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Ein Leben lang Widerstand

Über den bulgarischen Exilpolitiker Stefan Tabakoff
Von Martin Luksan

Ein rüstiger, adrett gekleideter, älterer Herr mit festem Händedruck erzählt im Floridsdorfer Hochcafé aus seinem Leben. Stefan Tabakoff spricht ein Deutsch, das seinen bulgarischen Akzent auch nach einem 48-jährigen Aufenthalt in Österreich nicht abgemildert hat. Was dieser Mann seinem Zuhörer ruhig und knapp erzählt, enthüllt ein doppelt bewegtes Leben. Viel erlebt und viel ausgehalten.

Vielleicht nicht für seine Familie, die mütterlicherseits von ost-orthodoxen Priestern herstammt, so doch für den Helden selbst begann alles mit dem 9. September 1944 in Bulgarien. Er diktierte diese Sätze für einen Artikel in der Grazer "Neuen Zeit" im September 1954: "Vor zehn Jahren , am 9. September 1944 kam in Bulgarien eine Regierung der Vaterländischen Front an die Macht (. . .) So wurde Bulgarien ein Opfer des Bolschewismus (. . .) Nach zehn Jahren kommunistischer Herrschaft ist Bulgarien, das einst als Land der Rosen galt, ein Land des Schreckens geworden." Gezeichnet ist der Text kryptisch: "Von einem jungen, bulgarischen Sozialisten."

Noch im Sommer 1944 war Bulgarien mit Hitler verbündet und revidierte sein Verhältnis zu Nazi-Deutschland nur durch den Druck der näherrückenden Roten Armee. Man könnte fragen, welche Bevölkerungsgruppen den deutschfreundlichen Kurs des Landes so lange mitgetragen haben. Doch für den jungen Tabakoff ist diese Frage nicht relevant. Er hatte bereits mit der profaschistischen Jugend ernsthafte Konflikte. Seit 1945 begannen nicht nur Volksgerichte ihre Arbeit, sondern das ganze Land wurde von immer neuen Terrorwellen der Kommunisten heimgesucht, die weit über den Bestrafungsaspekt hinausgingen. Georgi Dimitroff, der Generalsekretär der kommunistischen Internationale, nach dem in Bulgarien manche Stadt umbenannt wurde, spielte dabei eine Hauptrolle. Als Tabakoff 22 Jahre alt war, sagte der "blutige Dimitroff" zu den Sozialdemokraten im Parlament: "Ich schicke euch zum Petrus." Dann kamen der Chef der Bauernpartei, der Führer der Sozialdemokraten und viele andere im Gefängnis um.

Tabakoff, der in der sozialdemokratischen Jugend leitend tätig war, rettete 1948 durch seine Flucht nach Jugoslawien sein Leben. Der junge Flüchtling wurde im Kosovo interniert und dort auch zur Zwangsarbeit eingesetzt. Später durfte er in Belgrad ein Jus-Studium beginnen, obgleich sein Berufswunsch in Sofia ein Diplom-Ingenieur gewesen war. Da er seine politische Tätigkeit jedoch nicht aufgab, musste er sein Studium in Belgrad abbrechen. Titos Reich war eine fürchterliche Enttäuschung für ihn, ganz anders, als es Radio London immer dargestellt hatte. Am Ende fand er sich in einem KZ-artigen Lager im slowenischen Jesenice wieder.

Von dort flüchtete er 1952, die Geburtsurkunde im Sakko eingenäht, über die winterlichen Karawanken nach Österreich. Die englische Besatzung in Kärnten verhörte ihn und er ging nach Graz, wo er längere Zeit in einer Gärtnerei arbeitete. Er bekam Kontakt nicht nur zur Grazer, sondern auch zur Wiener SPÖ. Vor allem an Gustav Heinz, in dessen Familie er Anschluss fand, denkt er warm zurück. In Graz, wo er auch den Magister der Rechte erwarb, fing er an, für die sozialdemokratische "Neue Zeit" zu schreiben. Artikel wie "Razzien in Bulgarien" oder "Er starb im Gefängnis" zeugen von der großen Kampfrichtung jener Jahre, für die Tabakoff nicht erst gewonnen werden musste.

Besonders nahe ging ihm das Martyrium seiner Mutter. Eine Frau, die fünf Kinder geboren und ein kommunistisches KZ nur durch Zufall überlebt hatte, kam 1967 durch einen Verkehrsunfall ums Leben, den der bulgarische Geheimdienst "arrangiert" hatte. Eine Schwester von Tabakoff wurde mit ihrem Kind ins Rhodopengebirge umgesiedelt, wo ihr Mann im Bergwerk zwangsarbeitete. Der Zuhörer muss sich erst über Bulgarien informieren, um zu verstehen, dass das Ziehen der Rosen und der Edelkastanien in diesem Land vom härtesten Graben nach Kohle, Kupfer, Zink und Blei kontrastiert wird. Die BKP der fünfziger Jahre veränderte das Land zwischen Donau und Maritza auch sichtbar, als sie es mit Lagern überzog und die Menschengruppen durcheinanderwürfelte.

In der Gewalt von Spitzeln

Als man die Mutter aus dem KZ entließ, wurde sie von einem "Freund" betreut, der in Wahrheit ein Spitzel des bulgarischen Staatssicherheitsdienstes war. Dieser Mann schrieb für sie die Briefe an den Sohn und las ihr die Briefe des Sohnes vor. So erklärt es sich, dass 1989, kurz bevor das bulgarische Zwangssystem in sich zusammenbrach, plötzlich "Dokumente" auftauchten, die Tabakoff als Gründer einer antikommunistischen Partisanengruppe in Jugoslawien auswiesen. Seine gesamte Korrespondenz mit der Mutter fand er unlängst in einem bulgarischen Archiv wieder, sogar die Ansichtskarten hatte man fotografiert.

1965 erlaubte man der Mutter, ihren Sohn in Wien zu besuchen. Die Schivkov-Diplomaten wollten aber den Besuch als eine PR-Aktion für Bulgarien inszenieren. Tabakoff sollte die 76-jährige Frau partout in den Räumlichkeiten der Wiener Botschaft wiedertreffen. Doch Tabakoff stellte dem Schivkov-Regime keinen "Persilschein" aus und die alte Frau kam trotzdem auf dem Südbahnhof an. Da sich Sohn und Mutter auf dem Bahnhof verfehlten, wanderte die Mutter mit einem Strotter, der ihr die Koffer, voll mit Lebensmitteln, trug, bis zur Adresse ihres Sohnes auf dem Laaerberg. Anschließend berichtete die Frau in Bulgarien, dass die Österreicher keine Hungersnot hatten und ihr Sohn kein Tuberkulose-Kranker war.

Als Journalist und Nachrichten-Sammler begann Tabakoff in Graz. Ein Teil der Nachrichten aus Bulgarien lief über seine Bekannten und über seine Schreibmaschine. Deshalb wurde er auch für Reuters interessant. In erster Linie arbeitete er aber für Radio Free Europe (R.F.E.) und für Voice of America (V.O.A.), die ihre Botschaften entweder in Englisch oder in der Sprache des "Ziellandes" hinter den Eisernen Vorhang schickten. 1961 übersiedelte er nach Wien, um hier im Österreich-Büro von R.F.E. am Hohen Markt zu arbeiten. Auch die Bulgarien-Abteilung von V.O.A. setzte ihn für sich ein, damit er vom Alltag in Wien berichtete.Das waren lokale Aktualitäten wie der Beginn der WIG (mit dem Sessellift über den Blumenbeeten) oder die jährliche Eröffnung der Wiener Festwochen. Durch Sendungen dieser Art pries man dem "Ostblock" die Vorteile des Westens.

Die Villacher Rede

Noch ehe diese Propagandatätigkeit eingestellt wurde, zwei Jahre vorher, machte Tabakoff den Bundeskanzler Kreisky beim Parteitag der SPÖ in Villach wieder einmal auf sich aufmerksam. Das war 1972: die wichtigste Rede seines Lebens, kurz wie ein Paukenschlag und gerichtet gegen alle KP-Regimes der Welt. Seine Worte waren eigentlich als Grußbotschaft gedacht und er vertrat die Union sozialdemokratischer Parteien im Exil. "Im europäischen Osten" , so sagte er , "herrscht nicht einmal eine sogenannte repressive Demokratie, sondern eine nur halbwegs getarnte Diktatur (. . .) Nur wenn wir uns ohne Rücksicht auf Machthaber, Erdteile und politische Farbe, das heißt ohne Konzession sowohl gegen faschistische als auch gegen kommunistische Unterdrückung auflehnen, können wir erwarten, daß die Bevölkerung (. . .) in uns wahre Vorkämpfer der menschlichen Freiheit sieht". Bruno Kreisky soll unter dem Pult geklatscht haben und die Saalmeinung war geteilt. Der russische Botschafter aber verblieb im Saal trotz des "starken Tobak des Herrn Tabakoff" , wie sich der "Kurier" naheliegend ausdrückte.

Nicht zuletzt durch diese Rede zog sich Tabakoff Feindschaften zu, die ihm später innerhalb der SPÖ schadeten. Seine journalistisch eher harmlose Tätigkeit für V.O.A. wurde zum Nährboden für Verleumdung. Ein Gerücht besagte, er wäre ein Spion des amerikanischen Gemeindienstes, aber er war "nur" ein Journalist und Propagandist des Westens, der allerdings die kommunistischen Staatssysteme ohne Wenn und Aber (auch ohne Vergleiche mit dem NS!) bekämpfte. Seine Worte in Villach waren undiplomatisch, aber inhaltlich richtig gewesen, korrekt auch im Sinne der Parteilinie. Und es war auch die SPÖ, die seine Zeitschrift "Swoboden Narod" unterstützte, seine politische Heimat im Exil.

1974 wurde das Büro von R.F.E. in Wien aufgelöst und der Sender V.O.A. schränkte seine Tätigkeit sehr ein. Tabakoff wäre auf der Straße gestanden, hätten nicht Bruno Kreisky und Otto Rösch, der damalige Innenminister, eine neue Erwerbsarbeit für ihn gefunden. Die neue Tätigkeit war zunächst nur ein B-Posten im Flüchtlingslager Traiskirchen, nicht eben die Fortsetzung seiner bisherigen Arbeit.

Doch zwei Jahre später hörte Tabakoff auf, Asylanten aus den Ostblockländern zu "registrieren", und arbeitete auf einem A-Posten in Wien weiter: Er befragte Zivildiener in der Bräunerstraße nach ihren Gründen, warum sie für die Republik keinen Wehrdienst leisten wollten.

In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre versuchte das kommunistische Bulgarien, seinen schwindenden Machtverlust durch wilde Agententätigkeit im Ausland wettzumachen. Diese Zeit wurde wieder lebensgefährlich für ihn, denn er war weder voll abgesichert durch die Republik noch voll geschützt durch einen geheimen Dienst. Trotz seiner internationalen Kontakte war er nur ein kleiner Beamter in einem österreichischen Ministerium, der in seiner Freizeit gegen die BKP ankämpfte.

Als in London der Schirmmord an dem Exilbulgaren Markoff verübt wurde, läutete in Wien bei Tabakoff das Telefon. Eine Stimme sagte auf bulgarisch: "Hier ist der Mann mit dem Schirm! Jetzt bist du an der Reihe."

Harald Irnberger schildert in seinem Buch über die Geheimdienste in Wien eine Episode, die Tabakoff im Hochcafé gar nicht erzählte: Vier Matrosen der bulgarischen Handelsmarine griffen sich amé Wiener Mexikoplatz den unbeugsamen Mann und wollten ihn am helllichten Tag auf ihr nahegelegenes Schiff schleppen. Sie deuteten aber ein vorfahrendes Auto falsch, das mit vier Männern voll besetzt war, und ließen ihr Opfer sofort los.

Ein Sarg per Post

In der Nacht kamen die Anrufe, die Post stellte einen kleinen Sarg zu und eine der Nachrichten besagte, dass ein neuer Agent nach Wien gekommen sei, um Tabakoff zu "erledigen". Auch jene Drohungen, bei denen an Mord wahrscheinlich gar nicht gedacht gewesen war, bedeuteten für den Exilpolitiker einen jahrelangen Einschüchterungsversuch, der die Gesundheit des Betroffenen leicht hätte schädigen können. Doch Tabakoff überstand.

Man kann gewiss nicht sagen, dass sich die BKP unter Schivkov "vermenschlichte", sondern sie benutzte nur neue Formen der Gewalt. Der Unterdrücker richtete den Unterdrückten plötzlich auf und zwinkerte ihm gleichsam zu: "Das war doch nur ein Spaß." Ende der achtziger Jahre wurden in Sofia Intellektuelle verhaftet, die man anschließend unerwartet freiließ und die dann die staatliche Presseagentur zu einer großen Konferenz einlud. Dort sollten die Malträtierten ein paar freundliche Worte über das Regime sagen. Doch der Umstimmungsversuch scheiterte, die Leute ließen sich nicht manipulieren.

In der Erinnerung des heute 75- Jährigen fließen die Morde, Deportationen und Hausdurchsuchungen mit der Verbrennung seiner Bücher und der Erschießung der Hauskatze "Mara" ineinander. Denn es ist alles noch "da" und jede Einzelheit ist gleichviel wert. Tabakoff erzählt von einem Priester, der in Bulgarien der christlichen Kirche vor die Nase gesetzt worden war, sich aber nur als "Gegen-Patriarch" und als Geschöpf des Schivkov und des Geheimdienstes hatte halten können. Der alte Herr hat seine Meinung über die BKP, die sich heute "BSP" nennt, kaum geändert. Hier liegt auch etwas Tragisches versteckt. Die Entspannung mit dem ehemaligen Ostblock ist geglückt, doch der Held kann seine Erfahrungen mit dem Kommunismus nicht löschen.

Tabakoff reist jetzt öfters nach Bulgarien, wo auch ein Buch über ihn geschrieben wird. Man soll ihn aber auch in Österreich mit gerechten Augen sehen. Das heißt, der C.I.A.-Mann, der er nie war, und der politische Provokateur im Sinne des "bezahlten Agenten" sollen als das bezeichnet werden, was sie waren: als Verleumdungen in dem Kampf, den er lebenslang gekämpft und durch viel Glück - im ganzen Unglück - überlebt hat.

Freitag, 11. August 2000

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