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Blicke aufs Häusermeer

Erhöhte Aussichtspunkte haben schon immer Schaulustige angelockt
Der Kahlenberg – hier ein Foto aus den 1950er Jahren – gehört seit dem 19. Jahrhundert zu den beliebttesten Beobachtungsposten in der Umgebung Wiens. Foto: Archiv Payer

Der Kahlenberg – hier ein Foto aus den 1950er Jahren – gehört seit dem 19. Jahrhundert zu den beliebttesten Beobachtungsposten in der Umgebung Wiens. Foto: Archiv Payer

Von Peter Payer

Hast du vom Kahlenberg das Land dir rings besehn, so wirst du, was ich schrieb und was ich bin, verstehn. Diese Tagebucheintragung Franz Grillparzers, bis heute ein Standardzitat in der populären Wienliteratur, bringt – aller patriotischen Rührseligkeit zum Trotz – doch eines zum Ausdruck: Besseres Verstehen hat mit Abstand-Halten und Überblick-Gewinnen zu tun – gerade, was die Wahrnehmung der Großstadt betrifft.

Je größer die Städte anwuchsen, umso mehr entzogen sich ihre Einzelheiten der Wahrnehmung. Wer sie in all ihrer Opulenz und Vielfalt begreifen wollte, musste sie verlassen, musste Distanz zwischen sich und das Angeschaute legen. So ließ denn auch seit Beginn des 19. Jahrhunderts kein Reisender die Gelegenheit aus, in jede Stadt, die er besuchte, auf einen hohen Turm oder Berg zu steigen, um von dort aus die Stadt in ihrer Gesamtheit zu überblicken.

Der Blick vom Turm

In Wien war der bevorzugte Beobachtungsposten zunächst der die Stadt überragende Turm des Stephansdoms. Seit seiner Fertigstellung wurde von hier, genauer gesagt von der 72 Meter hoch gelegenen Türmerstube aus, die umliegende Stadt auf mögliche Gefahren hin observiert (Feuersbrünste, herannahende Feinde). In den 1840er Jahren bestieg erstmals ein Schriftsteller den Turm. Adalbert Stifter, Initiator und Hauptautor des literarischen Großprojekts "Wien und die Wiener", wollte seinen Lesern die Stadt von oben beschreiben. Nur noch von hier aus erschien sie ihm einigermaßen fassbar, war ihre Physiognomie erkenn- und somit darstellbar. Angesichts der schier unendlichen Masse an Häusern sprach Stifter euphorisch vom "Häusermeer" , das sich zu seinen Füßen erstrecke, und von der "Riesenscheibe, die da wogt und wallt und kocht und sprüht und sich ewig rührt in allen ihren Teilen".

Mit dem maritimen Bild vom "Häusermeer" war eine zentrale Metapher für die neue, panoramatische Wahrnehmung der Großstadt gefunden, in der sich die Erfahrung der Entgrenzung des Raumes ebenso ausdrückte wie das Aufgehen individueller Befindlichkeit in einer homogen, anonymen Masse.

Auch die noch junge Fotografie entdeckte in jenen Jahren den Reiz des Blicks von der Höhe herab. Vom Stephansturm aus aufgenommene Panoramafotos von Joseph Petzval, um 1850 entstanden und jüngst im Technischen Museum ausgestellt, gehören heute zu den ältesten fotografischen Dokumenten Wiens.

Wie auf diesen Fotografien deutlich wird, war die Stadtstruktur zunächst noch relativ übersichtlich, hob sich doch die von den Befestigungsmauern umgürtete Innenstadt recht deutlich ab vom unverbauten Glacis und den daran anschließenden Vorstädten und Vororten. Dies sollte sich jedoch mit dem in den 1850er Jahren begonnenen Abbruch der Stadtmauern und der rasanten Verdichtung der Verbauung entscheidend ändern.

Neben die Bewunderung für die Schnelligkeit, mit der sich die Stadt ausbreitete, trat immer häufiger auch ein Gefühl von Orientierungslosigkeit, bisweilen gar Verlorenheit. So stellte Reinhard E. Petermann, Schriftsteller und Historiker, der die Großstadtwerdung Wiens publizistisch begleitete, im Jahre 1905 beinahe resignierend fest: "Nun sind alle diese Teile zu einem so ins Riesenhafte gediehenen Häusermeer zusammengewachsen, dass es dem auf einer Höhe außerhalb stehenden Beobachter schwer fällt, sich in dem schier unendlichen Mosaik zurechtzufinden." Der Blick von oben machte es deutlich: Der Einzelne war längst nur mehr ein "Tropfen im Ozean", hin und her gerissen im Strom der Häusermassen.

Im Wienerwald

Petermann stand allerdings nicht mehr im Zentrum der Stadt, sondern außerhalb. Er hatte sich auf die Höhen des Wienerwalds begeben. Dabei waren es vor allem der Kahlen- und Leopoldsberg, die sich zum bevorzugten Ort für die Wien-Schau entwickelten. Von Malern und Fotografen in unzähligen Ansichten verewigt, vom neu entstehenden Massenmedium der Ansichtskarte in großer Stückzahl verbreitet, wurde dieser Blick auf Wien zum Standardpanorama der Stadt.

Bei Tag – und in zunehmendem Maße auch bei Nacht. Denn die voranschreitende künstliche Beleuchtung der Stadt war zu einer regelrechten Sehenswürdigkeit geworden, die es, so Petermann, verdienen würde, "in den Reisebüchern besonders vermerkt und den Besuchern Wiens zur Besichtigung empfohlen zu werden" . Es war eine völlig neue visuelle Erfahrung, die einem nachts von der Höhe aus geboten wurde. Euphorisch sprach man vom "irdischen Sternenglanz" und vom "Lichtermeer" , das sich über die ganze Stadt ausbreite.

Die eindrucksvolle Aussicht, die die beiden Wiener Hausberge boten, wurde schließlich sogar geadelt und zum "Elisabeth Fernblick" ernannt, denn auch die Kaiserin Sisi, bekanntlich eine leidenschaftliche Wandererin, schaute einst vom Leopoldsberg hinunter auf die Kaiserstadt. Eine Gedenktafel an der Kirche, 1904 vom Verein der Lehrerinnen in Korneuburg errichtet, erinnert noch heute daran: "Weiland Ihre Majestät die Kaiserin und Königin Elisabeth hat im Mai des Jahres 1896 von diesem Platze aus weite Umschau gehalten."

Eine Gedenktafel für einen Ausblick zu errichten, belegt, wie sehr diese Perspektive zur Jahrhundertwende bereits zur Stadt-Identität gehörte – wohl auch deshalb, weil das sich vor den Augen der Einheimischen und Touristen ausbreitende Tableau sämtliche klassischen Wien-Ingredienzien enthielt: Weinberge, Donau, Innenstadt mit Stephansdom und Riesenrad.

Im Übrigen war auch das Riesenrad, 1897 eröffnet und knapp 65 Meter hoch, zu einer neuen, immer beliebteren Möglichkeit geworden, die Stadt von oben her zu betrachten, wobei die Automatik der auf- und absteigenden Bewegung in diesem Fall eine zusätzliche Attraktion darstellte. Allerdings war dies stets nur ein Nebenschauplatz, ein visuelles Zusatzangebot. Unangefochtener Hauptschauplatz blieb weiterhin der Wienerwald. Hier war mittlerweile auch eine Reihe von Aussichtswarten (Habsburgwarte, Jubiläumswarte etc.) entstanden, dank denen das zumeist bürgerliche Publikum seiner Lust am Wandern und Schauen frönen konnte.

Die Höhenstraße

Stets ging es bei der Herstellung von Blickbeziehungen auch um die symbolische Aneignung der Stadt. Neue Ausblicke zu schaffen oder alte weiter zu pflegen, war und ist nicht zuletzt Ausdruck von Macht und Herrschaft. Dies verdeutlichte die in den 1930er Jahren errichtete Höhenstraße, ein Vorzeigeprojekt des austrofaschistischen Ständestaates. Als Ausflugs- und Aussichtsstraße wurde der neue Verkehrsweg explizit für die begüterte, automobile Gesellschaft angelegt, die die Stadt von hier aus in ihren – nunmehr mobilen – Blick nehmen konnte.

Was im Norden und Westen der Wienerwald, war im Süden der Wienerberg. Auch von seinen Höhen aus konnte man sich einen guten Überblick über die Stadt verschaffen. Traditioneller Ort dafür war die Gegend bei der "Spinnerin am Kreuz", an der alten Fernhandelsstraße Richtung Süden (heute Triesterstraße) gelegen. Allerdings stellte dies keine dauerhafte Konkurrenz zu Kahlen- und Leopoldsberg dar. Zu schnell wurde die Gegend um die "Spinnerin" von der Verbauung eingeholt und in das großstädtische Gefüge integriert, zudem hatte die Stadtlandschaft von hier aus gesehen bei weitem nicht so viel Attraktionspotential wie vom Norden her betrachtet.

Der flache Osten

Bleibt noch der Osten Wiens, aufgrund seiner flachen Topografie seit jeher völlig ungeeignet für vogelperspektivische Ambitionen. Erst der Donauturm, 1962-64 auf dem Gelände des Donauparks im Zuge der Wiener Internationalen Gartenschau (WIG 64) errichtet, beendete diese Benachteiligung. Von der Aussichtsterrasse und – als Novität – einem drehenden Restaurant aus konnte man nun in 169 Meter Höhe auf und über die Stadt blicken, bequem auf einem Sessel sitzend, aus bisher unbekannter Perspektive. Ein neue Sicht der Stadt bot sich dar, in der die Donau ganz nahe rückte und die Hügel des Wienerwalds in kulissenhafte Ferne.

Erst jetzt, mit dem Schließen des Blickkreises um Wien, waren die transdanubischen Bezirke zu gleichrangigen Teilen der Stadtlandschaft geworden, konnten endlich vollständig integriert werden. Der Donauturm stellte, auch in seiner architektonisch-ästhetischen Qualität, das weithin sichtbare Zeichen dieses (politischen) Anspruchs dar.

Welch eminente politische Bedeutung die Schaffung von Blickbeziehungen bis heute hat, zeigt sich nicht zuletzt in der Wiener Innenstadt. Umschau zu halten von einer größeren Höhe als dem Stephansdom aus, würde einem Bildersturm gleichkommen. (Diese Dominanz im Visuellen hat übrigens eine Entsprechung im Akustischen mit der "Pummerin" als unbestritten lautester Glocke Wiens.)

Wiener Hochhäuser

Das einzige Hochhaus, das in der Innenstadt realisiert werden konnte, jenes von Theiß & Jaksch in der Herrengasse (errichtet 1931), blieb denn auch tunlichst unter der kritischen Metermarke. Nur am Rande der Altstadt konnte man sich schließlich nach 1945 deutlicher in die Höhe wagen. Prominentestes Beispiel: Der Ringturm am Schottenring, 1955 nach Plänen von Erich Boltenstern fertiggestellt, der 73 Meter hohes Gebäude einen städtebaulichen Akzent als Abschluss der Ringstraßenverbauung zum Donaukanal hin setzte.

Der Ringturm und die zahlreichen weiteren, in den folgenden Jahrzehnten in ganz Wien errichteten, deutlich höheren Gebäude, von der UNO-City bis zu den Twin-Towers am Wienerberg oder dem Millennium-Tower in der Brigittenau, haben jedoch eines gemeinsam: Sie dienen Büro- und Wohnzwecken, sind keine Aussichtstürme im eigentlichen Sinne. Ohne allgemein zugängliche Bereiche stellen sie letztlich auch keine Blickkonkurrenz zu den vorhandenen Aussichtsorten dar. Es sind elitäre Wien-Blicke, die hier entstanden, reserviert für einen eingeschränkten Benutzerkreis.

So bleibt die populärste Sicht auf Wien jene von den Höhen des Wienerwalds herab. Dies wird auch im touristischen Sinne weiter gepflegt und passt perfekt in das so erfolgreich vermarktbare "Alt-Wien"-Image. Der nostalgisch verklärte Blick auf Wien erhält somit auf der Ebene der Stadtrundschau seine Entsprechung. Und wenn sich auch in der Ferne die neue "Donau-City" abzeichnet, so erscheint diese bisweilen doch wie eine unwirkliche Parallelstadt, die nur sehr wenig mit dem ursprünglichen Wien zu tun hat.

Wie beliebt dieser Blick auf die historische Stadt immer noch ist, belegt eine weitere Gedenktafel: Als der japanische Kaiser Akihito und seine Gemahlin Kaiserin Michiko im Juli 2002 auf Staatsbesuch in Wien weilten, besuchten sie eine Stelle im Lainzer Tiergarten, die für ihre prächtige Aussicht bekannt ist und deshalb den Namen "Wienerblick" trägt. Von hier aus genossen sie – wie uns die Inschrift auf der Tafel voll Stolz verkündet – "bei strahlend schönem Wetter" den Blick auf die Stadt.

Peter Payer, geboren 1962, ist Historiker und Stadtforscher in Wien. Im Verlag Punkt, Wien, ist 2005 sein Buch "Ansichtssachen. Die Vorstadt in privaten Fotografien" erschienen.

Samstag, 04. Februar 2006

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