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Geschöpfe der Wüste
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Linus-Models Nr. 19 und 20: Jonas Voegeli (links) und Vinzenz Blaas in Zürich. |
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Die Kolumne, in der das Leben, die Liebe und das Universum vollständig beschrieben werden.
Vor ein paar Tagen hörte ich im Fernsehen
jemanden sagen, er habe sich gerade
erst von einer Nebenhodenentzündung
erholt. Seither plagt mich der Gedanke,
dass ich jahrzehntelang physisch unvollständig
war und es nicht bemerkt habe.
Mein ganzes bisheriges Leben kommt
mir jetzt vor wie eine Kirchenorgel, der
die F-Pfeife fehlt. Selbstverständlich kann
man auch auf einer solchen unvollständigen
Orgel ein Präludium von Bach spielen:
überall dort, wo ein F vorkommt,
macht die Orgel dann eben «pfff…» Man
kann aus der Unvollständigkeit sogar eine
avantgardistische Musiktheorie zusammenschustern,
in der man behauptet, das
«pfff...» sei eine dringend nötige Modernisierung
des barocken bachschen F, «dessen
verschnörkelte
Obertöne einfach nicht
mehr in unsere Zeit der downloadbaren
Handyklingeltöne passen».
Aber schlussendlich
ist es eben doch so:
Da sind keine Nebenhoden, jedenfalls
nicht bei mir. Ich habe die Sache wirklich
gründlich abgetastet, ich habe mir nichts
erspart, ich habe in vielen Stunden des
einsamen Duschens
eine exakte Landkarte
meiner Testikulargegend erstellt. Auf
dieser Karte gibt es lediglich zwei relativ
glatte Knollen, die sich anfühlen wie Augäpfel.
(Die Vermutung, dass Testikel und
Augäpfel aus einem ganz ähnlichen Material
bestehen, ist ein nicht ganz uninteressantes
Nebenprodukt meiner Untersuchungen.
Die Vermutung beruht unter anderem
auf der von jedem Mann überprüfbaren
Tatsache, dass Testikel und Augäpfel
dieselbe Schmerzschwelle aufweisen, wenn
man einen Druck auf sie ausübt, dessen
Kraft wir hier als D2 bezeichnen wollen,
wobei D2 in etwa dem Druck entspricht,
der nötig ist, um eine Bierdose zu zerknüllen.
Achtung, Kinder, nicht zu Hause
nachmachen! Und ausserdem meine ich
natürlich eine leere Bierdose.)
Nun aber
zurück zu meiner Landkarte, die sich verglichen
mit der Landkarte jenes Mannes,
der im Fernsehen von seiner Nebenhodenentzündung
sprach, ausnimmt wie die
Karte
der Wüste Gobi. In der Gobi gibt es
nur zwei Wasserstellen, und wer sie nicht
findet, dem gaukelt der Tod, bevor er sich
den Verdurstenden holt, «Nebenwasserstellen
» vor. Der Verdurstende kriecht
mit letzter
Kraft zu den vermeintlichen
«Nebenwasserstellen», und falls er wider
Erwarten im letzten Moment von einer
Karawane
gerettet und in ein Fernsehstudio
transportiert wird, wird er dort dem
Moderator das Wasser wegsaufen und
hinterher behaupten, er habe an einer
«Nebenwasserstellen-Halluzination» gelitten,
aber jetzt gehe es ihm schon viel besser,
er fühle
sich physisch sogar bereichert,
er merke gerade, dass ihm, wohl auf
Grund der Todesangst, Nebenhoden gewachsen
seien. Ein verantwortungsbewusster
Moderator hätte jetzt gesagt: «Achtung,
Kinder und Herr Reichlin! Das hier
heisst ‹Fernsehen› und nicht ‹Durchblicken.›
Hier darf jeder alles behaupten,
auch dass er Nebenhoden hat. Aber jetzt
überlegt mal! Wo sollen die denn sein, diese
Nebenhoden? Etwa in einem Parallelhoden-
Universum? Und jetzt Zähneputzen
und ab ins Pischi!» ‹
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