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Das Land der schwarzen Berge

Vor einem Jahr hat Montenegro die Trennung von Serbien vollzogen. Ein Lokalaugenschein in dem kleinen, unabhängigen Staat
Illustration
- Eine russische Tupolev-Maschine mit Urlaubern an Bord landet auf dem Flughafen von Tivat.  Foto: Stadler

Eine russische Tupolev-Maschine mit Urlaubern an Bord landet auf dem Flughafen von Tivat. Foto: Stadler

Von Gerhard Stadler

Seit seiner Unabhängigkeitserkärung am 3. Juni 2006 ist es um Montenegro still geworden. Bei einer Volksabstimmung am 28. Mai 2006 hatte sich eine Mehrheit von 55,5 Prozent für diesen Schritt entschieden. Im Juni und Juli 2006 anerkannten die anderen Staaten die Unabhängigkeit ohne weitere Diskussionen, und Montenegro wurde der 192. Mitgliedstaat der UNO.

Mit der Trennung von Serbien wurde auch der letzte Rest Jugoslawiens aufgelöst; der Name dieses für die Geschichte kurzlebigen (1919 - 2006) Staates besteht nur noch in der für die UNO verbindlichen Bezeichnung von Mazedonien als "Former Yugoslav Republic of Macedonia" (FYROM) fort, eine bei dessen Aufnahme in die Staatengemeinschaft von Griechenland durchgesetzte Formulierung.

Internationale Politik und Medien haben sich dem Kosovo, der nächsten, vielleicht letzten neuen Staatswerdung am Balkan zugewandt. Sollte auch der Kosovo unabhängig werden, würde Serbien wieder fast auf jene Grösse reduziert sein, die es 1914 hatte. Den Anteil an der Adriaküste, eines der 1918 erreichten Kriegsziele Serbiens im Weltkrieg, hat es mit der Unabhängigkeit Montenegros bereits verloren.

In Podgorica, der Hauptstadt des neuen Staates, hatte man sich dank zweier, die Verbindung mit Serbien immer mehr lösenden Verfassungsänderungen, auf die Unabhängigkeit gut vorbereitet: Schon 1996 führte man wegen der galoppierenden Inflation in Serbien eine getrennte Währung, die DM, ein. Sie wurde 2002 vom Euro abgelöst. Es wurden Zollkontrollen und parallele Verwaltungsstrukturen aufgebaut, ein neues Regierungsviertel errichtet und, zeitgerecht zwei Monate vor der Unabhängigkeit, ein moderner Flughafenterminal in Betrieb genommen. An den früheren Namen der Stadt, Titograd, erinnert nur mehr der Name eines Kaffeehauses beim Rathaus.

Die Abnabelung von Serbien vollzog sich fast vollständig und bewusst: Die Sprache der Montenegriner ist, bis auf dialektale Varietäten, das Serbische. Dennoch sieht man in Podgorica fast nur noch lateinische, und kaum mehr die in Serbien fast ausschliesslich verwendeten cyrillischen Buchstaben. Nur die orthodoxe Kirche und die Eisenbahn halten in Montenegro noch an der cyrillischen Schrift fest. Die 1976 fertig gestellte Bahnlinie Belgrad-Titograd -Bar war Titos letzter Stolz: Der nach vielen Jahrzehnten erste große Bahnbau Europas (noch vor den TGV- und ICE-Strecken) verbindet Belgrad mit Bar, dem Adriahafen. Eine Fahrt über diese 500 Kilometer mit ihren beeindruckenden, technisch aufwendigen Brücken und Tunneln ist noch heute ein Erlebnis, wenn auch nur für den Eisenbahnliebhaber, denn das rollende Material ist desolat. Die jetzt durch drei Staaten führende Strecke (einige Kilometer durch Bosnien-Herzegowina) hat viel von ihrer einstigen Bedeutung eingebüßt, bietet aber mit acht Stunden Fahrzeit eine schnellere Verbindung als die Straße in dieser noch autobahnlosen Region Europas.

Ein Jahr nach der Unabhängigkeit sind in Podgorica Alltag und Ernüchterung eingekehrt. Am 13. Juli 2007, dem Nationalfeiertag – er erinnert daran, dass am 13. Juli 1941 in den montenegrinischen Bergen unter Tito der Partisanenkrieg gegen die Wehrmacht begann –, gab es keine Paraden oder Kranzniederlegungen. Einzig die lange Reihe schwarzer Limousinen vor der eher bescheidenen Residenz des Präsidenten, mit den sich während einer Sondersitzung der Regierung in der Hitze langweilenden Polizisten und Chauffeuren, gab dem Tag eine besondere Note.

Taktische Nationalität

Die Staatsangestellten hatten frei bekommen, aber sonst lief das Leben in dieser reizlosesten Hauptstadt Europas seinen gewohnten Gang: Im einzigen modernen Hotel der Stadt herrschte das von allen Metropolen Osteuropas bekannte Kommen und Gehen der internationalen Berater, bezahlt auch hier von den europäischen Institutionen. Auf den Märkten kauften die Hausfrauen frische Lebensmittel aus dem nur mit agrarischen Produkten gesegneten Umland, die wenigen Geschäfte für Bekleidung blieben trotz Werbung mit hohen Rabatten leer, die vielen Cafés an den schattigen Alleen voll.

Einer der wichtigsten Gesprächsstoffe hier ist das künftige Staatsbürgerschaftsgesetz: Die Regierung will jedem, der in Montenegro geboren ist oder seit mindestens zwei Jahren hier lebt, die Staatsbürgerschaft geben. Doch viele zögern: Man hat Verwandte in einem anderen ex-jugoslawischen Staat, ein Grundstück dort oder vielleicht, dank der Geburt im heutigen Ausland, sogar eine andere Staatsangehörigkeit. Man debattiert, mit welchem Reisepass man leichter in die EU einreisen kann (Montenegriner benötigen dafür ein Schengen-Visum, Kroaten nicht) und spekuliert, welcher Staat früher in die EU aufgenommen werden könnte.

Mit 13.800 km² Fläche und ca. 650.000 Einwohnern gleicht Montenegro zahlenmäßig etwa dem Bundesland Tirol. Trotz politischer Stabilität sind die wirtschaftlichen Sorgen groß: Im Land liegen das monatliche Durchschnittseinkommen bei 250 Euro und die Arbeitslosigkeit offiziell bei 13 Prozent. Durch die Auflösung Jugoslawiens sind die Absatzmärkte für die agrarischen Produkte, das Bier aus der Brauerei in Nikši æ und die (ausgezeichneten) Weine weggebrochen. Die einzige Großfabrik des Landes, eine Aluminium-Elektrolyse-Anlage südlich der Hauptstadt, befindet sich nun in russischen Händen. Sie produziert zwar wieder, arbeitet aber trotz der nahen Bauxitminen uneffizient und würde mehr Strom benötigen. Die Wasserläufe im Norden des Landes böten Energie für einige Flusskraftwerke, doch noch hat sich für dieses Potenzial oder für die Weiterverarbeitung des Rohaluminiums kein Investor gefunden.

Montenegro weist im Norden eine wilde Gebirgsszenerie mit Gipfeln von bis zu 2500 Metern auf, – schließlich ist es das "Land der schwarzen Berge". Diese Region hat einige sehenswerte Kirchen aus der orthodoxen Vergangenheit, Schigebiete und Schluchten zu bieten, die zu den eindrucksvollsten Europas gehören, doch mangels Infrastruktur verirren sich nicht einmal Naturtouristen dorthin. Das Klima ist im Sommer zu heiß, im Winter zu kalt, die Landflucht groß. Milovan Djilas, vielleicht der bekannteste Name dieser weniger durch Intellektuelle als durch Krieger hervorgetretenen Nation, schrieb: "Es ist dies ein Gebiet von extremer Kargheit und zehrender Stille. In seinen steinigen Höhen verliert sich alles Lebendige und alles, was Menschenhand erschaffen hat. Der Laut zerbröckelt an den scharfen Konturen der Steine und das Licht wird an den Felsgraten zu Sand zermahlen . . . Hier gibt es weder die Ruhe der Wüste noch die Weite des Meeres und doch ist davon etwas gegenwärtig – in der Stille der Steine und der Unendlichkeit des Himmels in der Höhe. Ebenen und kleine Täler, ummauerte kleine Felder zwischen den Felsen, alles ist enger und verlorener als im übrigen Karst. Die Bäume sind knorrig, missgestaltet, schon als junge Triebe verstümmelt und von Menschen beschnitten, und ausgedörrt auf dem nackten Kalkgestein; es gibt keine Eiche, keine Weiß- oder Rotbuche, nur trockenes, sprödes, kaum grünes Gras – eine phantastische Traumwelt . . . alles ist Stein."

Montenegros Küste hingegen, mit ihrer an den Vierwaldstätter See erinnernden Bucht von Kotor an die 250 Kilometer lang, lebt von den mehr als 700.000 Urlaubern dieses Sommers. Alte venezianische Städte und Forts der k.u.k. Armee sind die historischen Sehenswürdigkeiten der seit drei Jahren wieder gefragten Tourismuslandschaft: etwa das nur fünf Kilometer von Bar entfernte Sutomore, welches von 1815 bis 1918 der südlichste Ort im österreichischen Kronland Dalmatien war.

Langsam rollt der Euro

Von Podgorica sind es nur siebzig Kilometer zum Meer, doch die Straße ist nicht ausgebaut, sehr kurvenreich und so stark befahren, dass es täglich zu Unfällen kommt. Geht dabei nur das Auto kaputt, ist für raschen Ersatz gesorgt: Wo immer es neben der Straße ebenes Areal gibt, hat sich ein Gebrauchtwagenhändler niedergelassen und seinen Container mit PKWs meist deutscher Marken umstellt. Als das offizielle Serbien unter internationalem Importboykott stand, entdeckten die Händler aus Cetinje diese Marktlücke: Ein am Weg von der Küste nach Serbien gekauftes Auto konnte leicht nach Serbien gebracht werden, halb-legal. Nachschub kam und kommt von in Norddeutschland lebenden Montenegrinern, die dort gezielt Gebrauchtwagen, die den TÜV nicht mehr schaffen, aufkaufen, und diese per Schiff von Hamburg nach Bar transportieren lassen. Die Altfahrzeuge werden in Monte negro repariert und verschönert, was den Profit wesentlich erhöht.

Einfacher gelangt man über den Flughafen von Tivat oder mit der Fähre (vom italienischen Bari nach Bar) in diesen Landesteil. Er hat eine der schönsten Landschaften Europas zu bieten: Bis zu 1750 m hohe Berge fallen steil zur dunkelblauen Adria ab, im Norden liegen die Fjorde der Bucht von Kotor und einige vorgelagerte Inseln.

Das makellose Meer

Wo die Berge Platz lassen, hat man Hotels oder Appartementhäuser gebaut – die Zerstörungen durch das Erdbeben 1979 boten Gelegenheit, frühere Bausünden zu reduzieren. Die Sand- und Kiesstrände werden vom makellos reinen Meer bespült. Noch darf man an drei Stränden nackt baden – seinerzeit hatte das sozialistische Jugoslawien mit FKK viele Nord- und Mitteleuropäer ins Land gelockt.

Hier rollt nun der Euro. Hotels und Restaurants sind zwar relativ billig, nicht aber Häuser und Appartements. Die Quadratmeterpreise liegen bei 5000 Euro, Spitzenlagen kosten bis zu 17.000 Euro. Die Preise haben sich in den letzten fünf Jahren verzehnfacht! Für Russen und Engländer kein Problem, wie die Yachten in den Marinas bezeugen. Die internationale Luxusklientel ist volatil und hat eben nun Kotor und Budva entdeckt. Die Serben indes, dem einstigen Brudervolk grollend, urlauben nicht mehr in Montenegro. Sie bevorzugen heute die Küsten und Inseln Nordgriechenlands.

Gerhard Stadler, geboren 1947, Dr. jur., ist nebenberuflich Reiseschriftsteller und hauptberuflich Mitarbeiter einer europäischen Organisation.

Freitag, 03. August 2007

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