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Till Endemann

 

"Ich will Filme machen, die Menschen berühren. Das ist mir mit `Das Lächeln der Tiefseefische` gelungen, wie ich von der Reaktion auf der Berlinale weiß. Einige Zuschauer haben mir gesagt, dass sie Tränen in den Augen hatten und das ist eines der Ziele für mich."

 

Mit drei Spielfilmen hat sich Till Endemann als eines der vielversprechendsten Talente einen festen Platz in der deutschen Filmlandschaft erobert. Im Zentrum seines Schaffens stehen sensibel beobachtete Geschichten, in denen er den Platz der Familie und die Rolle von Vorbildern in der heutigen Gesellschaft hinterfragt. "Für mich geht es generell um neue Familienmodelle, ob Mutter-Sohn oder Vater-Sohn, es alles ist nicht mehr so, wie es früher mal zu funktionieren hatte. Nun geht es darum, neue Modelle zu finden. Wahrscheinlich gibt es sie gar nicht. Daher geht es einfach nur darum, dass man sich innerhalb einer Familie findet, die Menschen offen sind und aufeinander zugehen und ehrlich miteinander umgehen. Dass man eigene Grenzen, die man dabei immer wieder aufgezeigt bekommt akzeptiert und sie überwindet."

 

Dieser inhaltliche Schwerpunkt wurde von Till Endemanns Aufwachsen geprägt. Geboren wurde er am 23. Februar 1976 in Hamburg, wo er auch sein Abitur ablegte. "Bewusst gesucht habe ich den Vater nicht. Wahrscheinlich wünscht man sich aber jeder jemand, an dem man sich orientieren kann. Das ist wichtig für den Prozess des Erwachsenwerdens, für die Diskussion mit sich selbst und anderen. Das kann dann ein Impuls werden, Filme zu machen, um den Dialog mit sich selbst und seiner Geschichte zu führen. Im Nachhinein kann man lange diskutieren, ob der Vater dann schlussendlich wirklich fehlt. Dazu ist die Gesellschaft zu komplex. Es gibt Freunde und Lehrer. Aber das Entscheidende bleibt, ich bin in einer Familie aufgewachsen, wo es die normalen Familienmodelle nicht gab."

 

Nach der Schule absolvierte Till Endemann Praktika beim NDR und beim Studio Hamburg. 1997 beginnt er sein Studium an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Dort entstehen die Dokumentarkurzfilme "Im grünen Bereich", "Strandnähe", "Die alten Männer und das Meer" und der Kurzspielfilm "Salzfische". Für alle Filme schreibt Endemann wie auch für seine künftigen Projekte die Bücher selbst. Mit "Rückkehr in den Dschungel" macht er 2002 seinen Abschluss. Der Film läuft erfolgreich beim Münchner Dokumentarfilmfestival.

 

2004 gibt Till Endemann sein Spielfilmdebüt mit "Mondlandung", einer Produktion der Filmakademie in Auftrag des Kultusministeriums Baden-Württemberg. In ihr nimmt Endemann die Geschichte von "Salzfische" wieder auf. In seinem Kurzfilm hatte er einen jungen Mann aus Kasachstan porträtiert, deren Eltern mit ihm nach Deutschland kamen. Für den Spielfilm richtet er den Focus auf die gesamte Familie Käfer, die aus der kasachischen Steppe, wo sie ein gutes Auskommen hatte, in eine ungewisse Zukunft nach Deutschland gekommen ist. Der Neustart wird durch mangelnde Kenntnisse der Sprache erschwert und vieles, was ihnen in der neuen Heimat begegnet erscheint ihnen so fremd, als wären sie auf dem Mond gelandet.

 

Besonders  kompliziert ist die Ankunft für die Brüder Juri und Dimi. Der 20-jährige Juri will die Chance nutzen, ein neues Leben anfangen und seine Vergangenheit, die ihn sogar ins Gefängnis brachte, hinter sich lassen. Sein 17jähriger Bruder gerät dagegen unter den Einfluss einer russischen Clique und auf die schiefe Bahn. Juri würde ihm gerne helfen, doch in diesen ersten Tagen in Deutschland muss er selber gegen seine Orientierungsschwierigkeiten im neuen Land kämpfen. Er sucht sich eine Arbeit, besucht den Sprachunterricht und verliebt sich sogar – in die Tochter seines Arbeitskollegen Ralf.

 

"Die Familie hat jeden Halt verloren. Und es sind die Kinder, die das aufarbeiten müssen ohne selbst genau zu wissen, wohin sie das führt," umschreibt Till Endemann die Geschichte.

 

Daran knüpft er auch in "Das Lächeln der Tiefseefische" an, in dem sich der auf der strukturschwachen Insel Usedom lebende Teenager Malte mit der Arbeitslosigkeit und dem Alkoholismus des Vaters und dem Verlust von dessen Vorbildfunktion herumschlagen muss.

 

Mit diesen Verhältnissen hatte sich der 17jährige arrangiert. Seinen Lehrlingsverdienst bessert er mit dem Schmuggel von Zigaretten über die polnische Grenze auf. Als seine ältere Schwester mit ihrem Sohn Lukas, die nach dem Tod der Mutter anderswo ihr Glück gesucht hatte, in ihr verfallenes Elternhaus zurückkehrt, werden bei Malte Emotionen ausgelöst, denen er sich nicht gewachsen fühlt. Er flieht zunächst vor den Erinnerung und der Verantwortung zu seinem Freund Pawel und erlebt eine wundervolle Urlaubsromanze.

 

"Der Verlust der Vorbildrolle ist ein Phänomen, an das man im ersten Moment gar nicht denkt, wenn man hört, dass ältere Menschen arbeitslos werden. Wenn eine Frau arbeitslos wird, ist es für sie auch schlimm. Aber Väter gelten noch als starke Figur in unserer gesellschaftlichen Ordnung. Für sie ist es oft noch schwerer, diesen Halt zu verlieren. Sie müssen sich neu mit dem Begriff der Selbstachtung auseinandersetzen,  um vor sich selber zu bestehen."

 

Auf die Coming-of-Age-Geschichte, die für ein Budget von 800.000 Euro von Ziegler Film Köln produziert wurde, folgten die Kurzfilme "Spritztour" und "Vergissmeinnicht" sowie der Fernsehfilm "Kometen," der von der Eikon Media verantwortet wurde. Er lief erfolgreich auf zahlreiche Festivals, fand aber durch die Fernsehausstrahlung bislang noch keinen Verleih.

 

Bewies der junge Filmemacher schon in seinen vorherigen Filmen einen ungeschminkten Blick auf die Realität, schafft er in dem nach Stefan Beuses Roman entstandenen Episodenfilm "Kometen" einen warmherzigen Blick auf die Kälte der Gesellschaft, in der alle Altersgruppen auf der Suche nach Nähe, Geborgenheit und Liebe sind. Ausgangspunkt des Films ist Isaac Newtons Theorie von der Anziehung und dem gegenseitigen Abstoßen der Planeten, den Endemann auf menschliche Beziehungen überträgt. Wobei auffällig ist, dass sich vor allem Männer ihren Schwächen stellen und wesentlich optimistischer an das Leben herangehen als die weiblichen Figuren.

 

Zufällig entdeckt ein Hobbyastronom, der in einer heruntergekommenen Gartenlaube haust,  einen Kometen, der seine Umlaufbahn verlassen hat und so nahe an der Erde vorbeiziehen wird, dass er in einer Nacht mit bloßem Auge zu sehen sein wird. Die Nachricht elektrisiert nicht nur den Sternwarten-Mitarbeiter David. Er ermuntert ein älteres Pärchen, das sich gerade im Altersheim ineinander verliebt hat, sich für die häufigen Besuche eine Jahreskarte für die Sternwarte zu kaufen. Damit löst er eine Krise aus, denn der alte Mann kann nicht verwinden, dass seine gerade gefundene Freundin auch schon früher regelmäßig in die Sterne geguckt hat.

 

Der aufgeschlossene und etwas naive David freut sich auch auf das Kind, das seine Freundin Nora von ihm erwartet. Sie hat dagegen Angst vor der Verantwortung und verdrängt dies, indem sie bis zu Grenze des Zulässigen in einer Bäckerei arbeitet. Einer ihrer Stammkunden ist ein Arbeiter und allein erziehender Vater, der verzweifelt den Kontakt zu seiner pubertierenden Tochter sucht. Auch sie hat Angst vor Beziehungen und sucht sie lieber im Schutz des Internets als in ihrer Umgebung. Zugleich hat er Angst vor Entlassungen, die sich in seinem Betrieb anbahnen, seit zwei Unternehmensberater das Unternehmen durchforsten. Während der eine ein zynischer, eiskalter Abwickler ist, der nur den Profit für andere und sich sieht, ist sein Kollege sensibler. Er übersieht die Folgen seiner Arbeit für die Betroffenen und verzweifelt daran.

 

Wie immer bei Endemann braucht es einen Anstoß von außen, damit sich seine vielschichtig und mit psychologischer Stimmigkeit gezeichneten Figuren nicht nur in ihrer Lage bewusst werden, sondern auch wieder den Mut fassen, ihre eingefahrene Bahn zu verlassen und neue Wege zu gehen. Dabei verschweigt Endemann allerdings die Grenzen nicht, die in der Psyche der Figuren selbst oder in der Umgebung liegen.

 

Der junge Regisseur hat sich zudem als ein sehr genauer Beobachter der deutschen Realität erwiesen. Egal ob er in "Das Lächeln der "Tiefseefische" hinter die glitzernde Fassade der Urlaubsorte Usedoms blickt oder die oberflächlichen menschlichen Kontakte in einer austauschbaren Großstadt beschreibt – die Geschichten wurzeln tief im Hier und Heute.

 

Daran will Till Endemann anknüpfen. Er schreibt an mehreren Drehbüchern, die er mit verschiedenen Firmen entwickelt. Darunter sind auch die Produzenten, mit denen er bislang zusammen arbeitete. Um das Handwerk der Regie nicht zu verlernen, inszeniert er immer wieder Kurzfilme.