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Datum:   05.06.1999
Ressort:   Feuilleton
Autor:   Harald Jähner
Seite:   09

Mit dem Aräometer vorm Gehäus des Idealismus

Eine Berliner Ausstellung zum 200. Jubiläum der Reise Alexander von Humboldts nach Amerika

Heute vor 200 Jahren verließ die unter kastilischer Flagge segelnde Dreimast-Korvette Pizarro den Hafen von La Coruña und damit Europa in Richtung Westen. Am 16. Juli ankerte sie erstmals vor der Küste der Neuen Welt. Kaum hatten die Passagiere den Strand betreten dürfen, steckte Alexander von Humboldt sein Thermometer in den weißen Sand: 37,7 Grad 7,2 Grad wärmer als die Salzlachen nebenan, 12,5 Grad wärmer als die Wassertemperatur. Einer der größten Vermesser der Wissenschaftsgeschichte hatte Amerika unter seine Intrumente genommen.

Humboldt maß fortan alles, was ihm vor die Geräte kam: Breite, Fließgeschwindigkeit und Mengendurchsatz des Orinoko, die Höhe der Berge, Länge und Wachstumsgeschwindigkeit der Pflanzen, die äußere Größe von Fischen und das Volumen ihrer Schwimmblasen. Mit sich führte er Hypsometer und Hygrometer, Graphometer, Magnetometer, Aräometer, Eudiometer und einen Cynanometer. "Dieses", so schrieb Humboldt in seinem Reisebericht, "versetzte mich in die Lage, das Blau des Himmels in den Cordilleren mit dem in den Alpen gesehenen zu vergleichen."

Wissen, Gemüt, Gefühl

Humboldts Instrumente sind fast ausnahmslos verschollen, ein paar ähnliche, zeitgenössische Apparate gibt es in der am Samstag eröffneten Ausstellung im Berliner Haus der Kulturen der Welt zu sehen. Zwei nachgebaute dürfen auch ausprobiert werden, doch wird sich kaum jene Erregung auf den Ausstellungsbesucher übertragen, die Alexander von Humboldt ergriff, wenn er durch seine Okulare schaute. Denn Humboldt hatte eine ästhetische Vision vom Zusammenspiel des Weltganzen vor Augen, die seinen Blick durch die Meßinstrumente lenkte.

Er war Empirist und Schwärmer zugleich, sammelte, klassifizierte, vivisezierte und war doch zugleich ergriffen vom glühenden Glauben an die Einheit der Natur, die er beschreibend als "Naturgemälde" erfassen wollte. Nicht nur den Verstand, auch Gemüt und Gefühl wollte Humboldt einsetzen, um die Welt jenseits des religiösen Glaubens als Zusammenhang zu begreifen "Auf das Zusammenwirken der Kräfte, den Einfluß der unbelebten Schöpfung auf die belebte Tier- und Pflanzenwelt, auf diese Harmonie sollen stets meine Augen gerichtet sein", schrieb Humboldt am Tag seiner Abreise.

Als er fünf Jahre später zurückkehrte, erst 35 Jahre alt, brachte er Gesteinsproben, Fischpräparate und 8 000 Pflanzen zurück. Bis zu fünfzig wissenschaftliche Zeichner arbeiteten zwanzig Jahre lang an der Ausgabe seines Reiseberichts in Paris in Berlin wäre die Herausgabe des 36-bändigen Berichts mangels wissenschaftlichen Personals nicht zu leisten gewesen. Es entstand ein Sammelsurium von Fakten, wunderschön gezeichnet und anmutig beschrieben, aber dennoch eher einem Chaos ähnelnd als der verheißenen Synthese.

Alexander von Humboldt störte das allerdings wenig, Neugier und Tatsachenhunger hatten Oberhand genommen, während der Bruder Wilhelm von Humboldt melancholisch der antiken Systematik der Ideen nachhing. Wissen komme von innen, tadelte er, nicht vom Sammeln und Aufreihen der Fakten. Wirksam wurde der Bildungsreformer Wilhelm insofern, als er durchsetzte, das alle Preußenkinder das Land der Griechen mit der Seele suchen sollten.

Eine Ausstellung kann diesen in den Humboldt-Brüdern auf einzigartige Weise personifizierten Gegensatz von Theorie und Empirie kaum darstellen, diese versucht es leider nicht einmal. Humboldts Amerika-Fahrt erscheint hier nicht als Auszug eines Neugierigen aus dem Gehäuse des Idealismus, sondern als bunte Reise vom Berliner Schloß Langweile in die Tropen und zurück.

Interessant ist das allemal. Man sieht Erinnerungsstücke an Humboldts Zeit als Bergbauingenieur, eine von ihm entwickelte Atemmaske samt praktischem "Geleuchte". Man sieht den Vulkan Popocatépetel im Stil holländischer Landschaftsmalerei. Ebenfalls in sattem Öl gemalt, überreicht Humboldt einem Indianer einen Sextanten. Damit die Schenkung optisch überzeugender herüberkommt, hat der Maler Friedrich Georg Weitsch den "Kupferfarbenen" in einer gotischen Demutshaltung dargestellt und ihm eine Kutte übergeworfen, die den "Wilden" zu einen der drei Hirten von Betlehem macht ein Wunder der Meßtechnik, die, kaum geht sie über in Indianerhand, die ganze Figur kolonisiert.

Kiste nach Madrid

Man sieht zeitgenössische Zeichnungen, die Tips geben für die platzsparende Lagerung von Sklaven auf Schiffen. Seiner Aufgabenstellung gemäß, legt das Haus der Kulturen der Welt einen starken Akzent auf die Weltläufigkeit Humboldts. Er wird in Lateinamerika als Nationalheld verehrt, weil er nicht als Eroberer, sondern als Gesprächspartner auftrat, der mit zahlreichen Wissenschaftlern in Mittelamerika zusammenarbeitete. Humboldt sandte die erste Kiste mit Vulkangestein nicht nach Berlin, sondern nach Madrid, wohl auch aus Verpflichtung gegenüber den Spaniern, die dem ausländischen Protestanten ein Visum gaben. Mit 50 000 Briefen hatte sich Humboldt gründlich in der weltweiten scientific community, der Wissenschaftler-Gemeinschaft, vernetzt, wie man es im heutigen Jargon formuliert.

Ein dicker Fisch

Höchstens in diesem Sinn ist der modernistische Untertitel der Ausstellung, "Netzwerke des Wissens", gerechtfertigt. Denn mit einer Vernetzung im Sinne eines heutigen Naturverständnisses hat Humboldts Denken wenig zu tun. Auch der Präsentationstechnik der Ausstellung gelingt so etwas wie Vernetzung nicht. Sie hinterläßt eine ähnliche Ernüchterung wie jene, die Humboldts enorme Faktensammlung gegen sein geophilosophisches Programm stellt.

Wer nicht vorher schon von Alexander von Humboldt fasziniert war, wird sich auch durch dieses Panoptikum seines Lebens kaum fesseln lassen. So wenig die getrockneten Blüten in Humboldts Herbarien den "Beweis von dem Zusammenwirken der Kräfte" erbringen, "welche die unmittelbare Ansicht der Tropenländer dem fühlenden Menschen gewährt", so wenig lassen die ausgestopften Kolibris, Atlanten und Humboldt-Kultobjekte den Zusammenhang erfassen, den sein Forschen zugleich sucht und zerbricht. Vom Glück und Drama der Erkenntnis kündet der dicke Fisch in Formalin, der da zusammengeklappt in seinem Einmachglas verdämmert, nur unvollkommen.

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