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Das unsinkbare Witzblatt

25 Jahre Satiremagazin Titanic

Mit 25 Jahren steckt der Mensch mitten im Studium. Er hat seine erste "Studentenbude". In der sieht es aus, "wie bei Hempels unterm Sofa" - nach landläufiger Ansicht der ehemals Erziehungsberichtigten. Willkommen in der Redaktion des Satiremagazins "Titanic", das dieser Tage seinen 25. Geburtstag feiert und auf dessen Schreibtischen es aussieht, wie bei Hempels. Das Geburtstagskind hat die Republik verändert - ein bisschen.

von Christoph Hartung, 26.11.2004 [Archiv]

Wieso eigentlich "Titanic"? Kollektives Augenrollen der anwesenden Redakteure. Es sind nur zwei anwesend. Erstens ist es erst kurz nach Mittag, also noch früh am Tag. Außerdem ist Produktionswoche. Da wird nur Korrektur gelesen und das Heft gedruckt.

 

Eine devote Sonne, unsinkbar

Warum "Titanic?". "Also, da könnte ich jetzt mal im Archiv..., aber..." Es folgt die Empfehlung, doch den Artikel einer Frankfurter Tageszeitung "von vor ein paar Wochen" zu lesen. Da stehe alles drin. "Aber aufpassen: Der Ort ist falsch geschrieben!"

 
An diesem Schreibtisch ist ChefredakteurMartin Sonneborn kreativ.

 

Die Recherche in den Archiven der Frankfurter Zeitung ergibt, dass es deren Redakteure auch nicht so genau wissen, weil sich die dort als "Chronisten" bezeichneten Quellen "nicht ganz einig" waren. Also jedenfalls war es in einer "Villa namens 'Claire'" in einem Dorf im Taunus. Das Jahr war 1979 und die Herren F.K. Waechter, Chlodwig Poth, Hans Traxler, Robert Gernhardt und Peter Knorr tendierten für das zu gründende Magazin zwischen den Titeln "Devot" und "Die Sonne".

 

Geldstrafen wie Eisberge

Daraus wurde "Titanic". Aus heutiger Sicht kann immerhin gesagt werden: In den vergangenen 25 Jahren war kein Eisberg groß genug, das "endgültige Satiremagazin" zum absaufen zu bringen, und damit ist die "Titanic" endlich das, was die Schiffsbauherren immer wollten: "unsinkbar". Eisberge gab es reichlich für das Magazin, dessen Auflage bei "um die 60.000" pendelt.

Stefan Gärtner, Ttanic-Redakteur

Die Eisberge glitten in Form von Geldstrafen daher. Mittlerweile sind es zusammengerechnet wohl mehrere hunderttausend Euro. Teuerster Einzelkläger wurde Björn Engholm, "der nach Jesus Christus zweitbeste Mensch auf diesem Planeten" (Titanic). Der ehemalige schleswig-holsteinische Ministerpräsident klagte erfolgreich auf 40.000 Mark. Das Blatt hatte ihn im April 1993 mittels Fotomontage lachend in der Badewanne eines Schweizer Nobel-Hotels gezeigt ("Sehr komisch, Herr Engholm!"). Das Originalfoto hatte den Kieler CDU-Politiker Uwe Barschel nach seinem Selbstmord gezeigt.

 
Titanic-Verlag
Titanic-Titelbild: Roland Koch

Jesus als Dose

In Anzeigen-Parodien warb ein Metall-Kruzifix für die Weißblechindustrie ("Ich war eine Dose") - Heft darf nicht mehr ausgeliefert werden - und Adolf Hitler für eine Schweizer Uhr - Gegendarstellung wurde erwirkt. "Bewundernswert souverän", so Redaktuer Stefan Gärtner, geht Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) mit dem Heft um. "Er reagiert überhaupt nicht." Neben Helmut Kohl, Adolf Hitler und "Ossis" ist Koch der beliebteste Coverboy des Blattes. 2001 kam er zerknautscht-grinsend auf den Titel mit der Schlagzeile "Ethik-Kommission ratlos: Wo beginnt menschliches Leben?".

 
Infobox

Witz

Der Duden definiert: "Prägnante Geschichte mit einer Pointe am Schluss, die zum Lachen reizt."

Titanic-Verlag
Jubiläums-Titel

Ein Vierteljahrhundert gezielte Bosheiten. Längst hat Titanic-Sprech Einzug gehalten in die Redaktionen der Tages- und Wochenpresse. Die "Bild"-Schlagzeile "Wowereit nicht mehr schwul?" erinnert an Titanic-Schlagzeilen wie "Wiedervereinigung ungültig: Kohl war gedopt". Der Jubiläumstitel ("Deutschland kaputt") könnte ähnlich auch Titel einer Ausgabe des Nachrichtenmagazins "Spiegel" sein. Für die Verschiebung hin zu mehr Spaß in der Presse übernimmt die Redaktion mit Stolz die Verantwortung, schränkt aber sofort ein, den anderen gehe es ja nur um Auflage, "wohingegen es uns immerhin noch um irgendwas geistig Intellektuelles geht, was denen ja scheißegal ist".

 
Das Archiv der Titanic

 

Feind-Bild-Zeitung

Im Altbau im Frankfurter Stadtteil Bockenheim pflegt man klare Freund-Feind-Schemata. Die Mutter aller Feinde ist die "Bild-Zeitung", die neben FAZ, SZ, taz etc. zum täglich' Brot der neun Redakteure gehört. Man pflegt den Wohngemeinschaftsstil in Wer-Ordnung-hält-ist-nur-zu-faul-zum-Suchen-Unordnung und besteht darauf "ein Nischenprodukt für eine linke intellektuelle Elite" zu sein. Die findet neben den Klassikern "Briefe an die Leser" und "Humorkritik" mittlerweile allerlei bunte Comics ("Münt-El Fering will Kalif anstelle des Kalifen Harun al Schrödah werden"), Cartoons und Nonsens-Anrufe im Heft. Mit der Satire des grauhaarig gewordenen politischen Kabaretts will man nichts zu tun haben.

 
Infobox

Satire

Der Duden definiert: "Ironisch-witzige literarische oder künstlerische Darstellung, die durch Übertreibung, Ironie und Spott an Personen oder Ereignissen Kritik übt, menschliche Schwächen oder Laster verspottet."

Es zählt, was witzig ist. "Witzpotenzial" hat es, ZDF-Wettmaster Thomas Gottschalk den falschen Buntstift-Schmecker unterzujubeln (1988). Witzig ist es, die Delegierten der FIFA mit Bestechungsbriefen zugunsten des WM-Standortes Deutschland zu beglücken ("für eine echte Schwarzwälder Kuckucksuhr"). Daraufhin startete die "Bild-Zeitung" eine Kampagne gegen die Bockenheimer Kommune: "Rufen Sie Titanic an. Drücken Sie Ihre Empörung aus!" Die besten dieser Anrufe haben die Frankfurter als CD herausgebracht.

 
Titanic-Verlag
Wahlplakat

Witzpotenzial "Mauer"

Momentan hat der Wiederaufbau der innerdeutschen Mauer "Witzpotenzial". Dafür hat Chefredakteur Sonneborn sogar die Partei "PARTEI" gegründet (Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative). Zum 15. Jahrestag des Mauerfalls ließ Sonneborn am 9. November an der hessisch-thüringischen Grenze ein Stück Mauer aufbauen. Er nannte das den "schmierigen populistischen Wahlkampf" für seine PARTEI. Die hessische CDU nannte das den "Schwachsinn" "geistig Verwirrter".

 

Satire? Witz? Oder gar "Ideologie-Kritik", wie Intellektuelle dem Frankfurter Blatt unterstellen möchten? Ja und Ja, befindet die Redaktion. Die Kritik werde heute eben anders formuliert, sagt Gärtner. "Indem man Seiten voll nur Quatsch und Nonsens macht, entlarvt man ja die Wirklichkeit als bescheuert oder behämmert."

 
 
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