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Wenn sich der Geist vom Körper trennt

Illustration
- Gerard Gepp

Gerard Gepp

Von Peter Markl

Aufzählung Die Existenz "außerkörperlicher Erfahrungen" wirft grundlegende Fragen über das Verhältnis von Körper und Bewusstsein auf.

Wer es in stark ausgeprägter Form selbst schon einmal erlebt hat, wird es nicht wieder vergessen. Und zwar nicht nur, weil es am eindrucksvollsten in Extremsituationen auftaucht: Das Selbst scheint sich von seinem Körper gelöst zu haben und nun von außen auf den Körper zu blicken, der zurückgeblieben ist. Solche "außerkörperlichen Erfahrungen" treten während schwerer Operationen auf, bei lebensgefährlichen Unfällen, in bestimmten meditativen Zuständen oder nach der Einnahme bestimmter Drogen, am eindringlichsten aber vielleicht als "Nahtod"-Erlebnisse.

Man fühlt intensiv, dass man sich von seinem Körper gelöst hat und durch einen Tunnel auf ein Licht zu bewegt, oder nach einem Unfall über dem Unfallort, bei einer Operation über dem Operationstisch schwebt, wo man den unbeweglichen Körper liegen sieht. Viele berichten, dass sie in diesem Zustand in überhöhter Klarheit sehen und hören konnten, ähnlich wie in jenen luziden Träumen, bei denen man genau weiß, dass man träumt.

Es ist nicht überraschend, dass es Berichte über derart verstörende Erlebnisse von "außerkörperlichen Erfahrungen" in mehr oder minder erkennbarer Form seit Jahrtausenden gibt. Sie werfen ja fundamentale Fragen über den Zusammenhang zwischen Körper und Bewusstsein auf, und stehen daher im Zentrum psychologischer, philosophischer und theologischer Diskussionen. Zeigen diese Erfahrungen wirklich, dass das Bewusstsein, der "Geist", das "Ich", in religiöser Diktion "die Seele", abgelöst von allem Materiellen existieren können, was die heutigen Naturwissenschaften für unmöglich halten?

Was Menschen, die durch Nah-Tod-Erfahrungen gingen, berichten, unterscheidet sich zwar durch ihren kulturellen Hintergrund, aber so verschieden die Kulturen auch sind, es gibt doch so viele Gemeinsamkeiten, dass man seit langem vermutet, ihre gemeinsame Ursache müssten Funktionsstörungen im menschlichen Gehirn sein. Es gibt viele Indizien dafür, dass es sich bei außerkörperlichen Erfahrungen um Erscheinungen handelt, die dann erlebt werden, wenn es das Hirn auf Grund außerordentlicher Umstände nicht schafft, ein einheitliches körperliches Selbstgefühl zu konstruieren.

Außerkörperliche Erfahrungen sind übrigens gar nicht so selten. Sie bleiben nur unbemerkt, wenn sie weniger ausgeprägt sind und unter weniger dramatischen Umständen auftreten, so dass man davon weniger Aufhebens macht. Internationale Erhebungen zeigen, dass 15 bis 20 Prozent der Menschen irgendwann in ihrem Leben solche Erfahrungen schon hatten – wenn auch meist nur einmal oder einige wenige Male und nur für Sekunden.

Thomas Metzinger, der an der Universität Mainz arbeitet und sich als Philosoph auf die neuronalen Prozesse spezialisiert hat, welche das bewusst erlebte Ichgefühl mit den ständig wechselnden Inhalten des Selbstbewusstseins erzeugen, gibt ein alltägliches Bespiel für Umstände, unter denen es zu einer sehr rudimentären Form des Auseinanderklaffens von Körpergefühl und Realität kommen kann.

Verzerrte Wahrnehmung

So etwas geschieht etwa schon in folgender Situation: Man hat den Bahnhof sehr spät erreicht, weil es auf dem Weg dahin einen Unfall gegeben hatte und man hat sich dann in der Aufregung zu allem Überfluss noch am falschen Schalter für die Karten angestellt. Aber schließlich ist sich alles noch ausgegangen: Man fällt vollkommen erschöpft im Zugabteil auf einen Fensterplatz und beobachtet den Zug auf der anderen Seite des Bahnsteigs. Bis endlich das Erwartete geschieht: Man fühlt die Beschleunigung das anfahrenden Zuges im Körper und sieht die Bewegung des Zuges am Verschwinden des Passagiers im Fenster des Zuges auf der gegenüberliegenden Seite des Bahnsteigs.

Doch zwei oder drei Sekunden später ist das Körpergefühl wieder verschwunden, weil einem klar geworden ist, dass nicht der eigene Zug angefahren ist, sondern der, den man aus dem Fenster sah. Das Hirn hatte auf Grund des Handlungskontexts das Gegenteil erwartet und war durch den visuellen Eindruck der relativen Bewegung der beiden Züge darin bestärkt worden: Dann hat das Gehirn aus der Erwartung und dem visuellen Input ein stimmiges Körpergefühl konstruiert, das nur leider falsch war, weil es – natürlich unbewusst – den visuellen Eindruck falsch interpretierte. Thomas Metzinger merkt dazu an, dass man dann wahrscheinlich leicht irritiert und amüsiert konstatieren würde, dass man gerade durch das eigene Gehirn "hereingelegt" worden sei.

Man vermutet, dass auch "Nahtod-Erlebnisse" durch ähnliche defekte Mechanismen zustande kämen und dann ganz analog durch neue sensorische Inputs mehr oder minder abrupt wieder verschwänden. (Manche religiöse Menschen sehen darin einen unwiderleglichen Beweis dafür, dass ihr Geist bereits auf dem Weg ins Jenseits gewesen, dann aber doch zurückgekehrt sei.) Thomas Metzinger vermutet, dass es derartige außerkörperliche Erfahrungen sind, die durch die Jahrtausende und in den verschiedensten Kulturen die Vorstellung, dass es eine immaterielle "Seele" geben müsse, psychologisch plausibel gemacht haben.

Man hat natürlich außerkörperliche Erfahrungen schon in der Vergangenheit wissenschaftlich untersucht, ist aber damit bisher nicht sehr weit gekommen. Auch die Neurophysiologen haben erst in den letzten zwei Jahrzehnten begonnen, sich intensiver mit Gefühlen zu beschäftigen. Zuvor musste nämlich erst die Evolution des Bewusstseins und die biologische Funktion der Verschränkung von kognitiven und emotionalen Prozessen bei der Entstehung der verschiedenen Formen des Bewusstseins in den Mittelpunkt der Diskussionen rücken.

Besonders wichtig waren dabei die faszinierenden Arbeiten von Antonio Damasio, der nicht nur eine große Synthese des heutigen Wissens konzipierte, sondern auch ein Forschungsprogramm entwarf, das viele relevante Probleme in die Reichweite der heutigen neurophysiologischen Untersuchungsverfahren und der klinischen Neurologie gebracht hat.

Thomas Metzingers "Selbstmodell-Theorie der Subjektivität" ist ein Baustein dazu. Er hat sich nun – für einen Philosophen ungewöhnlich – mit einem Team klinischer Neurowissenschaftler der Technischen Hochschule Lausanne zusammengetan, um sein Modell im Labor zu prüfen. Das Team um Olaf Blanke entwarf Versuchsbedingen, unter denen man auf Grund des Selbstmodells erwarten musste, dass das Gehirn Schwierigkeiten haben würde, ein richtiges körperliches Selbstmodell zu konstruieren. Die Ergebnisse dieses Experiments wurden vor kurzem von der amerikanischen Wissenschaftszeitschrift "Science" auf einer Pressekonferenz in London vorgestellt (und mittlerweile auch veröffentlicht).

Der angewandte Trick bestand darin, dass man einer Versuchsperson zwei Inputs anbot: ein visuelles Signal und ein dazu widersprechendes somatosensorisches Signal, wie es durch körperliche Berührung erzeugt wird.

H. Henrik Ehrsson, heute am Karolinska Institut in Stockholm tätig, hat während seiner Zeit am Institut für Neurologie des Welcome Trust in London im Ansatz ganz ähnliche Experimente durchgeführt. Beide boten eine gefälschte visuelle Realität an und kombinierten das mit Signalen, die durch Berührung der echten Körper der Versuchspersonen ausgelöst wurden.

Am Beispiel eines einfachen Versuchs aus der Serie in Lausanne: Die Versuchspersonen bekamen eine virtuelle Realität zu sehen, in der auch Abbilder ihrer eigenen Körper vorkamen – so naturgetreu, dass die Versuchspersonen sie für ihre eigenen Körper halten konnten. Wenn man dann ihren eigenen Körper mit einem Stab berührte und ihnen zeigte, dass genau synchron dazu auch der virtuelle Körper an der gleichen Stelle berührt wurde, dann war für die Versuchspersonen die räumliche Einheit von Körper und Selbst aufgelöst – sie fühlten, als ob das gesehene virtuelle Artefakt ihr eigener Körper wäre. Die räumliche Einheit von Körper und körperlichem Selbstgefühl war zumindest für den Fall synchroner Berührungen aufgelöst.

Autosuggestion

Thomas Metzinger merkt dazu an, dass das Selbstgefühl den Personen suggerierte, der virtuelle Körper wäre ihr eigener: "Es handelt sich dabei aber noch nicht um eine komplette außerkörperliche Erfahrung, weil zum Beispiel der Gleichgewichtssinn und das Bewegungsgefühl bei dem ‚wirklichen‘ Körper verblieben. Letztlich ist aber natürlich auch das, was wir im Normalfall als den ‚wirklichen‘ Körper erleben, nur dasjenige, was in meiner Theorie als das ‚erlebte (im Philosophenjargon: ‚phänomenale‘) Selbstmodell‘ bezeichnet wird."

Es ist noch bei weitem nicht hinlänglich geklärt, ob wirklich alle "außerkörperlichen Erfahrungen" eine in irgendeinem Aspekt einheitliche Klasse von Erscheinungen bilden, aber die neue Art, die Probleme auch experimentell anzugehen, eröffnet, wie die Autoren schreiben, "einen neuen Weg zur Untersuchung der neurobiologischen, funktionalen und repräsentationellen Aspekte des körperlichen Selbstbewusstseins".

Die Hoffnung dabei: Man wird immer mehr Komponenten der materiellen Prozesse, in denen das Hirn Selbstbewusstsein (oder das "Ich") erzeugt, auch empirisch kritisch prüfen können, und somit klarer sehen, wo auch hier die Grenzen des Menschseins liegen. Es ist sehr missverständlich, das Ich – oder das Selbst – als "Illusion" zu bezeichnen, nur weil man zu verstehen beginnt, wie diese realen und biologisch sinnvollen Gefühle vom Hirn erzeugt werden, und was dabei schief gehen kann. Nur für Dualisten, die an die Existenz von immateriellen Geistern oder Seelen glauben, wird das Leben noch etwas beschwerlicher. Aber davon gibt es ohnehin nicht mehr viele, und die sind bereits Kummer gewohnt.

Literatur:

Greg Miller: Out-of Body-Experiences Enter the Laboratory.

Science 317, 1020 - 1021 (24. August 2007).

Thomas Metzinger: Out-of Body Experiences as the Origin of the Concept of a "Soul". Mind & Matter Vol. 3 (1) 57 - 84 (2005).

Thomas Metzinger: Being No One. The Self-Model Theory of Subjectivity. A Bradford Book. MIT Press. 2003.

Bigna Lenggenhager, Tej Tadi, Thomas Metzinger, Olaf Blanke: Video Ergo sum: Manupulating Bodily Self-Conciousness. Science Vol. 317, 1096 - 1099 ( 24. August 2007).

H. Henrik Ehrsson: The Experimental Induction of Out-of-Body Experiences. Science Vol. 317, Seite 1048, (24. August 2007).

Peter Markl ist Professor für Analytische Chemie an der Universität Wien. Er ist Mitglied des Konrad Lorenz Instituts für Evolution und Kognitionsforschung und des Kuratoriums des Europäischen Forums Alpbach.

Freitag, 07. September 2007

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