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Dr. Freuds Märchenprinzessin

Martha, geb. Bernays, war 52 Jahre lang die Ehefrau des weltberühmten Seelenarztes
Illustration
- Freud auf einer Wanderung mit seiner Mutter und seiner Ehefrau Martha während der Sommerfrische in der Umgebung von Altaussee. Die beiden Fotos auf dieser Seite sind der bekannten Freud-Biographie von Georg Markus entnommen, die erstmals 1989 erschienen ist. Unter dem Titel „Sigmund Freud. Die Biographie“ wurde die allgemein verständliche Einführung in Leben und Werk des Psychoanalytikers nun zum Freud-Jubiläum im Langen Müller Verlag München wieder neu aufgelegt.

Freud auf einer Wanderung mit seiner Mutter und seiner Ehefrau Martha während der Sommerfrische in der Umgebung von Altaussee. Die beiden Fotos auf dieser Seite sind der bekannten Freud-Biographie von Georg Markus entnommen, die erstmals 1989 erschienen ist. Unter dem Titel „Sigmund Freud. Die Biographie“ wurde die allgemein verständliche Einführung in Leben und Werk des Psychoanalytikers nun zum Freud-Jubiläum im Langen Müller Verlag München wieder neu aufgelegt.

Von Friedrich Weissensteiner

Dr. Sigmund Freud, Assistenzarzt am Wiener Allgemeinen Krankenhaus, war bereits 26 Jahre alt und – laut seinen Biographen – in sexueller Hinsicht ein verhältnismäßig unbeschriebenes Blatt, als ihn an einem Aprilabend des Jahres 1882 Amors Pfeil traf. Der junge Herr Doktor, der noch im Elternhaus wohnte, kam müde nach Hause. Er zog sich aber nicht, wie gewöhnlich, in seine Studierbude zurück, sondern ging noch ins Zimmer seiner Schwestern, um mit ihnen ein paar Worte zu wechseln. Da erblickte er ein fremdes Mädchen, das sogleich seine Aufmerksamkeit erregte. Es hatte ein hübsches Gesicht, große, schöne Augen, schwarzes, in der Mitte gescheiteltes, hoch gekämmtes Haar, eine zarte Figur und sprach auffallend anders als die Schwestern, jedenfalls nicht Wienerisch. Kurzum: die junge Fremde brachte ihn, wie er später eingestand, "nachhaltig außer Fassung" .

Sigmund Freuds Schwarm hieß Martha Bernays und stammte aus einem jüdisch-orthodoxen Elternhaus. In Hamburg als Tochter eines Kaufmanns am 26. Juli 1861 zur Welt gekommen, übersiedelte sie 1869 mit ihrer Familie nach Wien, wo der Vater zehn Jahre später verstarb.

Heimliche Verlobung

Martha war gut erzogen, fromm, sanft, charakterfest, wissbegierig, liebenswürdig und warmherzig. Der verliebte Sigmund warb um sie mit scheuer Befangenheit, schickte ihr, als sie seine Gefühle zurückhaltend erwiderte, täglich eine rote Rose und lud seine " Märchenprinzessin " zu Spaziergängen ein. Auch Briefe wurde gewechselt. " Theure Martha, wie haben Sie mein Leben verändert" , gestand er ihr, die Angebetete schenkte ihm einen Ring ihres Vaters. Nach zweimonatiger Bekanntschaft betrachteten sich Sigmund und Martha in trauter Heimlichkeit als Verlobte. Niemand durfte davon wissen, vor allem nicht die gestrenge Brautmutter. Ihre Tochter einem mittellosen Arzt zur Frau zu geben, das kam für sie einfach nicht in Frage. Kurz darauf übersiedelte die Witwe Bernays mit ihren Kindern Martha und Minna zu Verwandten nach Wandsbek bei Hamburg. In den Jahren des Getrenntseins, die nun folgten, schrieb Sigmund seiner fernen Verlobten, seinem " Prinzesschen " und " teurem, heißgeliebten Mädchen" glühende Liebesbriefe, in denen es übrigens auch an (unbegründeten) Eifersuchtsvorwürfen und maskulinen Herrschaftsansprüchen nicht fehlte. Nach gelegentlichen Besuchen in Norddeutschland, bei denen er Martha zunächst heimlich, später offiziell traf, schmolz der Widerstand der Mutter gegen die geplante Ehe.

Die zivile Trauung des Paares fand am 13. September 1886 im Rathaus zu Wandsbek, die religiöse Zeremonie, die der Bräutigam widerstrebend über sich ergehen ließ, am Tag darauf in der dortigen Synagoge statt. Sigmund Freud war ein kompromissloser Atheist. Sogleich nach der Gründung des gemeinsamen Hausstandes zwang er seine Frau, nicht koscher zu kochen und das Anzünden der Sabbatkerzen zu unterlassen. Martha fügte sich. Ihrem jüdischorthodoxen Glauben blieb sie innerlich aber treu.

Das frisch vermählte Paar bezog im Oktober 1886 eine Vierzimmer-Wohnung im "Sühnehaus", das an Stelle des 1881 abgebrannten Ringtheaters errichtet worden war. Die Praxis, die Freud ein halbes Jahr zuvor eröffnet hatte, ging schlecht. Aber die bescheidene Kaufmannstochter war sparsam, sie wusste Haus zu halten.

Das Eheleben war harmonisch. Am 16. Oktober 1887 brachte Martha ihr erstes Kind zur Welt, ein Mädchen, das nach dem Willen des stolzen Vaters Mathilde heißen sollte. Rasch hintereinander folgten die nächsten Schwangerschaften und Geburten. Am 7. Dezember 1889 wurde der erste Sohn, Jean-Martin, geboren, am 19. Februar 1891 Sohn Oliver.

Da Martha im Sommer schon wieder schwanger war, hielt der Ehemann Ausschau nach einer größeren Wohnung. Die Familie Freud bezog noch im September 1891 eine Mietwohnung im ersten Stock des Hauses Berggasse Nr. 19, in der zuvor Dr. Viktor Adler gelebt hatte. Sie war zentral gelegen, geräumig, aber nicht gerade sonnendurchflutet. Die Räume waren düster, die Stiegen im Treppenhaus steil. Martha hätte ein Haus im Grünen mit einem Garten für die Kinder vorgezogen. Aber an eine Arztpraxis in der Vorstadt war nicht zu denken. Martha musste sich den beruflichen Notwendigkeiten ihres Ehemannes fügen. Knapp vor ihrem Tod machte sie die Bemerkung, sie habe es ihrem Mann nie verzeihen können, dass sie jahrzehntelang in der Berggasse wohnen mussten. 1938 wurde das alte Ehepaar Freud von den Nazis aus Wien vertrieben.

Anstrengender Haushalt

1892 kam Ernst auf die Welt, ihm folgten Sophie (1893) und Anna (1895). Die Kinderschar und die Führung des großen Haushaltes forderten natürlich Marthas vollen persönlichen Einsatz und erschöpften zuweilen ihre Kraft. Von Zeit zu Zeit litt sie an Migräneanfällen, Darmkoliken, einmal sogar an einer (vielleicht psychosomatisch bedingten) Schreiblähmung. Trotzdem sorgte Martha Freud jahrzehntelang tagaus, tagein mit Hilfe eines Kindermädchens und einer Hausgehilfin für den möglichst reibungslosen Ablauf des Alltags. Das klappte natürlich nicht immer. Es gab Spannungen, Verstimmungen, Streit und Eifersüchteleien zwischen den Kindern. Zwischen den Ehepartnern soll es in der 52 Jahre währenden Ehe nur einmal einen handfesten Krach gegeben haben, und zwar über die läppische Frage der Zubereitung von Herrenpilzen. Das eheliche Zusammenleben war genau geregelt. Der Mann ging seiner beruflichen Tätigkeit nach, die Frau führte den Haushalt und sorgte für die Erziehung der Kinder. Martha fügte sich ohne Widerstreben in das konventionelle Rollenbild. Ihre Fürsorglichkeit für " den Sigi" war, mit heutigen Maßstäben gemessen, unbeschreiblich. Sie bereitete jeden Morgen das Badewasser für ihn, half ihm, als er schon ein wenig gebrechlich war, beim An- und Ausziehen und drückte angeblich sogar die Paste auf seine Zahnbürste. "Sie betreute ihn wie ein Kind", sagte eines der Dienstmädchen. Die penible Hausfrau fand sich auch mit seinen Chow-Chows ab, obwohl sie Hunde nicht mochte. Für die Arbeit ihres Mannes interessierte sie sich kaum. Tochter Anna bemerkte einmal: "Meine Mutter glaubte an meinen Vater und nicht an die Psychoanalyse." Jedenfalls aber sorgte Martha Freud dafür, dass ihr Ehemann, unbehelligt vom "Elend des Alltags" , seinen Studien und seiner wissenschaftlichen Arbeit nachgehen konnte.

Der Seelenerforscher hielt das für selbstverständlich, es passte in sein konservatives Frauenbild. Ein anerkennendes, lobendes Wort über die mühevolle Arbeit seiner Frau kam ihm nur selten über die Lippen.

Martha Freud war eine sanfte, gütige Frau, die Konflikten aus dem Weg ging und vieles, was ihr gegen den Strich ging, hinunterschluckte, während der rastlose Sigmund recht aggressiv und unversöhnlich sein konnte. Seiner Frau gegenüber fehlte es ihm in manchen Situationen an Verständnis und Einfühlungsvermögen. Unbekümmert um ihre jeweilige Gemütslage, unternahm der Liebhaber der alpenländischen Natur Wanderungen und Reisen mit seiner Schwägerin Minna, die seit 1896 dem Familienkreis in der Berggasse zugehörte. Mit der resoluten, selbstsicheren, temperamentvollen Schwester seiner Frau verstand er sich ausgezeichnet. Möglicherweise besser, als es Martha seelisch gut tat. Dass sie darunter nicht gelitten haben soll, wie sie selbst behauptete, ist schwer vorstellbar.

Freud, der Patriarch

Sigmund Freud war ein viel beschäftigter Mann. Seine Praxis, seine Forschungsarbeit und seine umfangreiche Korrespondenz nahmen ihn voll in Anspruch. Für die Familie blieb da wenig Zeit. Man traf einander bei den Mahlzeiten, die zumeist wortkarg abliefen. Die Mutter erzog die Kinder mit sicherem pädagogischen Instinkt. Sie gab ihnen die Liebe, die sie benötigten, und die Fürsorge, die sie brauchten. Der Achtung gebietende Vater brachte seinen Kindern Verständnis entgegen, beobachtete ihre Entwicklung und beeinflusste ihre Berufswahl. Es ist bezeichnend, dass keiner der Freud-Söhne in die Fußstapfen des Vaters trat. Sie bauten sich andere berufliche Existenzen auf. Der lebenslustige Martin studierte Jus, der zwangsneurotische Ordnungsfanatiker Oliver wurde Bauingenieur, der charmante Ernst Architekt. Von Martin stammt der lebenskluge Satz: "Der Sohn eines Genies bleibt der Sohn eines Genies."

Den Töchtern blieb eine akademische Ausbildung versagt. Lediglich Anna durfte das Mädchenlyzeum besuchen und entschied sich für den Lehrberuf. Die jüngste Freud-Tochter wurde nach seinem Tod zur Gralshüterin seines Werkes und erlangte als Begründerin der Kinderpsychologie Weltruhm.

Literatur :

Katja Behling: Martha Freud. Die Frau eines Genies. Mit einem Vorwort von Anton W. Freud. Aufbau Verlag, Berlin 2005.

Eva Weissweiler: Die Freuds. Biographie einer Familie. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006.

Friedrich Weissensteiner war Direktor eines Wiener Bundesgymnasiums und ist Autor zahlreicher historischer Bücher.

Samstag, 06. Mai 2006

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