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So ähnlich und doch so anders

Amerika-Befunde, gesammelt inner- und außerhalb der Universität von New Jersey
Mit der amerikanischen Freundlichkeit ist es oft nicht weit her, etwa bei Taxifahrern in New York. Foto: bilderbox

Mit der amerikanischen Freundlichkeit ist es oft nicht weit her, etwa bei Taxifahrern in New York. Foto: bilderbox

Von Daniela Strigl

Wer in Amerika war, der fühlt sich berufen, den Landsleuten zu erklären, wie es dort ist. Weil schon recht viele in Amerika waren, gibt es etliche konkurrierende Erklärungsversuche und immer weniger Erklärungsbedürftige. Die, die noch nie in Amerika waren, wissen am besten, wie es dort ist und warum sie nicht hin wollen.

Auch ich habe das immer genau gewusst. Jetzt war ich gute drei Monate dort und weiß es besser. Grund genug, der Haltbarkeit meines Befundes zu misstrauen. Überdies ist er, wie alle Amerika-Befunde, übertrieben, subjektiv verzerrt und von begrenzter überregionaler Aussagekraft: Ich war an der Ostküste, in New Jersey, in New York City und in Upstate New York, in Massachusetts, in Connecticut, ein kleiner Ausschnitt aus einem großen Land.

Und ich hatte Einblick in ein spezielles Milieu: als „Scholar in Residence“ an Rutgers, der State University von New Jersey, gegründet 1766 vom englischen König, an der – an drei Standorten – rund 40.000 Leute studieren. Das „Department of German, Russian, and East European Languages and Literatures“ befindet sich auf dem Campus von New Brunswick, einer Stadt, vierzig Zugminuten von New York entfernt, die bis 1935 die am besten erhaltene Kolonialarchitektur der USA hatte. Dann wurde abgerissen.

Üppige Bürokratie

Das Merkwürdige an den USA ist doch, dass das Leben dort dem in Europa so ähnlich und zugleich so anders ist. Und dass ihre Bewohner dieses Anderssein kaum wahrnehmen: Sie wundern sich über die von Besuchern konstatierten Unterschiede. Ein fremdes Land erleben heißt immer die vorgefassten Meinungen mit der vorgefundenen Realität vermessen. Welche Klischees werden durch die „wirklichen“ Verhältnisse beglaubigt, welche widerlegt?

Dass in Amerika einfach alles größer ist – das stimmt zum Beispiel: die Leute, die Essensportionen, die Kaffeebecher, die Lastwagen, die Einkaufswagen, die Wildgänse, die Möwen. Daß man dort schlecht isst – das stimmt zum Beispiel nicht, ich habe keinen einzigen Hamburger gegessen; in New York kann man ohnehin alles kaufen, aber auch in New Brunswick bietet der von Hispanics frequentierte Supermarkt allerhand Exotisches.

Als mythisch stellte sich die Behauptung heraus, in den Staaten gebe es weniger Bürokratie als hierzulande. Diese Erkenntnis dämmert einem noch vor der Abreise, wenn man sich beim amerikanischen Konsulat um ein Visum bewerben muss. Die US-Botschaft lässt sich allein die telefonische Annäherung teuer bezahlen: Mit 2,16 Euro pro Minute dürfte man sich schon auf dem Niveau heißerer Hotlines bewegen. Wenn man nicht nach drei, vier Minuten Wartezeit aus der Leitung fliegt, gelangt man zu Mitarbeitern eines Callcenters, die einem technische Anweisungen er- sowie einen „Interview“-Termin zuteilen; zu inhaltlichen Auskünften sind sie nicht berechtigt. Man gibt auf dem Formular an, dass man nicht beabsichtigt, „in die USA einzureisen, um staatsgefährdende, terroristische oder sonstige rechtswidrige Handlungen zu begehen“ , dass man nicht „ an von der Naziregierung in Deutschland angeordneten Verfolgungen oder an Völkermord beteiligt“ war, ja nicht einmal als Prostituierte oder als Zuhälter gearbeitet hat. Die Antragsgebühr beträgt 100 Dollar, man muss aber, nach einem fiktiven Kurs, 85 Euro zahlen.

Im Konsulat nimmt einem die Frau Konsul persönlich die Fingerabdrücke ab, das „Interview“ ist kein vertrauliches Gespräch: Über Lautsprecher werden die namentlich Aufgerufenen coram publico am Schalter verhört, manche über ihre Geschäfts-, Ehe- und Familienverhältnisse. Das Visum samt Pass darf man sich, wenn die Zeit auch noch so drängt, nicht abholen, beides wird einem per Post geschickt, nicht eingeschrieben.

Also, denke ich mir, so glühend ist mein Wunsch nach Einreise auch wieder nicht; in die CSSR zu kommen, war einst ein Kinderspiel dagegen, aber jetzt gibt es kein Zurück. Auf amerikanischem Boden, am Flughafen von Newark, sieht die Sache in Gestalt eines schwarzen Immigration Officer schon freundlicher aus: Er hat just an Rutgers studiert und findet es toll, dass man so weit reist, um an „seiner“ Uni zu arbeiten. Freilich kann er sich – wie viele – nicht vorstellen, dass man nach einem Semester wieder zurück nach Europa will. Wo es doch in den USA so wenig Doktoren gibt und man hier jeden erdenklichen Lehrer-Job bekäme!

Als gewaltig schwerfällig erweist sich dann die Universitätsbürokratie, die man in den Instituten mit kafkaesker Schicksalsergebenheit erduldet. Erste Zahlungen stellen sich erst nach zwei Monaten ein (als Österreicherin habe ich Pech: mein Forschungsstipendium gilt hier als Gehalt, und während es mit Deutschland ein [gültiges] Abkommen über die Steuerfreiheit von Austausch-Lehrern gibt, hat Österreich in Person von Benita Ferrero-Waldner darauf „vergessen“). Überweisungen werden grundsätzlich nicht durchgeführt, man stellt Schecks aus, die im Ausland ungültig sind. Flugtickets werden erst ersetzt, wenn die Gäste wieder heimgekehrt sind – sie hätten ja bei der Fluglinie das Geld kassieren und nach Hause schwimmen können.

Offizielle Informationen sind wenig zuverlässig, mir sagt man, Ausländer würden nach den neuen Sicherheitsbestimmungen keine Social Security Number bekommen (ein wichtiger Identitätsnachweis), ich bekomme aber gleich zwei verschiedene. Gegen das autoritäre Gehabe vieler US-Amtspersonen erscheint das österreichische Beamtentum in einem durchaus milderen Licht.

Überhaupt, die sagenhafte Freundlichkeit der Amerikaner: ich hatte mit gar nicht so wenigen äußerst muffigen und extrem maulfaulen Leuten zu tun, auch unter Taxifahrern und Verkäuferinnen, was begreiflich ist, wenn man an deren mickrige Bezahlung denkt. Freilich gelten die Umgangsformen an der Ostküste auch innerhalb der USA als eher rüde. Besonders freundlich sind hingegen die Kellnerinnen und Kellner. Das Trinkgeld allein kann‘s nicht sein, denn dann müssten sich die Wiener Kaffeehausober auch anders benehmen.

Unsere Wirte könnten sich an der amerikanischen Gastronomie ebenfalls etwas abschauen: Kaum hat der Gast Platz genommen, wird ihm ein Krug mit Eiswasser serviert, und auch in teureren Lokalen findet niemand etwas dabei, wenn man nichts anderes zum Trinken bestellt. Ein gewisser Enthusiasmus wird auch vom Gast erwartet, der das Aussehen der servierten Speisen meist mit Ausrufen größten Entzückens quittiert und auf die Frage nach dem Gemundethaben niemals einfach „good“ sagt, sondern „delicious“, „excellent“ oder zumindest „wonderful“ .

Als sehr angenehm erweist sich im urbanen Miteinander das virtuelle Revier, das jeder, egal welchen Alters, welcher Rasse, welcher Bildungsschicht, dem anderen auch im größten Getümmel zubilligt: Wer immer einen Sicherheitsabstand von etwa einem halben Meter unterschreitet, entschuldigt sich, bisweilen auch emphatisch, es gibt kein Rempeln – mit Ausnahme der New Yorker U-Bahn zur Stoßzeit: Wer sich da nicht mit roher Gewalt in den Waggon quetscht, bleibt übrig.

Auch die New Yorker Verkehrsbetriebe MTA haben einen eher zupackenden Humor, den man sich in Wien wohl nicht leisten könnte: „Tragen Sie Babies und Kinderwagen über die Stiegen“, verlautbart das Unternehmen: „It‘s good for your biceps.“ Andere Möglichkeiten gibt es auch kaum, Rolltreppen oder Aufzüge muss man suchen – im Land der Behindertenlobbies doch erstaunlich. Überhaupt muss man sich von der Hollywood-Vorstellung von High Tech und futuristischen Küchen verabschieden. Die Haushaltsgeräte sind recht primitiv, Wäschewaschen darf man aus Gründen der Statik meist nur im Keller, das Trinkwasser ist keines und also nur mittels eines Filterapparates genießbar.

Die berühmte amerikanische Herzlichkeit habe ich natürlich auch genossen und keineswegs als oberflächlich oder falsch empfunden. Es ist einfach nett, wenn man als Neuankömmling von Kollegen zu Parties oder zum Mittagessen eingeladen wird, die sich so verhalten, als läge in jedem Small Talk der Keim zu einer Freundschaft fürs Leben. Gewöhnungsbedürftig sind freilich die von manchen gepflegten Formen überschwänglichster Bekräftigung von sehr schwach Ausgeprägtem: Will man hüben etwas bestimmt nicht tun, sagt man „vielleicht“ oder „wir werden sehen“ , drüben heißt es dann zumindest „that would be great“ .

Als Gast habe ich das schönste Zimmer im German Department, mit Klimaanlage, aber im kalten Oktober ein paar Wochen ohne Heizung, weil sie „von oben“ nicht eingeschaltet wird. Ich finde einen dekorativen Talar, der mir gute Dienste leistet. Das Institut ist in einem 100-jährigen hölzernen Knusperhäuschen untergebracht, das die Uni-Verwaltung für baufällig erklärt hat, weil sie es abreißen will. Deshalb dürfen aus Sicherheitsgründen dort keine Seminare abgehalten werden, sehr wohl aber sogenannte Brown Bag Lectures , spezielle Mittagsunterhaltungen, bei denen während (!) des Vortrags Lunch serviert wird (früher brachte man ihn im braunen Papiersack selber mit). Der Vortragende profitiert davon nicht, weil er nicht gut mit vollem Mund reden kann. Die Einrichtung trägt dem Umstand Rechnung, dass die Leute hier, im Gegensatz zum heimischen Unibetrieb, ständig in furchtbarer Eile sind. Da sie aber sowieso einmal essen müssen, legt man das gleich mit der geistigen Nahrungsaufnahme zusammen.

Brown Bag Lectures

Ich halte einige Vorträge mit Verpflegung und beteilige mich an einem hervorragenden Seminar zur österreichischen Literatur von Bachmann bis Jelinek. Das sprachliche und intellektuelle Niveau der zehn Teilnehmer ist äußerst unterschiedlich, die Betreuung durch die Professorin maßgeschneidert. Studenten sind hier in erster Linie Kunden, auch schwächere werden mitgeschleppt, der Dekan rügt die allzu strenge Benotung: Den German Studies schwimmen die Felle davon, Quoten müssen erfüllt, Modisches – zum Beispiel Filmwissenschaft – muss angeboten werden.

Die Studienkosten steigen in den USA jährlich um fünf bis sieben Prozent, in Rutgers betragen sie mehr als 9000 Dollar pro Jahr (bzw. 17.000 für nicht in New Jersey Ansässige), in Princeton, Yale oder Harvard rund 30.000. Graduierte Studenten (etliche kommen hier aus Deutschland) verdienen sich ihr Studium durch Sprachunterricht für jüngere Semester – ein Privileg angehender Geisteswissenschaftler, die so von Angehörigen lukrativerer Berufe wie Medizinern und Juristen indirekt gesponsert werden.

Das Abschiedsessen mir zu Ehren findet im Rutgers University Club statt. Die Mäzenin des Departments ist anwesend, eine aus Mährisch-Ostrau stammende jugendliche alte Dame, die seinerzeit, als Frau im nahen Princeton nicht zur Dissertation zugelassen, in Rutgers Zuflucht fand und sich dafür seit Jahrzehnten revanchiert hat.

Ich beschließe, ein ungeschriebenes Gesetz zu verletzen und zum Lunch ein Glas Wein zu bestellen, der Ruf austriakischen Phäakentums ist ohnehin nicht abzuwenden. Jetzt will die Kellnerin plötzlich wissen, ob ich Clubmitglied bin, die Mäzenin nimmt die mittägliche Ausschweifung auf ihre Kappe, nun trauen sich auch andere, in der aufkeimenden Beschwingtheit versichert man sich gegenseitig der Freude über ein Wiedersehen. Fast hätte ich gesagt: That would be great .

Daniela Strigl, geboren 1964 in Wien, Literaturwissenschaftlerin und -kritikerin, seit 2003 Mitglied der Jury des Ingeborg Bachmann-Preises.

Samstag, 11. Februar 2006

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