Wissenschaftsautor Colin Tudge eindringlich fordert: "Die Wissenschaft wurde mit Reichtum und Macht in einen Rückkopplungskreis eingebunden, aus dem es kein Entkommen gibt: man sieht ihre heutige Rolle darin, jene Hochtechnologie zu liefern, welche Kapital erzeugt, das seinerseits wieder die Wissenschaft stützt, welche jene Technologie hervorbringen kann, die noch mehr Kapital erzeugt und so weiter und so weiter . . . Es wird immer schwieriger, Wissenschaft zu finanzieren, welche keine kurzfristigen kommerziellen oder militärischen Vorteile verspricht. Mittlerweile ist eine ganze Generation von Wissenschaftlern und Politikern herangewachsen, die es für selbstverständlich hält, dass es die Wissenschaft hinzunehmen hat, als Dienerin von Handel und politischer Macht zu fungieren. Wir müssen uns daher vordringlich und dringend in Erinnerung rufen, was Wissenschaft ist und wozu man sie braucht, und die politischen Rahmenbedingungen wiederentdecken, welche es möglich machen könnten, für ewige menschliche Werte wie Gerechtigkeit, Menschenrechte und menschliche und biologische Vielfalt zu arbeiten."

Viele werden in solchen Zeilen nur einen ungebremst romantischen und unzeitgemäßen Gefühlsausbruch sehen und erwarten, dass dahinter wieder ein die Bushs - Vater und Sohn - seit langem irritierendes Gespenst auftaucht: "the vision thing". Sie hätten sich nicht getäuscht: die Frage nach einer Vision der Zukunft, jenseits des unvermeidlichen Kampfes gegen den Terrorismus, steht in vielen der fingierten Briefe zwischen den Zeilen und ist in einigen auch explizit angesprochen.

Konkretere Vorschläge dafür sind allerdings auch in diesen Briefen Mangelware. Was man findet, sind Vorschläge für die Bildung von Forschungsschwerpunkten, deren Resultate zur Lösung drängender Probleme beitragen können: Wasserstoff-Ökonomie, Nanotechnologie, Quantencomputer und so weiter. Fast immer sind es Vorschläge, die auch anderswo bereits diskutiert wurden. Einige der Briefschreiber schlagen ostentativ Schwerpunkte vor, deren unmittelbarer praktischer Nutzen weniger sichtbar ist: Erich Kandell zum Beispiel die Erforschung der Biologie des Bewusstseins, insbesonders des menschlichen Selbstbewusstseins. Marc Hauser schlägt vor, einen Schwerpunkt der interdisziplinären Erforschung dem zu widmen, was allen Menschen gemeinsam ist.

Unter den vielen Anregungen gibt es auch eine Neuauflage der Flucht vor realen irdischen Problemen in den Weltraum: diesmal soll es um Menschen auf dem Mars gehen. Ein konkretes Problem mit visionären Aspekten bringt Philip Campbell, Herausgeber der englischen "Nature", ins Gespräch. Er macht George Bush auf die Möglichkeit aufmerksam, sich eine Art von persönlichem Denkmal zu schaffen, jenseits der momentanen nationalen und sozialen Ziele: "Es gibt viele ausgezeichnete Forscher, die bei der Erforschung der Malaria und ihrer Bekämpfung wesentliche Fortschritte machen könnten, wenn dafür deutlich größere Summen verfügbar wären. Man würde es daher weithin als eine wunderbar aufgeklärte Initiative ansehen, wenn Sie sicherstellen könnten, dass das nationale Gesundheitsinstitut ein Malaria-Programm ins Leben ruft und mit einem Budget von mindestens 300 Millionen Dollar ausstattet - als ersten Schritt zur Prävention und Heilung dieser verheerenden Krankheit."

http://www.edge.org/q2003/

Freitag, 17. Jänner 2003

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