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"I bin der Monsieur Ank"

Helmut Fiala ist ein Afrikaner mit österreichischem Pass und Teint
Der Fiala rührt keine Flasche an – mit Sonnenmilch. . . Foto: privat

Der Fiala rührt keine Flasche an – mit Sonnenmilch. . . Foto: privat

Zwischenstopp in der Sahara, auf der Fahrt Wien – Ouagadougou, Burkina Faso. Foto: Manfred Neubauer

Zwischenstopp in der Sahara, auf der Fahrt Wien – Ouagadougou, Burkina Faso. Foto: Manfred Neubauer

Von Claudia Aigner

An einem sibirischen Wintertag in Wien. Die russische Kälte lauert gerade den Passanten auf und die hundsgemeinen Schnupfenviren fallen mit ihrer Guerillataktik über jede Nase her, die ihnen über den Weg läuft. Da sitzt, irgendwo im 21. Bezirk, in einer ziemlich ungeheizten Galerie und von afrikanischer Stammeskunst bedrängt, ein imposant hitziger Mann (mit hochgeschobenen Pulloverärmeln). Sehr präsent, sehr bärtig.

Und behauptet frech, während er blass ist wie ein Finne im Februar: Er wär‘ ein Afrikaner. ( "Ich bin der Hank, ich bin der Helmut Fiala." ) Und er wär‘ eben erst wieder für länger unten gewesen. Und dabei weiß doch jeder, dass Afrika ein Open-Air-Solarium ist. Und er will mir auch noch einreden (und hat dabei diesen provokanten, von der Sonne so völlig unbeeindruckten Teint), dass er total abstinent leben würde. Von Kindesbeinen an. Keine Flasche anrühren würde er – wo Sonnenmilch drin ist. Dort in Burkina Faso und wo er sich sonst noch rum treibt. ( "Ich trag auch keine Kappe. An Hut scho goa ned." )

Kürbishälfte auf dem Kopf

Na ja, was erwartet man denn von einem, der ein Haus in einer unmöglichen Stadt gemietet hat, wo es nämlich keine Parksünder gibt? Zugegeben: in Ermangelung von Parksheriffs. Aber die Mopedfahrer, die dort die Mehrheit haben ( "Zigtausend? Ich würd‘ sagen, das sind schon Zig hundert tausend!" ) und von denen pro Jahr 4000 sterben, und die trotzdem nicht weniger werden, fahren wirklich ohne Nummerntafel. Doch dafür haben sie eine Kürbishälfte auf dem Kopf. Oder einen Bauarbeiterhelm – um nicht gegen die Helmpflicht zu verstoßen. Der Kürbishelm ist natürlich kein Symptom der "primitiven", "eingeborenen" Lebensart, sondern des Geldmangels. Spätestens wenn der Tag zur Neige geht in Ouagadougou ( "In Wagadugu. Man spricht das als W aus" ), ergreift die Anarchie von den Verkehrsteilnehmern Besitz, dann beginnt das Freistilfahren: "Sagma amal so: Ab 8 Uhr, 9 Uhr abends fährt man automatisch über rote Ampeln." Rechtsverkehr? "Ja, ja. Nur . . . in Ouagadougou ist auch das nicht so eindeutig." Und ein seltsames, geschlechtsspezifisches Verhalten haben die. Da brauen ausschließlich die Frauen das Hirsebier . Fiala: "Das dürfen – das machen die Männer nicht. Nein, nein. Männer nähen ." Wie meint er das: "Männer nähen"? "Jo, jo, das is ganz normal. Selten, dass ma eine Frau sieht, die näht." Mit so einer alten Singernähmaschine. Öffentlich. Und die Männer genieren sich nicht einmal. "Es is a ondre Wöd" , resümiert der Fiala und zieht schon an der fünften Zigarette.

Und einer, der an so einem Ort wohnt, soll jetzt ausgerechnet einen von europäischen Dermatologen für ungeschützte Häute vorgeschriebenen Sonnenbrand kriegen? Oder gar braun werden, wie jeder andre Mistelbacher es täte? In Mistelbach in Niederösterreich kam er ja 1947 auf die Welt. Machte in Österreich noch die Volksschule durch, bevor es mit der Familie nach Nordrhodesien ging und er irgendwann zum stürmischen Abenteurer wurde (neben seiner Tätigkeit als Ausbildner für Elektrotechniker, wo es ihn auch zum Karlheinz Böhm nach Äthiopien verschlagen hat).

Und es ist auch nicht überliefert, dass ein Helmut Fiala als Baby in einen Kübel voller Nivea gefallen wäre und deshalb jetzt eine Hornhaut mit extremem Sonnenschutzfaktor hätte. Aber womöglich werfen sich ja, wenn er daheim ist, die Blätter seiner drei Mangobäume, die er im Hof seiner Ouagadougou-Residenz stehen hat, photosynthesegeil zwischen ihn und die UV-Strahlen. Und wenn er unterwegs ist, schiebt sich halt das Dach seines ihm treu ergebenen, 23 Jahre alten Mercedes vor die Sonne. Das betagte Auto hat er schließlich auf seinen nicht gerade asphaltverwöhnten Reisen immer wieder liebevoll aufgepäppelt. ( "Reifenpannen: Mit Sand und mit Gras auffüllen und ma foat weiter. Is zwoa etwas flacher, oba er rollt." )

Easy Rider ohne Asphalt

1972 war der Fiala freilich "oben ohne", ohne Autodach. Als er ganz allein mit dem Motorrad den kompletten Schwarzen Kontinent durchquerte. Und zum Drüberstreuen das ganze Europa westlich des Eisernen Vorhangs drangehängt hat. Gut, er hatte eine Honda zwischen den Schenkeln und keine Harley. Doch ansonsten: ganz wie Easy Rider. Nur eben ohne Asphalt. Und ohne Langhaar-Kommunen. Kapstadt kehrte er also den Auspuff zu und drei Monate und drei Tage später ( "Also i war unter keinem Stress oder so" ) kam das Vorderrad in Wien an. Der Rest natürlich auch. Ohne A-Führerschein (den er bis heute nicht hat). Aber mit einem Stempel aus Südafrika im Pass. Fiala: "Das waren noch Zeiten der Apartheid. Man konnte also als Weißer normalerweise nie durch ein schwarzes Land fahren mit diesem Stempel drin." Und wie ist er dann über die diversen Grenzen?

"Ich bin auf die Grenzstationen zugefahren, immer so zwei, dreihundert Meter daneben, und hab gewunken. Und der Afrikaner winkt zurück. Is ja ein höflicher Mensch." Ah, verstehe. Die haben ihn drüber gelassen, weil die Wahrscheinlichkeitsrechnung des gesunden Menschenverstandes ergeben hat, dass es ziemlich unwahrscheinlich ist, dass da ein Mistelbacher mit einem feindlichen Stempel aus einem Rassentrennungsland so aufdringlich herübergrüßt. ( "Die ham nie daran gedacht: Do foat a Weißer durchn Busch mitn Motorrad." ) Noch dazu ohne schwarze Schuhcreme im Gesicht. Wird seinem Topfenantlitz halt der Sturzhelm Deckung gegeben haben. Fiala, empört: "Ich hatte überhaupt kan Helm." Richtig. Und den Bauhelm, den ihm ein mitleidiger, in die Straßenverkehrsordnung eingeweihter Bub vor der Post in Benguela (Angola) in die Hand gedrückt hat, hat er auf der weiteren Fahrt dankbar ignoriert.

Aufgehalten wurde er erst in Österreich. Weil seine Nummerntafel aus Tsumeb, Südwestafrika (heute Namibia), wo das Motorrad zugelassen war, für Irritation sorgte. Fiala: "Wir schreiben ja Steiermark mit großem S, kleinem T. Und Tsumeb war großes T, großes S." Da wird ihn der Polizist für einen Gscherten aus der tiefsten, südlichsten (südsteirischsten) Provinz gehalten haben, der auch noch zu patschert ist, um das Steirer Kennzeichen richtig zu fälschen. Und weil‘s ja "i glaub 24.000 km in etwa" waren: Hat er da irgendwann eine Panne gehabt? "Ja, und zwar in Portugal. Auf der Autobahn. Meine Reifen. Und irgendwo bei über 100 . . . und i bin auf der Fressn gelegen." Aber so was kann einen echten Fiala doch nicht kleinkriegen: "Ich hab dann aus meinem Jeansgewand eben ein kurzes Gewand gemacht." Weil‘s nach dem Unfall nicht mehr ganz intakt war. Ein Fiala steht immer wieder auf.

Es folgt nun ein Ecce-Homo-Zwischenspiel, ein Narben-Intermezzo. Der Schmerzensmann macht Inventur, zählt seine Wunden durch. Die Haut hat ja ein Langzeitgedächtnis, merkt sich sogar jedes Lachen, memoriert es als Lachfalten (als Runen des Gelächters, von denen der Fiala auch einige hat). Ist ein Archiv.

Zwei m² Autobiografie

Als erstes legt der Geschundene seine rechte untere Extremität auf den Tisch. Der Fiala wurde nämlich 1968, nachdem er bei Pretoria vom Himmel gefallen ist, anatomisch ein bisserl umgebaut. Seine Hüfte liegt jetzt in seinem Unterschenkel. Jedenfalls ein Teil des Hüftknochens. Um etwas aufzufüllen, was ihm nach seiner verpatzten "Himmelfahrt" (mit einer Cessna, denn fliegen kann er auch) im Unterschenkelknochen gefehlt hat. Ach ja: Die Lenksäule hatte er damals auch im Bauch. "Na jo, des is ein Riss von hier bis hier und ca. von hier bis hier. Hier woan des 46 Nähte und insgesamt, i glaub, zwohundertfuffzig Nähte. Hier, hier, hier, wo noch? Oba jetzt homs genug gsehn." Den Gips hat er sich übrigens selber runter geschnitten. "Und drei Wochen später bin i Fallschirmspringen gangen." Sein entnervtes Schutzengerl leidet sicher an einem Burn-out-Syndrom.

Jetzt packt mich aber die Unverfrorenheit und ich frag‘ ohne höfliche Zurückhaltung: "Und wo hams das Spitzl von ihrem linken Ringfinger glassen?" In Australien! Aha, im Revier vom Crocodile Dundee. Hat er da, als ultimative Herausforderung an die Fortbewegung, versucht, ein Krokodil zu einem Surfbrett umzuerziehen? Nein. Da war ein ordinärer Verteilerkasten involviert. Dem wollte der Fiala ein Schlüsselloch verpassen, als die Stanzmaschine plötzlich einen Fehlstart hingelegt hat. Als der Ringfinger noch drunter war. So was schafft vollendete Tatsachen. Wie wenn sich ein Elefant auf ein Gänseblümchen setzt. Dessen Blühen ist ja auch unwiederbringlich futsch.

Springen wir wieder nach Afrika. Nur die Bodenscheuen fliegen dorthin. Die Einfallslosen. Den andern (manche würden sagen: "Extremisten") ist der Fiala selber schon begegnet. Einem Salzburger, der einen besonders intimen Körperkontakt mit der Sahara hatte, will heißen: Er war ein Fußgänger. Mit Fahrradanhänger. Eigentlich wäre er mit dem Fahrrad da gewesen (als ob ein Kamel mit Pedalen, ein Draht-Dromedar, in der Wüste nicht genauso eine Fortbewegungsanomalie wäre), aber das hatte man ihm in Marokko geklaut. Dann gab‘s da noch dieses Pensionistenehepaar: Mit Mulis von Südafrika nach Schottland. Fiala weiß also aus hautenger, äh, hautnaher Erfahrung: "Es gibt immer Varruckte. Ich hab an Fahrradfahrer . . ., wo hab i den kennenglernt? In Äthiopien. Auch von Schottland. Is runter. Von Glasgow."

Nur keine Eskimos!

Und alle wirbeln sie Saharasand auf. Erst wenn man dort einen Eskimo in voller Grönland-Montur mit einem Hundeschlitten antrifft oder einen Hippie auf einem Hüpfball oder einen Extrem-Skandinavier mit Langlaufskiern, erst dann sollte man eventuell in Erwägung ziehen, dass man einer Sinnestäuschung aufsitzt. Alles andre ist real. Und der Fiala, der sechs bis achtmal im Jahr Wien – Paris – Ouagadougou fliegt? Was macht der dann dort, jetzt, wo er kein Ausbildner für Elekroingenieure mehr ist? "Man kennt mich in Ouagadougou. Ich würd' sagen: 60 Prozent der Leute, dieser einen Million, die kennen mi scho auswendig. I bin der Monsieur Ank" – Französisch für "Hank", sprich: "Hänk". Fast ein halbes Jahr fährt er, zusammengerechnet, kreuz und quer durch Westafrika und jagt "alte Sachen" . Die Steinfiguren der Nyonyosi zum Beispiel. Fragt den "Chef der Steine" , der mehr Power hat als der Dorfchef, ob er eine haben kann. Er weiß ja, dass man da spezielle Manieren braucht ( "I kann ned in a Dorf reinfahren und sagen: Das will ich haben" ). Oder spezielle Geschenke, um die Leute davon zu überzeugen, dass sie eine bestimmte Maske eh nicht mehr benötigen: Schafe, Eselskarren . . .

Und was können die Steinfiguren der Nyonyosi so? Fiala: "Eine reine Fruchtbarkeitsangelegenheit." Ich trau mich ja nicht zu fragen, ob sie auch bei ihm gewirkt haben. Ist er denn verheiratet? "Einige Male." ( Hinter einander.) Tja, er lebt riskant. Und als ich aufstehe, um mich nach zweieinhalb zeitlosen Stunden zu verabschieden, in denen die unheimlichen dunklen Holzkreaturen in der völlig überfüllten Galerie "Afrique Noire" unmerklich und anscheinend selbsttätig immer näher an mich herangerückt sind, fällt mir der Haufen Zigarettenasche im Aschenbecher auf. Würde bestimmt eine halbe Urne füllen. Rauchen – vielleicht sein gefährlichstes Abenteuer.

Claudia Aigner lebt als Publizistin und Kunstkritikerin in Wien.

Samstag, 18. Februar 2006

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