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Zwei Herren der Regierung

Von Hermann Schlösser

Ich erinnnere mich gut an einen bärtigen jungen Mann, der in den frühen siebziger Jahren gelegentlich in meiner deutschen Heimatstadt Worms am Rhein auftauchte
und · zumindest in meinen unerfahrenen Schüleraugen · den damals zeitgemäßen Typus des „Studentenführers" verkörperte. Eloquent und intelligent forderte er den sozialen Umbau und die Demokratisierung
Deutschlands. Dabei war er sehr um den Kontakt mit der „Basis" bemüht. Wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, wurde seine theoretisierende Rede gelegentlich durch die Forderung unterbrochen, die
Intellektuellen müßten lernen, mit den Arbeitern zu „quatschen". Wie weit dieser Versuch erfolgreich war, konnte ich damals nicht herausfinden, denn die Veranstaltungen, bei denen ich dem jungen Mann
zuhörte, wurden von Arbeitern kaum besucht. Es waren Treffen der Jungsozialisten · Jusos ·, die zwar als Jugendvertreter der SPD auftraten, im wesentlichen aber aus Schülern, Studenten und
Angestellten des öffentlichen Dienstes bestanden.

Der junge Sozialrevolutionär aber, der aus der Universitätsstadt Mainz in die Provinz herabstieg, war der Genosse Rudolf Scharping. Heute schaue ich im Fernsehen zu, wie er als deutscher
Verteidigungsminister den Einsatz der Bundeswehr gegen Serbien rechtfertigt, und ich frage mich, was er oder ich gedacht hätten, wenn in den Jahren 1971/72 irgendein hellseherisch begabter Mensch
prophezeit hätte: In nicht einmal 30 Jahren wird Deutschland in den Krieg ziehen und Du, Scharping, wirst zu denen gehören, die dafür politisch die Verantwortung übernehmen.

Später bin ich einer anderen Führungskraft unserer Tage mehrmals begegnet. Zu Beginn der achtziger Jahre saß Joschka Fischer in Frankfurt am Main hinter der Kasse des „Karl Marx-Antiquariats", in dem
ich häufig kaufte. Ohne zu wissen, wer dieser Buchhändler war, fiel er mir einmal durch seine unzeitgemäß scharfe Kritik an der grün-bunt-alternativen Szene auf. Damals wurde gerade der Neubau der
„Startbahn West" auf dem Flughafen mit dem Bau eines widerstandswilligen „Hüttendorfs" bekämpft. Diese Aktion wurde in der Szene lebhaft unterstützt. Im linken Buchladen jedoch hörte ich mit eigenen
Ohren, wie Fischer im Gespräch einen der profiliertesten Kämpfer gegen die Startbahn als „moralisierendes Arschloch" bezeichnete. Ich weiß auch noch, daß ich damals dachte: Aus dem kann etwas
werden.

Daß diese Prophezeiung eintraf, ist bekannt. Aus dem Buchhändler wurde der deutsche Außenminister, zu dem der alte Kosename „Joschka" gar nicht mehr recht passen will. Zumal auch er heute davon
spricht, daß der Westen die Pflicht habe, seine Wertvorstellungen auch am Balkan durchzusetzen · wenn notwendig, mit Waffengewalt.

Wenn ich also die zwei Herren im Fernsehen betrachte, die ich zufällig von früher kenne, dann kommt mir schockartig zu Bewußtsein, wie sehr sich die Welt seit meinen Jugend- und Studentenjahren
geändert hat.

Damals wurde über soziale Veränderung diskutiert, über die Zerstörung der Umwelt und über den Frieden. Nicht aber über den Krieg · denn daß der in Europa nie wieder stattfinden dürfe, galt als
ausgemacht. Heute sieht es anders aus, und ich wüßte gerne, was Rudolf Scharping oder Joseph Fischer über diese Entwicklung sagen, wenn gerade einmal keine Kamera angeschaltet ist. Doch werde ich das
wohl nicht erfahren. Denn so gut habe ich die beiden auch wieder nicht gekannt.

Freitag, 16. April 1999

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