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Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Weihnachtsnamen allerorten

Eine topologische und etymologische Spurensuche in fernen Zeiten und Weltgegenden
Trademark

Trademark "Natalie": Weingenuss für weihnachtlich Gestimmte.

Christmas Island für Sparsame.  Fotos: Robert Bressani

Christmas Island für Sparsame. Fotos: Robert Bressani

Von Ingeborg Waldinger

Ein kleiner Junge namens Marcel studiert den Fahrplan einer Bahnlinie. Die Namen der Städte beflügeln seine Phantasie, lassen in ihm ein buntes Universum erstehen. Eines Tages wird der erwachsene Marcel sich dieses "grandios" mit Namen beladenen Zuges erinnern: Die Namen "gaben mir von gewissen Stätten dieser Erde eine übersteigerte Vorstellung ein, indem sie . . . ihnen etwas wie eine erhöhte Wirklichkeit verliehen . . .; zweifellos hatte ich alles, wonach meine Phantasie verlangte und was meine Sinne nur unvollständig und ohne Freude in der Gegenwart wiederfanden, in diese letzte Zuflucht der Namen gebannt". (Marcel Proust, "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit") Marcels Versuche, die Vergangenheit durch Erinnerung zurückzuholen, enden in Desillusion. All jene Namen, welche das Vorstellungsvermögen für Wesenheiten gehalten hatte, zerfallen letztlich in bloße Wörter.

Magische Erinnerung

Eine magische Poesie scheint auch von jenem Fest auszugehen, das den Namen "Weihnachten" trägt. Mit ihm verknüpfen sich Erinnerungen an glanzvolle Höhepunkte der eigenen Kindheit. Solche Reminiszenzen nähren den Wunsch, die stets zerfließende Zeit anzuhalten, dem persönlichen Erinnern Raum zu geben. Das längst zur Hoch-Zeit des Konsumismus mutierte Fest fördert unzeitgemäß Proustsche Sehnsüchte zutage.

Welche Vorstellungen aber vermag "Weihnachten" auszulösen, wenn das Wort Personen, Orte, Dinge oder Ereignisse bezeichnet? Wie kommt es überhaupt zu solchen Namensgebungen? Die folgende topologische und etymologische Spurensuche macht, um nochmals mit Proust zu sprechen, die geringe Fassungskraft von Namen deutlich.

Es gibt Pflanzen, die zur Weihnachtszeit erblühen. Dazu gehört die Poinsettie – besser bekannt als "Weihnachtsstern." Dieses Wolfsmilchgewächs ( Euphorbia Pulcherrima ) war ursprünglich in den Hochebenen Mexikos beheimatet und erreichte eine Höhe von fünf Metern. Der nordamerikanische Gesandte in Mexiko, Joel Poinsette, hatte die später nach ihm benannte Pflanze anno 1828 entdeckt. Ihre in Karminrot erstrahlenden Hochblätter liefern einen intensiven Farbstoff, die hautreizende Milch der Stängel ein bewährtes Fiebermittel. Heute existieren viele, auf die Zimmerkultur abgestimmte Zuchtformen.

Den Bezug des Pflanzennamens zu Weihnachten liefert eine alte mexikanische Geschichte. Ein kleiner, armer Bub wollte dem Christkind ein Geschenk machen. Da er nichts zu geben hatte als sein Gebet, wagte er nicht vor die Krippe im Kircheninneren zu treten, sondern betete an der Außenwand des Gotteshauses. Kaum hatte er sich aber erhoben, entspross vor ihm eine wundervolle Pflanze mit leuchtend roten Blättern. Der kleine Mexikaner hatte nun sein Geschenk fürs Christkind.

Die Natur zeigt sich zur Weihnachtszeit jedoch auch von manch unerfreulicher Seite. Im Abstand von drei bis acht Jahren tritt das Klimaphänomen "El Niño" auf.

Das spanische Wort bedeutet "Christkind" oder "kleiner Knabe". Es bezeichnet eine üblicherweise um Weihnachten einsetzende Veränderung der pazifischen Strömungen an den Küsten Perus und Ecuadors. Der kalte Humboldtstrom schwächt sich ab. Das normalerweise westwärts strömende warme Wasser der Meeresoberfläche dreht nach Osten zurück. Dies führt zu einer Erwärmung des Ostpazifiks, während die Wassertemperatur vor Australien und Indonesien sinkt. In der Folge kann es zu einer Dürreperiode in Südostasien und zu heftigen Regenfällen in Südamerika kommen. Mitunter bewirkt die Erwärmung des Meerwassers auch ein Massensterben von Fischen oder Korallen. Möglicherweise verstärkt der Treibhauseffekt das natürliche, seit Jahrhunderten bekannte Phänomen El Niño.

Noël und Natalie

Weihnachten hat seine Spuren auch in Personen- und Ortsnamen hinterlassen. Wer sich Noël (weibliche Form: Noëlle) nennt, heißt "Weihnachten" – ganz wie das französische Fest. Auch der Vorname Natalia (englisch: Natalie, französisch: Nathalie) erinnert an den Tag der Geburt Christi, den dies natalis . Die russische Variante Natalja ist noch in der Koseform Natascha verbreitet.

Alle diese Formen bedeuten: "die am Geburtstag Christi (Weihnachten) Geborene." Wie so viele christliche Feste hat auch der dies natalis einen heidnischen Vorläufer. An jenem Tag gedachte man im alten Rom der Geburt des unbesiegten Sonnengottes, des sol invictus.

Vornamen lateinischer Herkunft eroberten im 12. und 13. Jahrhundert den deutschen Sprachraum. Als Namens-Trendsetter fungierte das städtische Patriziat. Die Beliebtheit von Heiligennamen war eine Folge der Kreuzzüge und des allgemeinen Heiligenkultes. Natalia von Nikomedia zählte zur Schar der Geweihten. Der Vorname Natalie erfreute sich auch später, im 19. Jahrhundert und in den 1960er Jahren, großer Beliebtheit. Zurzeit entdecken Nostalgiker den Wohlklang solch "altmodischer" Namen wieder einmal aufs Neue.

Rio de und Port Nadal

Die portugiesischen und englischen Wörter für Weihnachten – Natal und Christmas – schlugen sich vor allem in Ortsnamen nieder. In ihnen hallt der Eroberungsdrang der alten Seefahrernationen Portugal und England nach. Die Entdeckungsreisen der Europäer verringerten die weißen Flecken auf der Landkarte. Somit blieb Holland, der großen Seemacht des 17. Jahrhunderts, in den Kolonialgebieten nicht mehr viel zu benennen übrig. Welches Gestade die Niederländer zu Weihnachten auch angelaufen haben mochten, keines von ihnen trägt den Namen "Kerst."

Im Unterschied zu den Portugiesen. Es geschah im Jahre 1497. Die Flotte Vasco da Gamas durchpflügte die Weltmeere. Die Seehelden waren aufgebrochen, eine direkte Gewürzroute nach Indien zu erschließen. Das Vorhaben führte sie, nach erfolgreicher Umsegelung des Kaps der Guten Hoffnung, die südafrikanische Küste entlang. Am 25. Dezember dieses Jahres wählte man einen Meeresarm als natürlichen Ankerplatz. "Rio de Natal", Weihnachtsfluss, nannte man den Ort. Später wurde daraus "Port Natal."

300 Jahre lang bot der Platz Schiffbrüchigen, Sklavenhändlern und Kaufleuten Zuflucht. Erst 1823 gründeten hier britische Siedler eine feste Siedlung und nannten sie – zu Ehren ihres Gouverneurs d’Urban – Durban. Schließlich hieß ja noch das umliegende Land "Natal."

Nach einem kolonialistischen Intermezzo der Buren in der "Republik Natalia" wurde das Territorium von England annektiert und 1910 Teil der Südafrikanischen Union. Seit 1994 bildet das "Weihnachtsland" – durch Zusammenführung mit dem ehemaligen Homeland KwaZulu – die Provinz KwaZulu-Natal.

Exakt ein Jahrhundert nach Entdeckung des südafrikanischen Natal ließ der portugiesische Gouverneur Francisco de Sousa zum Schutz gegen dreiste französische Piraten, die an der Küste Brasiliens ihr Unwesen trieben, nahe der Mündung des Flusses Potengi ein Verteidigungsfort errichten. Zwei Jahre darauf, am 25. Dezember 1599, gründeten die Kolonialherren dort eine Stadt. Und nannten sie "Natal" – wie sonst! Wieder gab es ein Zwischenspiel der Holländer, weshalb die Hafenstadt von 1633 bis 1654 Neu-Amsterdam hieß. Mit 750.000 Einwohnern ist Natal heute die Hauptstadt des brasilianischen Bundesstaates Rio Grande do Norte und ein bedeutender Seehafen.

Sprechen Sie Gilbertesisch? Dann zählen Sie zu jener handverlesenen Schar von Erdenbürgern, die das Wort Kiritimati mit "Weihnachten" zu übersetzen vermögen. Jene exotische Sprache wird auf den ehemaligen Gilbertinseln und deren Nachbar-atollen gesprochen. Diese Inselwelt Mikro- und Polynesiens ist Teil der Präsidialrepublik Kiribati. Zu den wichtigsten Eilanden des Inselstaates zählt eben Kiritimati. Das mit 388 km² größte Korallenriff der Welt wurde am 24. Dezember 1777 von Englands Weltumsegler James Cook entdeckt. Der Seefahrer verbrachte dort mit seiner Mannschaft die Festtage und gab der Insel den Namen "Christmas Island."

Dies war aber nicht die erste weihnachtliche Entdeckung Cooks. Kurz zuvor hatte er die bereits in französischem Besitz stehenden Kerguelen-Inseln erreicht. Seinen Ankerplatz in der dortigen Vogelbucht nannte er "Christmas Harbour."

Doch zurück nach Kiritimati, welches von 1888 bis 1979 unter britischer Hoheit stand. Im Zweiten Weltkrieg diente das Atoll den USA als Luftwaffenstützpunkt, in den 1950er und 60er Jahren führten die USA und Großbritannien dort Dutzende Atomwaffentests durch. Die evakuierte Bevölkerung kehrte nach Jahrzehnten zurück. Angeblich liegt die Strahlenbelastung heute unter jener von New York. Die Insel zählt rund 2.500 Einwohner. Größter Wirtschaftsfaktor ist der Anbau von Kokosnüssen. Die beiden wichtigsten Dörfer des Eilandes heißen London und Paris.

Die Weihnachtsinsel

Im Indischen Ozean, südlich der Westspitze Javas, liegt eine zweite, 135 km² große "Weihnachtsinsel". Capitain William Minors hatte das Eiland am 25. Dezember 1643 von Bord der Royal Mary aus gesichtet und ihm den Namen "Christmas Island" gegeben. Eine Landung an der navigatorisch anspruchsvollen Küste glückte erst 1688. Kapitän Dampier fand unbewohntes Land vor. Ende des 19. Jahrhunderts annektiert England die Insel und beginnt mit der Ausbeutung der hier entdeckten Phosphatvorkommen. Arbeitskräfte importiert man aus China.

1900 wird die Weihnachtsinsel zur Kronkolonie Singapurs. Im Zweiten Weltkrieg flieht die Bevölkerung vor den japanischen Besatzern in den Dschungel, wird jedoch entdeckt und in indonesische Gefangenenlager deportiert. In der Nachkriegszeit führen Australien und Neuseeland den Phosphatabbau in Kooperation mit einer englischen Minengesellschaft fort. Diesmal holt man Arbeitskräfte aus Singapur und Malaysia. Sie bilden die erste permanente Inselbevölkerung.

Im Jahr 1957 testet Großbritannien in diesem Gebiet seine erste Wasserstoffbombe, seit 1958 ist die Weihnachtsinsel australisches Territorium. Als wirtschaftliche Alternative zum versiegenden Phosphatabbau etabliert man das Glücksspiel und fliegt die Casinogäste aus Südostasien ein. Zwei Drittel von Christmas Island sind heute ein Nationalpark. Flora und Fauna locken eine neue Spezies von Entdeckern an, die der Devise folgen: Auf zum Christmas-Island, zum weihnachtlichen Birdwatching, Sportfishing und Whaleshark Diving!

Ingeborg Waldinger , geboren 1956, lebt als freie Journalistin in Wien und schreibt regelmäßig Reportagen und kulturhistorische Beiträge fürs "extra" und fürs "Wiener Journal".

Freitag, 23. Dezember 2005

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