Beinahe hätte Hans-Jürgen Ostermann es mit seiner forschen Art geschafft, doch noch einen kleinen Aufstand im Saal auszulösen. "Es gibt immer welche, denen alles Neue nicht passt", raunzt der kompakte Brillenträger mit dem grau melierten Bart in Richtung des Publikums. "Wer nicht einverstanden ist, muss eben weggehen." Da kommt unter den rund 200 Zuhörern im Saal empörtes Gemurmel auf. Man wird doch mal fragen dürfen, welche Auswirkungen der weltweite Klimaschutz auf die Grundstückspreise in Mahlsdorf und Maxdorf haben wird. Allgemeines Kopfschütteln.
Keine Frage: Bali ist in der deutschen Provinz angekommen. Auf der indonesischen Insel wird in den nächsten beiden Wochen verhandelt, wie in den nächsten Jahrzehnten der Ausstoß an Treibhausgasen weltweit gesenkt werden kann. In Mahlsdorf, im Norden Sachsen-Anhalts gelegen, soll deshalb klimaschädliches Kohlendioxid zur Lagerung in den Boden gepresst werden. Der Energiekonzern Vattenfall hofft, auf diese Weise seine abgasreichen Braunkohlekraftwerke im Klimazeitalter zu retten.
"Bei der Transportfrage möchten wir mit Ihnen gemeinsam eine Lösung suchen", sagt der Vattenfall-Mann zu den Bürgern. In der Pilotphase würden täglich etwa zehn große Tankzüge mit Kohlendioxid vom ostdeutschen Braunkohlerevier zur Lagerstätte rollen. "Hier möchten wir mit Ihnen gemeinsam nach einer optimalen Lösung suchen", sagt der Firmenvertreter. "Wir suchen das Gespräch."
Kein Wunder: Als größtes Problem gilt bei der Kohlendioxidabspaltung nicht die Technik, sondern die öffentliche Akzeptanz. Das Wort Endlager weckt einige unschöne Assoziationen mit dem wenige Kilometer entfernt geplanten Endlager für Atommüll. Die Konzerne haben Experten beauftragt, die Kommunikation zu managen.
Deshalb wurden nach den ersten Unmutsäußerungen die Anwohner eingeladen, um mögliche Befürchtungen zu zerstreuen. "Kohlendioxid ist uns aus Getränken bekannt", referiert hemdsärmelig ein Experte der Firma Linde: "Es hat keine schädliche Wirkung, sondern eher erfrischende."
Fundierter spricht Frank Schilling, Physiker vom Geoforschungszentrum in Potsdam. Er betont, dass die CO2-Speicherung nur eine Brückentechnologie sein kann. Sie soll die Emissionen senken, bis neue, wirklich kohlendioxidfreie Energietechniken zur Verfügung stehen. Wer die Suche nach Alternativen vernachlässige, der handele grob fahrlässig.
Schilling hat auch ausgerechnet, was beim größten denkbaren Umfall passieren würde. Würde ein Panzer die Pumpstation umfahren, würde es nach seinen Worten nur im Umkreis von 20 Metern eine erhöhte Kohlendioxidkonzentration geben. "In 30 Metern Entfernung bekommt man es gar nicht mit", sagt Schilling.
Es sind solche Zahlen, die die Bürger in der Altmark milde stimmen. Der Sicherheit gelten die meisten Bedenken. Am Ende der Bürgerversammlung gibt es freundlichen Beifall. Das Projekt wird wohl nicht an einer kritischen Bürgerinitiative scheitern.
Auch der kauzige Landrat Ostermann ist am Ende des Abends zufrieden. "Endlich machen wir etwas Innovatives, auf das die Welt schaut." Auch für das Problem mit den Kohlendioxidtransporten durch Mahlsdorf hat Ostermann schon eine Idee. "Vielleicht können wir jetzt eine Ortsumgehung für die Bundesstraße durchsetzen."
Eine neue Straße für den Klimaschutz - damit wäre dann wirklich allen gedient.
Aus der FTD vom 03.12.2007
© 2007 Financial Times Deutschland, © Illustration: FTD.de
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