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Ein Land wie Bayern?

Vorwärts zurück zur kleinbürgerlichen Idylle · Der Erfolg Jörg Haiders aus der Sicht der amerikanischen Politikwissenschaft

Von Reinhard Heinisch

Für ausländische Beobachter scheint der Wahlerfolg der Freiheitlichen auf den ersten Blick recht verblüffend. Österreich ist im EU-Vergleich eine einzige
wirtschaftiche Erfolgsstory. Die Alpenrepublik ist der drittreichste Mitgliedsstaat der Union, hat eine der geringsten Arbeitslosenquoten überhaupt und ist ein Hort der wirtschaftlichen Stabilität
und des sozialen Friedens. Trotz relativ geringer Ausgaben im Bereich Forschung, Bildung und Hochtechnologie konnte Österreich im letzten Jahrzehnt mit seinen Wirtschaftsdaten jene Länder
überflügeln, die, wie Schweden, die Bundesrepublik oder die Niederlande, lange Zeit als scheinbar uneinholbar galten. Die Lebensqualität der Österreicher ist auf Grund der hohen Umwelt- und
Sozialstandards eine der höchsten der Welt. Trotz massiver Zuwanderung stieg der Wohlstand, dabei wurden Österreichs Städte keineswegs, wie befürchtet, zum „Chicago" oder „Miami" Mitteleuropas.
Selbst in punkto ausländischer Investitionen rangiert Österreich vergleichsweise weit vor seinen westlichen Nachbarstaaten.

Wirtschaftspolitisch hat Österreich den Kollaps der Verstaatlichten Industrie, die Ostöffnung, den EU-Beitritt und die Einführung des Euro mit Bravour gemeistert. Selbst im Sozialstaat kam es trotz
Sparmaßnahmen nicht zu dramatischen Einbrüchen. Die Budgetkonsolidierung liegt im europäischen Mittel und die Regierung brachte sogar eine Steuer- und Pensionsreform zu Wege, von der die Deutschen
nur träumen können.

Selbst Skandale im Dunstkreis von Regierungsparteien und Verbänden, die früher für Schlagzeilen sorgten, scheinen der Vergangenheit anzugehören. Im Gegenteil, in jüngster Zeit waren es gerade die
jetzt so bejubelten Freiheitlichen, deren Parteifunktionäre durch Steuerflucht, Millionenschulden und diverse Palastrevolten von sich reden machten. Warum bloß sehnen sich immer mehr Alpenbewohner
nach einer Regierung Haider?

Latenter Rechtsdrall

Für das verblüffte Ausland lässt sich das einfach und bequem mit dem seit der Waldheim-Affäre kolportierten latenten Rechtsdrall der Österreicher erklären. Viele österreichische Beobachter meinen
hingegen, dass die Ursachen des Haider-Erfolges in der geschickten Wahlstrategie, dem schamlosen Populismus sowie der rot-schwarzen Proporzherrschaft auszumachen sei. In einschlägigen Analysen wird
auf taktische FPÖ-Finten wie Kinderscheck, Landeshauptmannbonus, Ausländerhass und Strompreissenkungen verwiesen. Dennoch greifen solche Erklärungsversuche viel zu kurz, um den stetigen Aufstieg der
FPÖ zur bürgerlich-rechten Großpartei hinreichend zu erklären. Letztendlich bleibt vielen rätselnden Experten nur noch die Flucht in das „Phänomen Haider", womit der freiheitliche Parteiobmann
vollends in das Reich der Mythen und Legenden entrückt wird.

Dabei bietet die international-vergleichende Politikwissenschaft gleich mehrere Erklärungsmodelle, die es erlauben, ohne große Verklärung dem Erfolg der FPÖ auf den Grund gehen.

Da wäre zunächst einmal die Alignment-Theorie. Diese geht davon aus, dass Wählerschichten stets einer Dynamik unterliegen. Mit steigendem Wohlstand werden aus Miethausbewohnern Hausbesitzer, aus
Arbeiterkindern Beamte oder aus Bauern und Kleingewerblern Facharbeiter und Angestellte. Mit dem gesellschaftlichem Wandel ändern sich die politischen Interessen und somit auch die entsprechenden
Präferenzen. Dies schlägt sich jedoch nicht immer gleich im Wahlverhalten nieder. Aus Gewohnheit, Angst vor Veränderung oder aus Mangel an Information stimmen Wähler für Parteien, mit denen sie sich
längst nicht mehr wirklich inhaltlich oder ideologisch identifizieren.

In vielen Fällen ist das Wahlverhalten auch davon geprägt, für das jeweils kleinere Übel votieren zu wollen. Jedenfalls entfernen sich die Regierten emotionell, ideologisch und inhaltlich immer
weiter von den Regierenden. Obwohl das politische System dadurch immer mehr aus dem Lot gerät, vermag eine clevere Partei mit entsprechend geschickter Öffentlichkeitsarbeit immer wieder genug Wähler
zu mobilisieren, um sich an der Macht zu halten. Das funktioniert so lange, bis außergewöhnliche Umstände oder ein besonders begabter Oppositionspolitiker Wähler und Gewählte auf eine andere Linie
bringen, daher der englische Begriff „Alignment".

Dies geht weit über normale politische Schwankungen, abhängig von der Beliebtheit bestimmter Politiker und Programme, hinaus. Es bezeichnet das Ende sowie den Neubeginn einer politischen Ära,
getragen von einem neuen gesellschaftlichen Konses.

Alignment-Prozesse lassen sich demoskopisch schwer erfassen, weil sie einerseits von der Tagespolitik und konkreten poltischen Themen weitgehend unabhängig sind und andererseits die latent beim
Wähler vorhandenen Einstellungen einen bestimmten Kristallisationskern brauchen, wie etwa eine neue Art von Politikertypus oder Partei. Die international bekanntesten Beispiele sind die rechts-
konservativen Erdrutschsiege von Ronald Reagan und Margaret Thatcher · beiden wurde von Wählern zur Macht verholfen, die vorher traditionell eher für Mitte-Links-Parteien (z. B. die so genannten
Reagan-Demokraten) gestimmt hatten, aber mittlerweile längst in den saturierten Mittelstand aufgestiegen waren.

In Italien kollabierte Anfang der neunziger Jahre gleich ein ganzes politisches System und die Wähler wandten sich nach vierzig Jahren beinahe durchwegs christdemokratischer Mehrheiten plötzlich
Berlusconis Forza Italia zu. In Österreich vollzieht Jörg Haider gerade so einen Alignment-Prozess, in dem er das Land dorthin führt, wo es politisch beheimatet ist, nämlich irgendwo rechts von der
Mitte.

Land der Konservativen

Das Rätsel der österreichischen Politik ist nicht etwa der Erfolg der FPÖ, sondern die jahrzehntelange Dominanz der Sozialdemokraten. Es gibt keinen zwingenden Grund, warum ein Land wie
Österreich, das weitgehend von kleinbürgerlichen, ländlich-traditionsbehaftetem und konservativ-mittelständischem Denken geprägt ist und in dem der Katholizismus als Institution so tief verwurzelt
ist, jahrzehntelang von einer Mitte-Links-Partei regiert wird.

Die Alpenrepublik war nie ein besonders progressives oder liberales Land mit einem sozialdemokratischen gesellschaftlichen Konsens wie etwa in Schweden. Mit einiger Sicherheit darf beispielsweise
angenommen werden, daß Österreich noch um einiges konservativer ist als Deutschland mit seiner stärkeren protestantisch-liberalen Tradition. Dennoch gibt in Österreich, anders als in der
Bundesrepublik, seit fast 30 Jahren die gemäßigte Linke den Ton an. Dabei dürfte es eigentlich zwischen Donau und Bodensee nicht viel anders zugehen als im benachbarten Bayern. Auch dort regiert seit
dem erfolgreichen Kaltstellen der Münchner Sozialdemokraten scheinbar uneingeschränkt die konservativ-katholische CSU mit ihren stark rechts-populistischen Zügen. Rechts von der CSU dürfe einfach
kein Platz mehr sein, so hat es Franz Josef Strauss einmal ausgedrückt.

Die lange Vorherrschaft der SPÖ ist das Ergebnis des Genies Bruno Kreiskys. Er schmiedete in einem ähnlichen Alignment-Prozess seinerzeit eine Koalition aus der damals noch starken und in sich
geschlossenen Industriearbeiterschaft, den Kernschichten der SPÖ und dem liberalen und modernisierungsorientierten Bürgertum. Gleichzeitig spaltete er mit der FPÖ-freundlichen Wahlrechtsreform das
Bürgertum rechts der Mitte in zwei Lager, was der ÖVP auf Jahrzehnte hinaus die Mehrheit kosten sollte. Die gesellschaftliche Veränderung Österreichs in den siebziger Jahren, gekennzeichnet durch den
Aufstieg des neuen Mittelstandes, zwang die SPÖ mehr und mehr dazu, in die pragmatische politische Mitte zu rücken.

Dabei wurden Teile der Kernwählerschaft bewusst aufgegeben und blieben politisch heimatlos zurück. Diese Menschen wählten jedoch mangels Alternativen lange Zeit nach wie vor sozialdemokratisch. Man
kann jedoch davon ausgehen, dass mit dem Ende der Ära Kreisky die SPÖ immer weniger eine Herzensangelegenheit ihrer Wähler wurde. Die Partei zeigte Ermüdungserscheinungen, hatte viel von ihrem
Programm umgesetzt und erzeugte deutlich weniger gestalterische Impulse. Auch ließ die wirtschaftliche Lage immer weniger Spielraum zu.

Die Sozialdemokraten beschränkten sich darauf, ihren Vorsprung zu halten. Ab 1983 musste die SPÖ zur Mehrheitsbeschaffung diverse Koalitionen mit bürgerlichen Parteien eingehen. Die große Koalition
zwang schließlich auch die ÖVP zum Marsch ins Zentrum, wobei an ihrem rechts-konservativen Rand immer breitere Wählergruppen politisch heimatlos wurden. Ab 1986 machte es sich die unter Haider
neuformierte FPÖ zum Ziel, diese aufgegebenen Randgruppen zu einer Art „anti-elitären" Bewegung der „Unzufriedenen" und „kleinen Leute" zu sammeln. Gleichzeitig wandten sich besonders liberale und
progressive Wählergruppen von den Großparteien ab, da ihnen zuerst mit den Grünen und später mit den Liberalen nunmehr wählbare Nischenparteien zur Verfügung standen.

Neue Wählerkoalition

Haiders Geschick bestand nun darin, diese Sammelbewegung stetig auszubauen. Dabei war auch die FPÖ gezwungen, sich von Zeit zu Zeit von den jeweils extremsten Mitarbeitern und Wählergruppen (z. B.
Trattnig und Co.) zu trennen, um neue Schichten ansprechen zu können. Auf diese Weise gelang es der FPÖ, eine neue Wählerkoalition aufzubauen, bestehend einerseits aus frustrierten SPÖ-Wählern im
städtischen Arbeitermilieu und andererseits aus frustrierten ÖVP-Wählern im kleinbürgerlichen und ländlichen Milieu. Durch sein legeres Auftreten und sein jugendliches Appeal gelang es Haider
zusätzlich, Jungwähler und ansonsten unpolitische Kreise besonders auf sich aufmerksam zu machen. Gleichzeitig erhielt sich der FPÖ-Obmann mit regelmäßigen Verbeugungen vor Ewiggestrigen die Gunst
betont nationaler Kreise.

Dass eine populistische Wählerkoalition, also ein Alignment rechts der Mitte, in Österreich mehrheitsfähig ist, hatte bereits die Auflagenstärke der „Kronen Zeitung" bewiesen, die ja ein
entsprechendes Leserprofil aufweist.

Ein ergänzendes Erklärungsmodell des Haider-Erfolges ist die Theorie der funktionalen Äquivalente. Diese geht davon aus, dass politisch ähnlich strukturierte Gesellschaften an sich eine ähnliche
Parteienlandschaft entwickeln müssten. Beispielsweise sollte es in Ländern mit einem starken konservativen Wähleranteil äquivalente konservativ-populistische Massenparteien geben. Wenn eine
bürgerliche Großpartei dabei versagt, der ihr zukommenden Funktion zu entsprechen, wird sie über kurz oder lang von einer alternativen Gruppierung verdrängt werden.

In Österreich fiel seit jeher der ÖVP die Rolle zu, sich analog zu ihrem bundesdeutschen Äquivalent CDU/CSU um die klassischen bürgerlichen Themen wie Heimat, Familie, Ordnung, Tradition, Religion,
Kleingewerbe und all jenes zu kümmern, was konservative Wählerstimmen bringt. Die österreichischen Konservativen erwiesen sich jedoch als besonders unfähig, eine Politik zu entwickeln und zu
kommunizieren, die Herz und Hirn (klein-)bürgerlich-konservativer Wähler besonders anspricht. Die logische Alternative dazu wäre für die ÖVP gewesen, sich eindeutig als die moderne Wirtschaftspartei
des Landes zu positionieren. Doch auch das gelang ihr nicht.

Strukturelle Schwächen

Das Problem der ÖVP ist dabei vornehmlich ein strukturelles, weniger ein personelles. Die widersprüchliche bündische Konstruktion der Volkspartei zwingt die Partei stets zu Kompromissen zwischen
ihren zahlreichen Flügeln. Es ist naturgemäß schwer, den Arbeiter- und Angestelltenbund, das Kleingewerbe, die Großindustrie und die Bauern programmatisch unter einen Hut zu bringen. Einerseits tritt
die ÖVP für ein modernes liberales Bürgertum ein, andererseits will sie doch eine im Katholizismus verwurzelte Wertepartei bleiben. So viel widersprüchliche Programmatik verunsichert.

Das zweite strukturelle Problem der ÖVP ist ihre Stärke in den Bundesländern. Während die Schwäche des SPÖ in den Ländern dazu führte, sich voll und ganz auf die Bundesebene zu konzentrieren und aus
dem Kanzlerbonus Kapital schlägt, geht die Volkspartei seit Jahrzehnten den umgekehrten Weg. Mächtige ÖVP-Landesfürsten haben natürlich kein Interesse, Macht an die Bundespartei abzugeben, deren
Obmänner in der Regel weder Volkstribune noch durchschlagskräftige Politmanager sind, sondern das Ergebnis eines langwierigen Kuhhandels zwischen den einzelnen Interessensgruppen.

Das dritte strukturelle Problem der ÖVP ist ihr Image als ewige zweite Regierungspartei. Selbst in der Opposition ist die Volkspartei auf Ebene der Länder und Verbände überall proporzmäßig vertreten.
Daher fällt es ihr im Gegensatz zur FPÖ schwer, eine Erneuerungsrolle für sich zu reklamieren. Als ewige Mitregierungspartei muß die ÖVP jedoch für alle Sünden der Regierung ebenso büßen wie die SPÖ,
ohne allerdings mangels Kanzlerbonuses die Erfolge der Regierung eindeutig für sich verbuchen zu können.

Schlappe für die SPÖ

Die geschlagene Nationalratswahl war zwar, wie von Kommentatoren hinlänglich vermerkt, eine historische Schlappe für die SPÖ, die Stärke der FPÖ erklärt sich dennoch vorwiegend aus der
strukturellen Schwäche der ÖVP. Da die Anzahl der Mitte-Rechts-Wähler in Österreich sehr groß ist, war es auch stets ein Unfug, anzunehmen, das freiheitliche Wählerpotential habe eine fixe Obergenze
irgendwo am rechten Rand.

Durch eine fortlaufende Anpassung ihrer politischen Botschaft („political fine-tuning") spricht die FPÖ mittlerweile weite Teile des bürgerlichen Spektrums ebenso an wie viele
Modernisierungsverlierer im Arbeitermilieu und der Unterschicht. Inzwischen müsste allen längst klar sein, daß die einstige von Kreisky geschaffene Koalition von Wählern beiderseits der Mitte schon
längst zerfallen ist.

Reinhard Heinisch ist Assistant Professor for Political Science an der Universtiy of Pittsburgh, USA.

Freitag, 22. Oktober 1999

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