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Diarium

Glücksrezepte in individualistischen Zeiten

Von Hermann Schlösser

Derzeit sind die Buchhandlungen voll von Anleitungen zum Glücklichsein. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn anscheinend haben die großen kollektiven Glücksversprechen – zumindest in Europa – ihre Verbindlichkeit eingebüßt. Die sozialistischen Utopien, die vor wenigen Jahrzehnten noch viele Menschen in ihren Bann geschlagen haben, müssen als historisch desavouiert gelten, und die altehrwürdigen christlichen Heilsverheißungen stoßen in unserer säkularisierten westlichen Welt nicht auf ungeteilte Gegenliebe.

In einer solchen geistigen Situation hat jeder Einzelne die Chance, zum Schmied seines individuellen Glückes zu werden. Weil das Glücklichsein aber nicht zu den einfachsten Aufgaben im Leben gehört, besteht ein Bedürfnis nach Hilfe, das vom Buchmarkt ausgiebig befriedigt wird.

Manche Verlagshäuser halten zum Thema Glücksberatung sogar anspruchsvolle philosophische Angebote bereit. Die Verlage C. H. Beck und dtv haben etwa in einer Koproduktion eine "Kleine Bibliothek der Weltweisheit" zusammengestellt, die Wertbeständiges aus der Geistesgeschichte enthält. "Zwölf berühmte Werke zur klugen und richtigen Lebensführung" sind da versammelt: Buddha, Konfuzius und Laotse werden ebenso präsentiert wie Hildegard von Bingen, Arthur Schopenhauer und Voltaire.

Selbstverständlich ist in einer solchen Reihe auch die antike Philosophie vertreten. Band 3 enthält unter dem Titel "Das Buch vom geglückten Leben" die Aphorismen des Stoikers Epiktet, der ungefähr im Jahr 50 nach Christus geboren und ungefähr im Jahr 125 gestorben ist. Epiktets Lebensregeln wurden im Lauf der Jahrhunderte immer wieder gelesen und beherzigt, und so mag es nicht abwegig sein, dass man sich ihrer heute wieder erinnert. Tatsächlich geht von diesen kurz gefassten, präzis formulierten Sentenzen eine beruhigende Wirkung aus. Die wichtigste Botschaft des Philosophen besagt nämlich: "Verlange nicht, dass die Dinge gehen, wie du es wünschst, sondern wünsche sie so, wie sie gehen, und dein Leben wird ruhig dahinfließen."

Wahrscheinlich lässt sich dieser Rat des alten Stoikers noch immer befolgen. Aber ob man dadurch glücklich wird? Zumindest bedarf es der Fähigkeit zur Beschränkung, um mit einem Dasein zufrieden zu sein, das immerzu "ruhig dahinfließt". Wer sich ein Leben wünscht, in dem gelegentlich heftige Stürme brausen, wird mit der antiken Gelassenheit nicht viel anfangen können. Doch wurde auch an diesen Kundenkreis gedacht. Band 9 der "Kleinen Bibliothek der Weltweisheit" enthält Friedrich Nietzsches "Ecce homo", das als "maßloses Buch eines maßlosen Menschen in maßloser Absicht" angepriesen wird.

Wie es dem marktwirtschaftlichen Spiel der Kräfte entspricht, gibt es hier also für jeden etwas. Und die Frage, ob der maßvolle Klassiker Epiktet dem maßlosen Modernisten Nietzsche vorzuziehen ist oder umgekehrt, darf jeder Leser selbst entscheiden – wie es eben so ist in unseren individualistischen Zeiten.

Samstag, 15. April 2006

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