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Fortunas Füllhorn für Frauen

Zur Situation weiblicher Armut in Österreich
Von Lisa Fischer

Anläßlich des 15jährigen Bestandsjubiläums der 1. Wiener Frauenberatungsstelle und des Instituts für Frauenspezifische Sozialforschung Wien im Herbst 1996 wurde ein Thema aufgegriffen, das aufgrund der gesellschaftspolitischen Entwicklung zunehmende, wenngleich auch erschütternde Aktualität besitzt. Trotz des allgemeinen Wohlstandes, trotz des Reichtums wächst die Armut in Österreich - und sie ist weiblich. In der jüngst erschienen Broschüre "Still und leise in die Unsichtbarkeit. Gegen Armut und soziale Ausgrenzung von Frauen" liegt nun ein Bericht vor, der deutlicher denn je die Problematik konturiert, aber ebenso die wesentliche Funktion der Frauenberatungsstellen als beispielgebende Barriere gegen weibliche Verelendung im ökonomischen, sozialen und psychischen Bereich darlegt.

Expertinnen aus Wissenschaft, Gewerkschaft, der Europäischen Union und aus der täglichen Beratungstätigkeit mit Frauen gelang es damit, sachlich und informativ ein Thema zu beleuchten, das sich in der allgemeinen Tagespolitik nur allzuoft in der Ecke populistischer Ideologisierung wiederfindet.

Wachsende weibliche Armut ist als gesellschaftliche Realität um so skandalöser, als sich gerade Österreich unter den Ländern befindet, in denen der Reichtum nicht nur augenscheinliches Faktum ist, sondern sich zudem weiter vergrößert. "Wer von Armut spricht, darf über den Reichtum nicht schweigen, sagte der deutsche Reichtumsforscher E. U. Huster anläßlich der zweiten "Armutskonferenz" in Salzburg. Die Bilder einer geteilten Gesellschaft, die Ilse König in ihrem Beitrag auf der Wiener Tagung entwarf, bringen dies auf den Punkt. Die Hälfte der Weltbevölkerung, das heißt Männer, kontrollieren weltweit 90% des in Geld gemessenen Einkommens und 99% des in Geld gemessenen Vermögens. Die, in einer Anwandlung Foucaults formulierten - Diapositive der Macht - sind damit eindeutig festgelegt. Die zahlreichen Strategien, die dazu dienen, Kräfteverhältnisse zu manipulieren, finden durch die immer mehr verbildlichten Ausdrücke von Machtverhältnissen neue Stabilisierung zuungunsten der Frauen.

Im Zusammenhang mit der Globalisierung, der beschleunigten Umstrukturierung des Arbeitsmarktes und der starken Veränderung sozialer Gefüge in den demokratischen Wohlfahrtsstaaten ist die Benachteiligung von Frauen jedoch bei weitem kein neues Faktum. Der lange historische Arm weiblicher Armut zeigt sich hier nur in neuem Gewand. Es ist daher um so schockierender, daß mit wirtschaftlichem Wachstum ebenso weibliche Armut zunimmt.

Lohnloser Markt

In Anlehnung an die Definition der Armutskonferenz in Salzburg im Jahre 1995 werden solche Personen als von Armut bedroht bezeichnet, die sich in einer Wohlstandsgesellschaft wie der österreichischen die allgemein akzeptierten Mindeststandards nicht mehr leisten können. Armut wird also in der Konsequenz als weitgehender Ausschluß von gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten verstanden. Frauen betrifft dieser Ausschluß nicht nur in ökonomischer sondern auch in sozialer Hinsicht und wird vor allem durch die daraus resultierende psychische Dimension verschärft.

"Frauen sind bereit, 50 Prozent des Glücks der Kindererziehung gegen 50 Prozent bezahlte Berufsarbeit einzutauschen." Dieser Slogan des Frauen-Volksbegehrens, das im April 1997 in allen Magistraten Österreichs zur Unterstützung aufruft, macht deutlich, daß Benachteiligung von Frauen kein länger zu akzeptierendes Faktum ist. Vielmehr stellt es erneut und verstärkt eine Forderung nach finanzieller Umverteilung und nach Arbeitsplätzen mit existenzsicherndem Lohn und Mindesteinkommen.

Bei den von der Bundesregierung gestützten Deregulierungsmaßnahmen, die mit einem Umbau des Sozialstaates einhergehen, unterteilt sich der Arbeitsmarkt in verschiedene Teilarbeitsmärkte. Da die Hausarbeit unentgeltlich verrichtet wird, kann ergänzend von einem lohnlosen Markt gesprochen werden. Österreichs Frauen zwischen 19 und 60 Jahren arbeiten täglich mehr als 12 Millionen Stunden gratis, das entspricht 1,6 Millionen Beschäftigten bei einem 8-Stunden-Tag. Der rein monetäre Wert dieser Tätigkeit würde, legte man der Berechnung den fiktiven Mindestlohn einer Haushälterin zugrunde, 414 Mrd. Schilling betragen.

Die lohnabhängigen Märkte differenzieren sich anderseits immer mehr aus und münden zunehmend in unterbezahlte und ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse. Wie Irmgard Schmidleithner zeigte, hat seit Mai 1995 die Zahl der geringfügig Beschäftigen um 7,1 Prozent zugenommen. Sie verdienen monatlich höchstens 3.600 Schilling und sind weder kranken-, pensions- noch arbeitslosenversichert. Mehr als doppelt so viele Frauen wie Männer verrichten derartige, meist unqualifizierte Tätigkeiten.

Bildung-, Ausbildungs- und Weiterbildungsangebote vor allem für Frauen sind daher wesentliche Voraussetzung gegen ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse und in nächster Folge gegen die sich immer schneller drehende Armutsspirale. Flankierende Maßnahmen für weibliche Beschäftigungsmöglichkeiten mit sozialrechtlicher Absicherung beinhalten daher in erster Linie die Errichtung von Kinderbetreuungseinrichtungen. Sie sind nicht nur ein Erfordernis, sondern unabdingbar. Die gekürzte Kindergartenmilliarde ist in Anbetracht dieser Fakten geradezu ein Hohn und im arbeitsmarktpolitischen Sinne kontraproduktiv.

Deprivilegierung der Männer

Selbst wenn Frauen jedoch vollbeschäftigt sind, verdienen sie nach wie vor ein Drittel weniger als Männer. Die finanzielle Benachteiligung setzt sich bei Frauen demgemäß bis ins Alter fort. Der Durchschnitt der Alterspension liegt bei Frauen bei 7.900 Schilling, bei Männer bei 13.900 Schilling. Die Forderung nach gleichviel Arbeit und gleichem Lohn wäre für Frauen ein phänomenaler Gewinn. Laut einer Schweizer Studie würde das für Frauen bedeuten, daß sie 10 Prozent weniger arbeiten, aber dafür fast das Doppelte verdienen würden. Männer hingegen würden 10 Prozent länger arbeiten, aber ein Drittel weniger verdienen. Die von Foucault formulierten "Diapositive der Macht" versuchen diese Forderung daher zu verhindern. Frauenpolitik und Gleichstellungsoffensive bedingen automatisch eine Deprivilegierung des männlichen Machtsystems, das diese seinerseits zu verhindern sucht.

Armut bleibt kein individuelles Schicksal, sondern wird zu einem gesellschaftspolitischen Problem, berücksichtigt man die Folgen. Steigende Armut einiger korreliert mit wachsenden Ängsten vieler und gefährdet damit den sozialen Frieden. Kalkuliert man diesen, mit monetären Maßstäben nur schwer berechenbaren Frieden mit ein, so wachsen die Kosten für die staatliche Ökonomie ins Unermeßliche. Je nach Berechnungsmethode von Ex~pertInnen des Sozialministeriums werden zwischen 770.000 und 1,5 Millionen Personen in Österreich als "armutsgefährdet" eingestuft. Zwei Drittel dieser Haushalte können sich keinen Urlaub leisten. 20 Prozent aller Kinder leben in Haushalten unterhalb der Armutsgrenze, sofern die auf die Ökonomie eingeschränkte Definition angewendet wird. Dies ist oft eine Konsequenz fehlender oder wenig attraktiver Erwerbschancen für Frauen. Erweitert man die Definition von Armut jedoch in oben genanntem Sinne, dann gelangt man in den großen Bereich der verdeckten Armut. Soziale Ausgrenzung, Isolation, psychische und physische Krankheiten zeigen eine Verknüpfung von diversen Faktoren, die alle zu einem Ausschluß gesellschaftlicher Teilhabe von Frauen führen und sie an den Rand der Gesellschaft drängen.

Die Frauenberatungsstellen wurden in den letzten Jahren zunehmend mit der Realität dieser von Marginalisierung und Armut betroffenen Frauen konfrontiert. Im Rahmen des Projektes "Fortuna" führten Traude Ebermann und Dorothee Böhme-Lindmaier für das Institut für Frauenspezifische Sozialforschung im Auftrag der Europäischen Union im Jahre 1996 eine Untersuchung durch, die Gründe der Ausgrenzung und Strategien dagegen aufzeigen sollten. Gruppenarbeit, Einzelberatung und eine Fragebogenerhebung führten dabei zu frappierenden Ergebnissen. 73 Prozent der befragten Frauen hatten in ihrem Leben bereits mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen, die Hälfte der Frauen, die in die Beratungsstelle kamen, mußten mit einem Familieneinkommen von 7.000 Schilling bis 10.000 Schilling ihr Auslangen zu finden. Mehr als ein Drittel litt unter großen psychischen Problemen, und 35 Prozent beurteilten ihren gesundheitlichen Zustand als schlecht. Streß, Erschöpfung, Versagensgefühle und Ängste waren die meistgenannten Ursachen.

Je unzufriedener eine Frau mit ihrer Lebenssituation war, desto schlechter war auch ihr psychisches Befinden. 54 Prozent fühlten sich sozial ausgegrenzt, 46 Prozent reagierten darauf mit körperlichen Beschwerden. Frauen, die durch mangelnde Kinderbetreuung isoliert waren, wiesen einen signifikant schlechteren Gesundheitszustand auf als andere. 82 Prozent gaben an, Gewalt erfahren zu haben. Ökonomische, soziale und psychische Faktoren bedingten zusammen eine massive Gefährdung von Frauen, die die Beratungsstelle aufsuchten.

Nach sechs Monaten der Betreuung der hilfesuchenden Frauen durch qualifizierte Psychologinnen, nach eingehender Analyse und der Bearbeitung der diversen Problemfelder, zeigte sich die Effizienz der psychotherapeutischen Interventionen. Abbau von Ängstlichkeit, Depressivität und eine Reduktion der Isolation konnten bei allen Betroffenen als allgemeiner Erfolg konstatiert werden. Die zahlreichen Gruppenangebote, wie Mobbing und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, Wiedereinsteigerinnen, psychosomatische Beschwerden, Grenzen setzen und überwinden usw. führten bei den Teilnehmerinnen zu gestärktem Selbstbewußtsein. Dieses wurde vor allem für Wiedereinsteigerinnen zum Gradmesser ihrer Reintegrationsfähigkeit. Starke Solidarisierungsprozesse zeigten sich in der Gruppe gegen Mobbing und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Schließlich konnte in der Gruppe für psychosomatische Beschwerden der wesentliche Effekt der psychotherapeutischen Betreuung für die körperliche Gesundung unter Beweis gestellt werden.

Das gesamte Projekt unterstrich die unentbehrliche Funktion von Beratungsstellen im Kampf gegen Armut von Frauen und deren Folgen. Derartige Institutionen geben nicht nur professionelle Hilfe, sondern führen durch ihre Hilfe zur Selbsthilfe zu Solidarität und Aktivität. Frauenberatungsstellen sind Orte gegen wachsende Ausgrenzung von Frauen und deren ökonomische und gesundheitliche Folgen. Sie stellen aber in nächster Konsequenz eine wesentliche Säule psychohygienischer und arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen dar - und setzen auch im bildungspolitischen Sinne wichtige Akkzente.

Gesünder durch Rechtsberatung

In den letzten 15 Jahren bildete sich in den Beratungsstellen eine hohe Professionalität heraus. Sie zeigt sich bei den Beraterinnen mittlerweile nicht nur anhand ihrer psychotherapeutischen Ausbildung, die sie zu hochqualifizerten Expertinnen macht, sondern sie weist sie ebenso als fundierte wissenschaftliche Theoretikerinnen aus. Durch ihre komplexen Arbeitsfelder verbinden sie praktische Interventionen mit strukturellen Analysen. Zusammen mit den Frauen entwickeln sie volkswirtschaftlich nutzvolle Strategien. Diverse Faktoren der Armutsgefährdung können damit reduziert und durch zusätzliche einschlägige Rechtsberatung auch verhindert werden.

Frauen, die Rechtsberatungen in Anspruch nehmen, sind nicht nur besser informiert und selbstbewußter, sie sind auch gesünder. Über ganz Österreich verteilt fungieren die Mitarbeiterinnen von Frauenberatungsstellen als Multiplikatorinnen. Zusammen mit dem Ministerium für Frauenangelegenheiten erhält der "österreichische weibliche Weg" im europäischen Vergleich mittlerweile eine Vorbildfunktion.

In Zeiten nationaler Sparpakete und internationaler Deregulierungsmaßnahmen wächst die Bedeutung derartiger Netzwerke. Es gilt daher Frauenberatungsstellen weiter auszubauen anstatt ihre Bedeutung zu hinterfragen oder bei ihnen sogar den Rotstift anzusetzen. Nur mit gezielten Maßnahmen, die einer flächendeckende Arbeit der Frauenberatungsstellen ermöglichen (und nicht wie in Niederösterreich mit der drohenden Schließung der Frauen- und Mädchenberatungsstelle "Kassandra" enden) kann der zunehmenden Verarmung von Frauen und der sozialen Destabilisierung der österreichischen Gesellschaft entgegengewirkt werden. Sowohl in arbeitsmarktpolitischer Hinsicht haben sich Frauenberatungsstellen in den letzten 15 Jahren als unentbehrlicher Bestandteil österreichischer Politik erwiesen. Tagung und Studie haben dieses Faktum erneut eindringlich unter Beweis gestellt.

Da von seiten der Wirtschaft immer wieder darauf hingewiesen wird, daß antizyklisches Handeln wirtschaftlich produktiv ist, kann die Konsequenz daher in Zeiten des allgemeinen Sparens nur eine neue Politik der Ausgaben sein. In diesem Sinne ist das Füllhorn von Fortuna Symbol für eine Variante der finanziellen Umverteilung, die Ausgaben dort anzusetzen hat, wo sie sich nur allzuschnell amortisieren werden: bei den Frauen.

Tagungsdokumentation anzufordern bei: Verein Frauen beraten Frauen, Institut für frauenspezifische Sozialforschung, Lehárgasse Nr. 9/2/17, A-1060 Wien, Tel: 587 67 50, Spendenkonto: CA-BV 0073-3160/00.

Dienstag, 19. Mai 1998

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