Mobbing und Fresssucht · diese Verhaltensstörungen zeigen männliche Mäuse, die nach einer Genmanipulation nur noch geringe Mengen des Nervenwachstumfaktors BDNF
(engl. „Brain-derived neurotrophic factor") bilden. Die tierischen Fieslinge könnten als Modell für bestimmte psychiatrische Erkrankungen beim Menschen dienen, erklärten Forscher vom amerikanischen
Krebsinstitut NCI und der Universität Baltimore.
Dass BDNF das Wachstum bestimmter Nervenzellen fördern kann, ist Wissenschaftern zwar schon länger bekannt, weniger gut wissen sie jedoch darüber Bescheid, welche Rolle das Molekül bei der
Hirnentwicklung spielt. Die Forscher um Lino Tessarollo haben deshalb Mäuse gezüchtet, die nach einer „Genamputation" nur noch halb soviel BDNF bilden wie gesunde Tiere. Erst ein Jahr nach der Geburt
machte sich dieser Defekt bemerkbar: In den Gehirnen der Mutanten starben massenhaft jene Nervenzellen, die für den Signaltransport den Botenstoff Serotonin benutzen.
Weil zahlreiche Untersuchungen bei Tieren und Menschen ergeben hatten, dass Serotonin Verhalten und Nahrungsaufnahme beeinflusst, nahm Tessarollo seine Mäuse genauer unter die Lupe. Schon ab der
sechsten Lebenswoche zeigte sich deren gesteigerte Fresslust. Im Alter von vier bis sieben Monaten nahmen sie gegenüber gesunden Tieren 25 Prozent mehr Nahrung zu sich. Gleichzeitig wurden die
Mutanten immer aggressiver. Fremden Männchen begegneten sie nicht wie üblich mit vorsichtigem Interesse, sondern mit heftigen Biss-Attacken. Mit jeder neuen Bekanntschaft verringerte sich die Zeit
bis zum Angriff, etwa alle 30 Sekunden fielen die gestörten Mäuse über ihre Artgenossen her.
„Geheilt" wurden die Aggressoren schließlich mit Fluoxetin („Prozac"), einem Arzneimittel, das zur Behandlung von Depressionen beim Menschen eingesetzt wird. Das weitere Studium der Mausmutanten
könne deshalb dazu beitragen, die komplexen Wechselwirkungen zwischen Hirnstoffwechsel und aggressivem Verhalten besser zu verstehen, so das Fazit der Wissenschafter. M.S.
Freitag, 21. Jänner 2000