"Leistungsdruck auf Sportler, dazu skrupellose Funktionäre und Mediziner, haben Doping salonfähig gemacht. Dutzende Sportler hat es das Leben gekostet, zahllose die Gesundheit. Mit den jüngsten Geständnissen ist hoffentlich Sand ins Getriebe dieser schrankenlosen Entwicklung gekommen. Doch der Offenbarungseid von sechs Telekom-Rennfahrern darf nur ein Anfang sein. Reinen Tisch müssen auch andere Rennställe und Verbände im In- und im Ausland machen. Denn Doping ist, egal ob aus ideologischen oder aus Profitgründen, ein Verbrechen am Sportler. Und Mord am Vorbild Sport."
"Wo liegt die tiefere Verantwortung für die Verseuchung des Profiradsports? Sie liegt natürlich bei den Sponsoren, die fortwährend Augen, Ohren und Mund verschließen. Sie haben den unbedingten Erfolgsdruck auf die Sportler aufgebaut, und ihre Statthalter wählten auch die medizinischen Betreuer aus, die vor kriminellen Machenschaften nicht zurückschreckten. Die Verantwortung liegt auch bei den Medien. Im Fall der ARD hat ein öffentlich-rechtlicher Sender die Rolle des unabhängigen Beobachters abgelegt, um selbst Teil eines Systems zu werden, das seine Daseinsberechtigung allein aus dem Erfolg zieht. Letztlich liegt ein Teil der Verantwortung auch bei uns Zuschauern. Die Tugenden des Sports werden nur eine Überlebenschance haben, wenn das Publikum sie auch verlangt."
"Aus ehemaligen Superstars wie Rolf Aldag, Christian Henn und Erik Zabel, die als strahlende Helden gefeiert wurden, sind kleinlaute Sünderlein geworden, die sich unter Tränen zu ihrem Fehlverhalten bekannt haben. Doch einer fehlt noch, ausgerechnet der Größte im ehemaligen Radsport-Verbund des gestutzten Bonner Kommunikations-Riesen: Jan Ullrich bleibt stumm. Der erste deutsche Tour-de-France-Gewinner, der Olympiasieger von Sydney 2000, zeitweilig ein Jahrhundert-Idol deutscher Fans, bleibt weiterhin auf Tauchstation. Wann endlich wird auch er begreifen, dass Schweigen nicht Gold sein muss, sondern dass jetzt nur noch Reden hilft?"
"Für eine begrenzte Zeit müssen die internationalen Teamchefs, Trainer und aktiven Profis Gelegenheit bekommen, in Wahrheitskommissionen auszupacken wie gestern Aldag und Zabel. Radsportverbände und Gesetzgeber müssen diese Geständnisse straffrei stellen. Die Sponsoren - so T-Mobile im Fall Ullrich - müssen auf Regressansprüche verzichten. Und auch viele Journalisten müssen ihre Mitgliedschaft im Schweigekartell beenden. Solange unter den Sportlern die Angst vor Entdeckung mitfährt, regieren Erpressung und Korruption."
"Taugen Zabel und Aldag jetzt noch als Vorbilder für die neue Generation von Radfahrern? Vor allem das T-Mobile-Team propagiert ja seit Herbst vergangenen Jahres, Doping offensiv bekämpfen zu wollen und nur saubere Fahrer zu beschäftigen. Da ist es schwer zu argumentieren, warum ausgerechnet am Sportdirektor Aldag festgehalten wird, sei seine jetzige Arbeit auch noch so wertvoll. Zumal er erst nach langem Zaudern und beredtem Leugnen eingestand, von Doping im Team Telekom nicht nur gewusst, sondern seinen Körper ebenfalls mit unlauteren Mitteln manipuliert zu haben."
"Der Sportler, weil austauschbar, ist längst das schwächste Glied im System. Ihn und seine Gesundheit gilt es zu schützen. Die fiel bisher stets durch das Geflecht kommerzieller wie chauvinistischer Interessen von Trainern, Medizinern, Sponsoren, Öffentlichkeit und Medien, speziell den elektronischen. Sieger werben wirksam, bringen Quote und schaffen Aufmerksamkeit. Fressen kommt eben vor der Moral. Die Geständnisse der Radprofis bieten eine Chance zum Neubeginn. Aber allen muss auch klar sein: Reue reicht nicht. Es wird in allen Sportarten weiter gedopt, mehr denn je und mit immer gefährlicheren Mitteln."
dpa, 25.05.2007
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