Neugliederung des Bundesgebietes

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Neugliederung des Bundesgebietes ist ein Begriff aus dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (Artikel 29) und regelt den territorialen Zuschnitt der Bundesländer z.B. durch Fusionen oder Grenzkorrekturen von Ländern. Kommunale Neugliederung, also Zusammenschlüsse und Änderungen der Grenzziehung von Gemeinden und Landkreisen, fasst man dagegen häufig unter dem Begriff Gebietsreform zusammen.

Seit Gründung der Bundesrepublik wollen die Stimmen um eine Neugliederung des Bundesgebiets nicht verstummen. Bereits der erste gewählte Landtag Schleswig-Holsteins brachte seine Erwartung einer Neugliederung zum Ausdruck: er erließ 1949 nicht etwa eine Landesverfassung, sondern eine Landessatzung, um – analog zum Grundgesetz – deren vorläufigen Charakter zum Ausdruck zu bringen. Erst die nach der Verfassungsreform von 1990 vom Landtag verabschiedete Verfassung trug auch den Namen Landesverfassung. Die damaligen Bestrebungen Schleswig-Holsteins zur Neugliederung spiegeln sich auch im Gerichtsaufbau des Landes wider: Erst 1991 bekam das Land ein eigenes Oberverwaltungsgericht, welches fortan die Aufgaben wahrnahm, die bis dato das Oberverwaltungsgericht Lüneburg als gemeinsames OVG der Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein wahrgenommen hatte. Und selbst heute existiert in Schleswig-Holstein als einzigem Bundesland kein Landesverfassungsgericht.

Trotz verschiedener Bestrebungen ist jedoch das bislang einzige Beispiel einer Neugliederung die Fusion der Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern zum neuen Bundesland Baden-Württemberg im Jahre 1952. Eine geplante Fusion von Berlin und Brandenburg zu einem neuen Bundesland Berlin-Brandenburg scheiterte Anfang 1996 wegen des Neins der wahlberechtigten brandenburgischen Bevölkerung; eine erneute Abstimmung ist geplant.

Die fünf neuen Bundesländer erhielten 1990 teilweise veränderte Grenzen im Vergleich zu den Ländern, wie sie in der DDR bis 1952 bestanden. Dies wird auch oft als Neugliederung bezeichnet - jedoch nicht im Sinne der Definition des Grundgesetzes.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Regelung der Neugliederung im Grundgesetz

Artikel 29 GG ermöglicht eine Neugliederung des Bundesgebiets, "um zu gewährleisten, dass die Länder nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen können." (Art. 29 Abs. 1). Sie muss durch Bundesgesetz erfolgen und durch einen Volksentscheid in allen betreffenden Ländern bestätigt werden. Es stehen zwar nicht die Bundesländer als solche (siehe Art.79 Abs. 3), aber deren Zahl und territorialer Zuschnitt durch den Neugliederungsartikel des Grundgesetzes unter Vorbehalt.

Der Neugliederungsartikel war bis 1955 von den Alliierten suspendiert und wurde mehrfach geändert, so dass aus der ursprünglichen Pflicht zur Neugliederung zuletzt eine Kann-Bestimmung wurde.

Ein beschleunigtes Neugliederungsverfahren sehen die eigens für Baden-Württemberg und später auch für Berlin und Brandenburg eingefügten Grundgesetz-Artikel 118 und 118a vor. Danach kann abweichend von der Regelung nach Artikel 29 (mit obligatorischem Volksbegehren und Volksentscheid) auch eine bloße "Vereinbarung" der jeweiligen Länder getroffen werden, die jedoch von der betroffenen Bevölkerung bestätigt werden muss.

[Bearbeiten] Neugliederung mit dem Ziel weniger Bundesländer

Vorschläge zur Zusammenlegung von Bundesländern werden immer wieder von verschiedenster Seite vorgetragen (im Gespräch ist eine Reduzierung der Zahl der Länder von 16 auf etwa 9). Der jüngste Vorstoß des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Beck zur Fusion seines Bundeslandes mit dem Saarland vom Januar 2003 stieß dort auf strikte Ablehnung. Auch andere Vorschläge, wie zum Beispiel der immer wieder ins Gespräch gebrachte Beitritt des Landes Bremen zum Bundesland Niedersachsen, besitzen derzeit eher geringe Aussichten auf Erfolg. In Norddeutschland nimmt die Diskussion in Politik und Medien über einen Nordstaat zu.

[Bearbeiten] Gründe für und gegen eine Neugliederung

Man kann darüber streiten, ob eine Neugliederung des Bundesgebietes (noch) sinnvoll ist oder nicht - unbestreitbar ist, dass dieser Auftrag der Verfassung durch allerlei politische Winkelzüge bisher unerfüllt blieb. Ob sich das im Zeichen knapper Finanzen ändern wird oder ob durch die Aussicht auf die Übernahme hoher Schulden anderer Bundesländer die Neugliedrung sogar noch unwahrscheinlicher wird, ist ungewiss.

Als Gründe für eine Neugliederung werden typischerweise vorgebracht:

  • Einsparung von Verwaltungskosten durch Wegfall von Länderparlamenten
  • durch weniger Landtagswahlen Einschränkung des Dauerwahlkampfs und somit reformfreudigere Bundespolitik
  • Gerechtere Verteilung der Stimmen im Bundesrat
  • handlungsfähigeres, größeres Bundesland
  • gemeinsame Politik zwischen Stadtstaat und dem umliegenden Bundesland
  • für vormals geteilte Ballungsräume: bessere Entwicklung
  • Bundesländer als europäische Regionen oder sogar Staaten

Übliche Gründe gegen eine Neugliederung sind:

  • Verlust regionaler Identifikation und Machtverlust durch Wegfall eines eigenen Landesparlaments
  • Verlust von Sitzen im Bundesrat durch begünstigende Gewichtung kleinerer Länder im Grundgesetz
  • mögliche Vernachlässigung des Umlandes bei Fusion mit Stadtstaat, falls sich die Politik auf die Großstadt konzentriert
  • Übernahme der Probleme anderer Länder wie Landesschulden oder schwache Wirtschaft
  • Dauerwahlkampf kann auch anders bekämpft werden
  • Größe des Bundeslands ist kein Argument für Handlungsfähigkeit; Beispiel Luxemburg

[Bearbeiten] Arten und Vorschläge der Neugliederung

In den 1950er Jahren legten der Luther-Ausschuss, Anfang der 1970er Jahre die Ernst-Kommission z.T. sehr weitgehende Vorschläge für eine territoriale Neugliederung des Bundesgebiets vor.

Es gibt unterschiedliche Arten der Neugliederung, die in den verschiedenen Vorschlägen meist als Gesamtkonzept kombiniert werden: Fusionen von Ländern (wie 1952 zu Baden-Württemberg), oder Grenzkorrekturen zwischen zwei Ländern (wie z.B. 1955 Landkreis Lindau zurück an Bayern).

Beispiel einer Fusionslösung
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Beispiel einer Fusionslösung

Vorgeschlagene Fusionen von Ländern (Ländernamen provisorisch)

Allen Modellen gemein ist die Reduzierung der Zahl der Bundesländer von derzeit 16 auf neun bis zehn. In der Diskussion um die Neugliederung der Bundesländer geht bislang die ansatzweise auch schon diskutierte Frage der Bildung eines Bundesunmittelbaren Distrikts unter, der zum Beispiel Berlin-Mitte als der Bundesregierung unmittelbar unterstellten Verwaltungsbezirk aus Berlin (mit den dort insbesondere anfallenden Staatsschulden) herauslöst. Dies würde Rest-Berlin und Brandenburg die Vereinigung sicher erleichtern.

Beispiel mit zusätzlichen Grenzkorrekturen
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Beispiel mit zusätzlichen Grenzkorrekturen

Vorgeschlagene Grenzkorrekturen und Territorialen Kompensationen

Beispiel einer Neuordnung der Bundesländer nach dem Apel-Modell 1997
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Beispiel einer Neuordnung der Bundesländer nach dem Apel-Modell 1997

Doch es gibt auch andere Ansätze zur Neugliederung. Legt man bei einer Neugliederung Wert auf eine ungefähr gleiche Größe der neu zu bildenden Bundesländer und will man keine aufwendigen Grenzkorrekturen durchführen, käme man im einfachsten Fall auf nur 7 Bundesländer mit folgenden Einwohnerzahlen:

Rang Bundesland Fortgeschriebene
Bevölkerung
31. Dez. 2004
1 Nordrhein-Westfalen 18 075 352
2 Niedersachsen 13 227 712
3 Bayern 12 443 893
4 Rheinhessen 11 215 287
5 Baden-Württemberg 10 717 419
6 Sachsen 9 146 001
7 Brandenburg 7 675 185


Dieser Ansatz ist jedoch politisch noch nicht verfolgt worden. Er würde jedoch das krasse Ungleichgewicht der Ländergewichtung vor allem im Bundesrat erheblich senken.

[Bearbeiten] Alternativen zur Neugliederung

Alternativ zu einer Neugliederung werden im öffentlichen Bereich andere Wege gegangen, die durch Staatsverträge in den einzelnen Fällen geregelt werden.

Die Landesrundfunkanstalten der ARD sind das deutlichste Beispiel und prägen auch die regionale Zugehörigkeit über Ländergrenzen hinweg ("Mitteldeutschland", "SWR3-Land"). Beim Beispiel der Bundesbank, der Landesbanken, des DGB und der Bahn (DB Regio) sind es ökonomische oder verwaltungstechnische Gründe für eine Zusammenarbeit. Die Karte der Verkehrsverbünde zeigt wie derzeit schon grenzüberschreitend zusammengearbeitet wird. Bei der katholischen und evangelischen Kirche wurden schon einige Fusionen durchgeführt, die die Anzahl der Kirchenprovinzen verringern und die Grenzen von 1815 bzw. die Teilung West-Deutschland/DDR überwinden.

ARD Bundesbank Hauptverwaltungen Landesbanken Bezirke des DGB DB Regio
ARD Bundesbank Landesbanken DGB-Bezirke DB Regio
Verkehrsverbünde Kirchenprovinzen (katholisch) Kirchenprovinzen (evangelisch) PLZ  
Verkehrsverbünde Diözesen
(katholisch)
Landeskirchen
(evangelisch)
Postleitregionen  

Trotz dieser alternativen Lösungen wird deutlich, welche Fusionen wahrscheinlicher als andere sind (Hamburg und Schleswig-Holstein, sowie Berlin und Brandenburg) und welche Bundesländer eigenständig genug sind (NRW und Bayern).

[Bearbeiten] Neugliederung mit dem Ziel mehr Bundesländer

In einigen Studien zur Neugliederung wird auch der andere Fall, nämlich eher mehr als weniger Bundesländer zu schaffen, durchgespielt. Diese Studien gelten in der Regel als unrealistisch.

[Bearbeiten] Gründe für und gegen eine Neugliederung

Als Beispiel wird oft die stark föderale Schweiz mit ihren flächenmäßig recht kleinen Kantonen angeführt. Die regionale Identifikation wird bei kleineren Einheiten als Hauptgrund genannt.

Es ist außerdem zu beachten, dass unter den deutschen Volksstämmen oft Vorurteile und Aversionen herrschen. Als Beispiel seien hier die Gegensätze zwischen Pfälzern und Saarländern, Bayern und Franken oder Badenern und Schwaben angeführt (die beiden letztgenannten leben in den gemeinsamen Bundesländern Bayern bzw. Baden-Württemberg).

Die Größe mancher Bundesländer spricht andererseits für eine Angliederung bestimmter Regionen an ein anderes Bundesland. Aschaffenburg ist zum Beispiel so stark nach Frankfurt orientiert (Pendler, Kultur und Verkehr), dass die Zugehörigkeit zu München fraglich ist. Der Fußballverein Viktoria Aschaffenburg spielt demzufolge auch nicht in der bayerischen sondern in der hessischen Liga, was dem Verein auch kürzere Fahrtwege beschert.

Der Speckgürtel um die Stadtstaaten Hamburg, Bremen und Berlin führt dazu, dass Besserverdienende in die Vororte ziehen, die Metropolen aber die Kosten für Schulen und andere kulturelle Einrichtungen auch für das Umland mit zu tragen haben. Auch die Fußballvereine der umliegenden Regionen der Metropolen sind in der Regel den Verbänden der nahen Großstadt angegliedert und nicht ihrem eigentlichen Bundesland.

Ein Kriterium für die Zugehörigkeit einer Region zu einem Zentrum ist die Verbreitung von Regionalzeitungen, die deutlich erkennen lässt, in welche Richtung sich die Bewohner orientieren. Dies ignoriert noch stärker als die oben genannten Verkehrsverbünde die bestehenden Ländergrenzen.

[Bearbeiten] Arten und Vorschläge der Neugliederung

Für diese Neugliederung gibt es zwei verschiedene Ansätze. Der eine beschränkt sich durch Teilung von Ländern auf die Schaffung von Regionen, die - meist in historischen Grenzen - sich an Landmannschaften richtet. Oder geht noch einen Schritt weiter, in dem Ballungsräume als eigene Regionen zu definieren, da hier die landestypische Ausprägung durch starke Zuwanderung und Verstädterung weniger ausgeprägt ist, als in den ländlicheren Regionen.

Als beispielhaft für die Entwicklung einer regionalen Gliederung, welche hinsichtlich der Größenordnung zwischen den Ausmaßen der heutigen (Land-)Kreise und Länder angesiedelt ist, werden verschiedentlich die Raumordnungsregionen (ROR) angeführt [1]. Dabei waren die Raumordnungsregionen ursprünglich als Analyseeinheiten der empirischen Regionalforschung vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung konzipiert worden. Jedoch werden sie nunmehr z.B. als Blaupause für die Bildung von Regionalkreisen herangezogen (Diskussion in MV, SH und ST).

Weit verbreitet findet man die Bestrebung Franken als eigenes Bundesland von Bayern abzutrennen.

Auch in anderen "Bindestrich-Ländern" wie Baden-Württemberg gibt es Rivalitäten, teils mit dem Lösungsvorschlag eigener Bundesländer.

Der andere Ansatz nimmt direkt die Ballungsräume und schafft um sie herum neue Länder, die nicht unbedingt einen historischen oder landsmännischen Hintergrund haben.

Werner Rutz listet in seinem Beitrag "Wieviel Länder braucht die Republik ?" (Quelle s.u.) folgende Länder auf: Ems-Weser-Land, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Engern (-Lippe), Ostfalen, Brandenburg, Trier-Saarpfalz, Hessen-Nassau, Thüringen, Sachsen, Rheinpfalz-Baden, Niederschwaben (Württemberg), Ostfranken, Zähringen, Oberschwaben, Baiern.

[Bearbeiten] Siehe auch

[Bearbeiten] Weblinks für Deutschland

[Bearbeiten] Situation in Österreich

1947 wurde Osttirol verwaltungstechnisch wieder mit Nordtirol vereinigt, blieb jedoch bis zum Staatsvertrag 1955 Teil der britischen Besatzungszone.

Im Bundes-Verfassungsgesetz der Republik Österreich regelt Erstes Hauptstück, Allgemeine Bestimmungen, Artikel 3, Absatz(2): Eine Änderung des Bundesgebietes, die zugleich Änderung eines Landesgebietes ist, ebenso die Änderung einer Landesgrenze innerhalb des Bundesgebietes kann - abgesehen von Friedensverträgen - nur durch übereinstimmende Verfassungsgesetze des Bundes und jenes Landes erfolgen, dessen Gebiet eine Änderung erfährt.

Wikisource: Bundes-Verfassungsgesetz der Republik Österreich – Quellentexte

[Bearbeiten] Situation in der Schweiz

1979 spaltete sich der Kanton Jura vom Kanton Bern ab. 1994 wechselte der Bezirk Laufen – seit Gründung des Kantons Jura eine Exklave – vom Kanton Bern zum Kanton Basel-Landschaft. 1996 wechselte die Gemeinde Vellerat vom Kanton Bern zum Kanton Jura.

In der Schweiz wird auch die Möglichkeit diskutiert, dass sich Kantone zusammenschliessen könnten. Im Jahr 2000 wurde in den Kantonen Kanton Genf und Kanton Waadt eine Volksinitiative zur Fusion der beiden Kantone gestartet, die jedoch abgelehnt wurde. Auch in der Nordwestschweiz und in der Zentralschweiz gibt es Ideen zur Bildung von grösseren Kantonen. Die Chancen zur Realisierung sind gering.

Art. 53 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft regelt die Gebietsveränderungen und Grenzbereinigungen der Kantone.

Wikisource: Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft – Quellentexte
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