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Frauen sind Frauen gegenüber gnadenloser

Parade-Feministin Alice Schwarzer über Rivalitäten unter Frauen, die Machos Gerhard Schröder und Joschka Fischer und warum sich sogar SPD-Minsterinnen über Kanzlerin Merkel freuen können.
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Von Brigitte Pechar und Walter Hämmerle

"Wiener Zeitung": Frau Schwarzer, kann man eigentlich mit "Emma" Geld verdienen?

Alice Schwarzer: "Emma" ist völlig schuldenfrei, wir haben sogar ein kleines Polster, die Gehälter sind alle über dem Journalisten-Kollektivvertrag, alle Rechnungen werden pünktlich bezahlt. Das ist schön, oder? Man wird nicht reich damit, aber man lebt ganz komfortabel. Wenn ich mir etwas extra gönne, dann sind das meine Buch-Honorare.

Haben Sie nie ein Übernahmeangebot eines Großverlags bekommen?

Nein, noch nie, das ist eigentlich interessant. Niemand wollte "Emma" bisher haben, wobei sie natürlich auch nicht zu haben gewesen wäre.

Nicht einmal, wenn das Angebot in der richtigen Höhe zur richtigen Zeit gekommen wäre?

Nicht einmal dann! Es ist in der Branche ja bekannt, dass wir schuldenfrei da stehen. Dass das jedoch nie gewürdigt wurde, ist eigentlich enttäuschend. "Emma" wurde immer als frauenpolitische Tat gewürdigt, nie aber als medienpolitische. Dabei ist sie die einzige deutsche Blattgründung seit 1945, die weder von Konzernen noch von Lizenzgebern stammt, sondern von einer quasi mittellosen Journalistin, die mit "Der kleine Unterschied" gerade einmal 250.000 DM mehr verdient hatte als sie zum Leben brauchte, und sich dachte: "Was mach ich denn jetzt mit dem Geld?" Das war, wohlgemerkt, gerade einmal ein Zwanzigstel der Summe, die man schon 1977 für die Lancierung eines neuen Blattes ausgab.

Wussten Sie, dass es in Österreich seit kurzem zwei neue Frauenzeitschriften gibt?

Nein, Sie beschämen mich. Ich muss Ihnen aber gestehen, dass ich den Markt für Frauenzeitschriften gar nicht so intensiv lese, wie ich das eigentlich sollte. Wie heißen die beiden Neuen?

"Madonna" stammt aus dem Hause Fellner, "1 st " aus dem Hause "News".

Oh, ja dann! Wissen Sie, meistens kommen und gehen solche Produkte rasch wieder. Ich habe in den dreißig Jahren von "Emma" so viele Frauen- und Lifestyle-Magazine kommen und gehen gesehen, für die alle zweistellige Millionensummen ausgegeben worden sind.

"Emma" hat sich allerdings auch nie als frauenpolitische Zeitschrift verstanden, sondern als politisches Magazin für Frauen, gegründet von einer Frau, die zwar Feministin, aber vor allem Journalistin ist. Ich wollte nie eine Zeitschrift für Feministinnen machen, sondern für alle Frauen. Wenn man sich die letzte Leserinnenanalyse von Ende 2006 anschaut, dann sieht man, dass "Emma"-Leserinnen eine sehr breite Spannweite haben: Das geht von 18 bis 80 Jahren, sie sind die jüngsten Frauenzeitschriften-Leserinnen in Deutschland, sie sind gebildet und emanzipiert, aber sie haben sehr unterschiedliche Meinungen. Diesmal habe ich mitfragen lassen, ob unsere Leserinnen sich als Feministinnen verstehen. Meine Kolleginnen waren ganz empört, da sie das für selbstverständlich hielten. Tatsächlich ist das gar nicht so. Nur jede zweite "Emma"-Leserin sagt von sich selbst: "Ich bin Feministin."

Gemeinhin hinkt Österreich hinterher. Neue Moden und Trends kommen aus den USA nach Westeuropa, wandern von dort nach Deutschland weiter und werden schließlich nach Österreich importiert. Wie ist das in der Frage der Geschlechter-Verhältnisse, hinken wir da auch hinter Deutschland her?

Nein, das ist manchmal sogar umgekehrt. So haben wir in Deutschland vor Jahren das exzellente Wegweisungsrecht – das dafür sorgt, dass bei häuslicher Gewalt nicht das Opfer, sondern der Täter die Wohnung verlassen muss – fast wortwörtlich von Österreich übernommen. Und im Moment beobachte ich die sehr interessanten Maßnahmen Österreichs im Kampf gegen Diätwahn und Magersucht. "Emma" plant in Zusammenarbeit mit dem deutschen Gesundheitsministerium einen Runden Tisch zu diesem Thema und ich habe Ministerin Schmidt schon die österreichischen Maßnahmen zugeschickt, weil ich die für beispielgebend halte.

Umgekehrt wird in Österreich die Übernahme der deutschen Gesetze zu Prostitution diskutiert, die diese zu einem Beruf wie jeden anderen erklären.

Das wäre eine Katastrophe! Es war eine der schlimmsten Fehlentwicklungen der letzten Jahrzehnte, dass wir bei der Prostitution nicht die Frage der Menschenwürde der Opfer gestellt und stattdessen Grünes Licht gegeben haben für Täter, Zuhälter und Freier. Rot-Grün hat leider die Prostitution gesellschaftsfähig gemacht – die Folgen für die Frauen sind fatal. Früher hatte ein Freier wenigstens noch ein schlechtes Gewissen, jetzt ist sogar das weggefallen. Auch der Polizei wurde durch die Legalisierung jegliche Handhabe genommen.

Diese Entwicklung hat "Emma" von Anfang an bekämpft. Gottseidank dreht jetzt die konservative Frauenministerin Ursula von der Leyen dieses pseudofortschrittliche und in Wahrheit menschenverachtende Gesetz zurück. In dieser Frage ist für mich eher Skandinavien ein Vorbild, das Ausstiegshilfen für Prostituierte fördert, Freier mit Strafen droht und Menschenhändler verfolgt.

Zurück zum Männer-Vergleich Deutschland–Österreich: Wer hat aus feministischer Sicht die Nase vorn?

Mein Eindruck ist, dass die österreichischen Männer etwas stärker mit Galanterie arbeiten, in Deutschland ist das alles nüchterner. Das kann seine Vorteile haben, aber eben auch Nachteile. Eine Feministin hat einmal gesagt: "Ich lass’ mir gern die Tür aufhalten, wenn es mich nicht 10.000 Dollar im Jahr kostet." Im Grunde genommen sind sich deutsche und österreichische Männer aber wohl ziemlich ähnlich.

Feminismus galt einst als linke Domäne. Springen nun auch die Konservativen auf diese Bewegung auf?

So kann man das nicht sagen. Kategorien wie Links und Rechts sind generell fragwürdig geworden. Nicht überall, wo links drauf steht, ist Fortschritt drinnen, und nicht alles, was sich rechts nennt, muss automatisch anti-fortschrittlich sein. Ich glaube, dass der Feminismus in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, historisch war er ja nie ein Teil der Linken. Man darf nicht vergessen, dass die Frauenbewegung als Reaktion auf die frauen-feindliche Linke entstanden ist. Die 68er-Generation wollte zwar die bolivianischen Bauern befreien, ihre Frauen aber weiter Kaffee kochen und Flugblätter tippen lassen. Die Einstellung war damals die, dass früher die Frau dem Mann gehörte und jetzt eben einem Kollektiv zur Verfügung stehen müsse. Das Motto dazu lautete: "Wer zweimal mit der selben pennt, gehört schon zum Establishment." Da haben die Frauen gesehen, dass sie ihre Emanzipation selbst in die Hand nehmen müssen.

Grob gesprochen stimmt natürlich, dass die Frauenbewegung eher der Linken zuzuordnen ist, aber was heißt das schon? Die rot-grüne Republik unter Schröder und Fischer war die frauenverachtendste Republik, die ich erlebt habe. Allein schon das Wort Frauenpolitik war ein Unwort, Schröder selbst hat sie als "Politik für Gedöns" bezeichnet. Diese Macho-Attitüde unserer einstigen Weggefährten ging schon sehr an die Nerven. Bei den Konservativen haben wir es jetzt mit einer neuen Generation zu tun. Frauenministerin von der Leyen ist die Tochter einer Journalistin, die ihren Beruf aufgab und die dies später sehr bedauerte; von der Leyen selbst war Ärztin, und als Familienfrau in den USA hat sie gesehen, dass es auch anders geht. Kanzlerin Merkel wiederum ist von Beruf Physikerin und wuchs in der DDR auf, wo es zumindest den theoretischen Anspruch der Gleichberechtigung und eine stärkere Integration der Frauen in Männerberufe gab. Für diese Frauengeneration ist Gleichberechtigung selbstverständlich. Und da der Chef jetzt auch eine Frau ist, haben wir ein ziemlich frauenfreundliches Klima. Frauen werden im Kabinett nicht mehr niedergedeckelt, wie es zuvor jahrelang der Fall war. Darüber sind übrigens auch die SPD-Ministerinnen ganz froh.

Der US-Politikwissenschafter Francis Fukuyama ist überzeugt, dass eine Welt, die nur von Frauen bewohnt wäre, eine friedlichere, bessere Welt wäre. Sie auch?

Nein, das glaube ich nicht, Frauen hatten bisher nur weniger Gelegenheit, Kriege anzuzetteln. Aber es haben sich durch die unterschiedliche Sozialisation natürlich auch unterschiedliche Stärken und Schwächen von Männern und Frauen entwickelt. Das ist aber keine Frage des Geschlechts sondern der Rollenzuweisung. In der Tat kann man bei vielen, längst aber nicht bei allen Frauen eine stärkere Nähe zum Leben der Menschen beobachten.

Sie sagen, der Feminismus sei in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Man könnte auch sagen, Sie persönlich sind dort angekommen und gehören mittlerweile zum Establishment.

Na ja, Sie finden mich eher am Schreibtisch in der Redaktion als beim Fashion-Event.

Früher wurden Sie aus der Mitte der Gesellschaft heraus angegriffen, heute sitzen Ihre Kritiker an den linken und rechten Rändern.

Das stimmt nicht ganz. Die Linke hat mich immer schon scharf angegriffen, denn ich gehöre ja im feministischen Spektrum zu den wirklich Unabhängigen. Ich habe mir immer erlaubt, die Linke wie die Rechte zu kritisieren, ja die Linke meistens sogar etwas stärker, damals waren ja die diejenigen, von denen frau sich etwas erhofft hat. Die Rechten haben ja erst gar nicht behauptet, dass sie die Frauen emanzipieren wollen. Heute genieße ich zweifellos eine breitere gesellschaftliche Anerkennung. Das hat aber einfach damit zu tun, dass die Dinge, die ich immer gefordert habe, mittlerweile selbstverständlich geworden sind. Wenn man vor dreißig Jahren gesagt hat, "es gibt Gewalt in der Familie", brach Hohngelächter los und es hieß, "jetzt sind sie völlig verrückt geworden, diese Feministinnen!" Heute gibt es in jeder kleinen Stadt ein Frauenhaus. Und eine Kanzlerin und Fußballweltmeisterinnen – davon hat noch nicht einmal eine Feministin geträumt.

Das ist das eine. Auf der anderen Seite kommt einfach ein gewisser Sportsgeist hinzu: Es sind so viele Vernichtungsfeldzüge gegen mich geführt worden – und ich habe sie alle überlebt, ohne verbittert zu werden. Ich freue mich meines Lebens und habe mir meinen Sinn für Humor und Ironie bewahrt. Gerade Männer haben ja auch einen Sinn für Sportsgeist. Denen imponiert das irgendwie, die sagen dann: "Frau Schwarzer, ich bin zwar nicht immer Ihrer Meinung, aber Hut ab!"

Und Frauen sagen, Sie seien besserwisserisch geworden.

Manche Frauen sagen das. Sie sprechen die Rivalität von Frauen an, die gibt es natürlich, und sie hat Gründe. Als Frauen noch abhängig von der Gunst des Mannes waren, war für sie jede andere Frau noch eine potenzielle Bedrohung. Diese Zeiten sind vorbei, Frauen stehen jetzt auf eigenen Füßen, aber es gibt natürlich noch tradierte Verhaltensweisen. Hinzu kommt, dass Frauen gewohnt sind, im Verhältnis zu Männern benachteiligt zu werden. Da grummeln sie zwar ein bisschen, Sie kennen das ja, es wird aber irgendwie hingenommen.

Frauen untereinander dagegen mangelt es an einer gewissen respektvollen Distanz. Wenn eine andere Frau etwas erreicht, was einem selbst nicht gelingt, sagt eine Frau gemeinhin: "Warum die und nicht ich? Das ist doch auch nur eine Frau." Frauen sind anderen Frauen gegenüber unduldsamer, auch gnadenloser als zu Männern. Frauen müssen lernen, dass auch sie unterschiedlich sind, und sie müssen Unterschiede aushalten. Ich selbst frage bei Interviewanfragen ehrlich gesagt immer öfter, wer denn kommt. Ist es ein Mann, stelle ich mich auf ein relativ entspanntes, vielleicht etwas ironisches Sachgespräch ein. Ist es eine Frau, frage ich, wer es ist und bin leicht nervös. Denn je nachdem, in welcher Lebenssituation die Frau ist, muss sie mit mir kämpfen. Trägt sie etwa einen Minirock, will sie wissen, ob ich etwas gegen Miniröcke habe, hat sie Kinder, fragt sie, warum ich keine Kinder habe und so weiter. Das ist oft ein bisschen anstrengend.

Mittlerweile kommen die schärfsten Angriffe auf den Feminismus von Frauen selbst. Dank dessen "Erfolgen", so lautet die Argumentation, sind Frauen nicht mehr nur doppelt, sondern gleich dreifach belastet: Zu Kindern und Haushalt komme auch noch der Beruf.

Ich halte diese angebliche Kritik von Frauen an der Emanzipation für ein reines Medien-Phänomen. Hier werden Frauen gegeneinander ausgespielt und eine Blondine, oder von mir aus auch ’ne Dunkle, ist immer bereit, mitzumachen. Wenig später wird dann eine neue Sau durchs Dorf gejagt. Doch die Untersuchungen bestätigen, dass eine überwältigende Mehrheit der Frauen selbstverständlich für gleiche Rechte und Chancen ist.

Natürlich leben wir heute in einer Zeit des Umbruchs, und das ist schwierig. Wir haben zum Teil noch die alten Verhältnisse, doch gleichzeitig die neuen Möglichkeiten und Träume. Und wir haben ein großes Problem: In dem Moment, in dem Frauen im Beruf in Positionen kommen, wo sie Männern Konkurrenz machen oder wo sie Beruf und Familie vereinbaren wollen, weht der Wind kälter. Diese Probleme gilt es neu zu lösen. Dazu muss Vater Staat die Strukturen zur Verfügung stellen – Kinderkrippen, Kindergärten, Ganztagsschulen –, die es möglich machen, dass sich eine Frau nicht durch Kinder selbst aus der Welt kickt. Denn selbst wenn eine junge Mutter anfangs froh ist, dass sie im ersten halben oder ganzen Jahr, nicht zur Arbeit gehen muss, so muss sie doch aufpassen, dass sie später nicht in Teilzeitarbeit hängen bleibt. In Westdeutschland sind von jenen Frauen, die diesen wahnsinnigen früheren dreijährigen Mutterschaftsurlaub in Anspruch genommen haben, die Hälfte nicht mehr zurück in den Beruf. Und die andere Hälfte ist in Teilzeitjobs in schlechteren Positionen hängengeblieben. Und eines nicht zu fernen Tages sollte es auch für Männer selbstverständlich sein, zu Hause bei den Kindern zu bleiben. Jetzt haben wir Gottseidank zwölf Monate Elternzeit mit einem "Lohnersatz" von bis zu 1800 Euro – plus zwei Vätermonaten. Das war ja fast eine Kulturrevolution.

Also müssten die Männer ihrerseits von der Politik bessere Rahmenbedingungen einfordern . . .

Aber liebe Frau Kollegin, dazu müssten zuerst einmal die Frauen die Männer in die Pflicht nehmen, oder glauben Sie, die stellen sich von selbst an und sagen "wir wollen jetzt auch zu Hause bleiben"? Ich habe kürzlich in einer Studie über studentische Mütter gelesen, dass 96 Prozent die Väter vor der Geburt noch nicht einmal gefragt haben, wie die sich die Arbeitsteilung vorstellen.

Männer können nun einmal nicht zwischen den Zeilen lesen. Eine ganz wichtige Botschaft an alle Frauen!

Na bitte! Er als Mann muss es ja wissen.

Sie gelten als eine der schärfsten Kritikerinnen der Unterdrückung der Frauen im Islam. Liegt die Ursache dafür in der Religion selbst oder in den patriarchalischen Traditionen?

Die Religion ist nicht mein Thema. Ich möchte mich auch gar nicht an eine Koran-Interpretation machen, schließlich zitiere ich auch nicht die Bibel. Mich interessiert nur der Islamismus, also der politisierte Islam. Der Islamismus ist ja erst seit Ende der 70er Jahre, seit der Revolution Khomeinis im Iran, ein Problem. Seit Mitte der 80er haben wir ihn auch in Europa. Wir haben uns den Luxus einer falschen Toleranz erlaubt, wo wir alle weggeschaut haben und nicht solidarisch waren mit der Mehrheit der Musliminnen und Muslime, die ja die ersten Opfer dieser Fanatiker waren.

Für mich stellt sich die Frage der Menschenrechte – und die sind unteilbar. Das Kopftuch ist kein bloßes Stückchen Stoff und auch kein religiöses Muss. Es gibt Millionen gläubige Musliminnen in der ganzen Welt, die nie ein Kopftuch getragen haben. Das islamische Kopftuch ist die Fahne des politisierten Islamismus, und deshalb hat es in Schulen und Ämtern nichts zu suchen. Wir tun gerade den muslimischen Mädchen einen großen Gefallen, wenn wir in Schulen einen kopftuchfreien Raum schaffen. Ansonsten geht es jedoch vor allem um Aufklärung und Erziehung. Natürlich möchte ich niemandem, der das Kopftuch aus welchen Gründen auch immer auf der Straße trägt, das verbieten. Ich denke einzig und allein an öffentliche Schulen und Ämter. Und wir sollten endlich damit aufhören, die Menschenrechte zu relativieren, indem man sagt, "die sind nun einmal so". In Deutschland findet hier langsam ein Umdenken statt. Wir müssen Frauen auch helfen, dass sie deutsch lernen können . . .

. . . auch müssen?

Ja, müssen. Denn die Integration der Muslime ist längst auch für uns eine existenzielle Frage, da die Islamisten eine schwere Bedrohung für Menschenrechte und Demokratie sind. Es wäre eine große Erleichterung für Frauen und Mädchen, die in patriarchalischen Strukturen leben, wenn wir Auflagen für das Deutschlernen machen würden – einfach weil sie sonst gar nicht heraus dürfen.

Es gehört zum Privileg von Ikonen, nicht einfach in die Pension abgleiten zu müssen, sie dürfen von der nachfolgenden Generation gestürzt werden. Sehen Sie schon Ihre Nachfolgerin, die Sie von der Spitze der deutschen Frauenbewegung stürzen wird – und wann soll es soweit sein?

Zum einen: Ich bin ich. Andere machen es anders. Zum zweiten: Ich bin ja auch das Produkt einer bestimmten historischen Situation. Ich glaube nicht, dass es noch einmal eine so exponierte Einzelperson in Sachen Emanzipation geben wird, die Zeiten sind nicht mehr danach. Dafür gibt es heute eine breite Front von Frauen. Mir Mir liegt an einer gewissen Kontinuität – nicht in dem Sinn, dass ich die feministische Faust drauf halten will, sondern in dem Sinne, dass das, was schon gesagt und geschrieben worden ist, nicht noch einmal wiederholt werden muss. Was ich mir wünsche ist, dass die Töchter der Emazipation nicht nocheinmal bei Null anfangen müssen. Habe ich Ihre Frage damit beantwortet?

Voll und ganz.

Aufzählung Alice Schwarzer wurde 1942 in Wuppertal geboren. Als uneheliches Kind wuchs sie bei ihren Großeltern auf. Der erlernte kaufmännische Beruf hielt sie nicht lange. Sie absolvierte ein Sprachenstudium in Paris, dann arbeitete sie als Volontärin, Redakteurin und Reporterin in Deutschland. 1970 bis 1974 ging sie erneut nach Paris, als freie Korrespondentin, wo sie eine der Initiatorinnen der Pariser Frauenbewegung wurde (Mouvement de Libération des Femmes). Dort lernte sie Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre kennen. Ihre erste große feministische Aktion in Deutschland war die "Selbstbezichtigung der 374" im "Stern" 1971: "Ich habe abgetrieben und fordere das Recht für jede Frau dazu." Damals stand Abtreibung noch unter Strafe. 1975 landete Schwarzer mit ihrem dritten Buch "Der kleine Unterschied und seine großen Folgen" einen Bestseller – es wurde in 13 Sprachen übersetzt. Darin sprechen Frauen über Sexualität und Unterdrückung. Mit diesem Buch wurde sie zur bekanntesten Feministin im deutschsprachigen Raum. Bis heute hat Schwarzer 15 Bücher geschrieben, mit ihrem jüngsten, "Die Antwort" ist sie derzeit auf Tour. 1977 gründete Schwarzer die Zeitschrift "Emma". Eine der ersten Kampagnen war dem Kampf gegen Pornografie gewidmet. Auch die jüngste "Emma" nimmt die "PorNO"-Kampagne wieder auf. Der Alltag werde zunehmend pornografisiert, Medien-, Musik- und Modindustrie würden aus Frauen Nutten machen.

Bereits Ende der 70er-Jahre thematisiert Schwarzer das islamische Kopftuch als Zeichen des politischen Islam. Sie ist der Ansicht, der Feminismus habe kein Parteibuch. Und so hat sie auch die Linke verblüfft, als sie sich 2006 für Angela Merkel als Kanzlerin stark machte.

http://www.aliceschwarzer.de

Freitag, 05. Oktober 2007

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