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10.06.2007    14:11 Uhr Drucken  |  Versenden  |  Kontakt
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Teil 12: Shiatsu/Akupressur

Lust unter Druck

Shiatsu-Anhänger preisen die Akupressur als Therapieverfahren, das sich vor dem Hintergrund jahrtausendealter taoistischer Überlieferung bewährt habe. Ursprünglich sollte es vor allem den Verlust sexueller Kräfte verhindern.
Von Colin Goldner

Shiatsu Akupressur Fingerdruck Alternative Heilverfahren Test

Shiatsu-Massage: Lasset das Ch'i fließen
Foto: iStockphoto

 

Unter Shiatsu ist eine Mitte der 1920er in Japan erstmals vorgestellte Massagetechnik zu verstehen, bei der mit dem Daumen oder den Fingerkuppen Druck auf bestimmte Körperpunkte des zu Behandelnden ausgeübt wird.

Der Druck, wahlweise auch mit den Fingerknöcheln, den Handballen oder dem Ellbogen erzeugt, gelegentlich sogar mit Knien und Füßen, wird jeweils für fünf bis sieben Sekunden aufrecht erhalten.

Er soll dazu dienen, Blockaden der in besonderen Bahnen oder Kanälen den Körper durchfließenden Lebensenergie, “Ki” oder “Ch'i” genannt, aufzulösen beziehungsweise deren Zirkulation zu stimulieren.

Shiatsu (jap. für Fingerdruck) bezieht sich insofern auf Vorstellungen, wie sie auch aus der chinesischen Akupunkturlehre bekannt sind. Je nach Schule gibt es auf der Oberfläche des menschlichen Körpers zwischen 360 und mehr als 1000 solcher Punkte.

Im deutschsprachigen Raum trat Shiatsu erst Ende der 1970er im Zuge der New-Age-Bewegung in Erscheinung. Angepriesen wird es als eigenständiges Therapieverfahren, das sich angeblich vor dem Hintergrunde jahrtausendealter taoistischer Überlieferung ausgezeichnet bewährt habe.

Da es zudem völlig risiko- und nebenwirkungsfrei sein soll, zählt Shiatsu heute zu den weitest verbreiteten Hands-on-Verfahren der Alternativheilerszene.


 
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Millionen von Patienten praktisch sämtlicher Krankheitsbilder sind nach Angaben der Shiatsu-Anhänger schon erfolgreich damit behandelt worden, von Asthma und Neurodermitis bis hin zu Immunschwäche- und Stoffwechselerkrankungen.

Vor allem aber bei Depressionen, Schlafstörungen und Erkrankungen des Unterleibs hat sich Shiatsu angeblich als unübertreffliches Mittel der Wahl erwiesen: Blasenentzündung, unwillkürliches Wasserlassen und sogar Impotenz seien allein durch Druck des Punktes KG1, direkt unterhalb des Anus gelegen, in kürzester Zeit zu beheben.

Verlust der sexuellen Kräfte verhindern

In der Tat liegt das originäre Bestreben des Shiatsu vor allem darin, den Verlust der sexuellen Kräfte zu verhindern. Ein Großteil der vorgestellten Druckpunkttechniken dreht sich um die problemfreie Funktion der Geschlechtsorgane – natürlich um die des älteren Mannes.

In einem japanischen Lehrbuch von 1925 heißt es zum Beispiel: "Druck auf die Magengrube mit drei Fingern, zehnmal während je fünf Sekunden, belebt die Lendengegend und trägt zur Hebung der Potenz bei", ebenso soll demnach ein "fester Druck zuerst rund um den After und dann auf das Perineum zwischen dem After und den Genitalien" wirken. Vorbeugend empfehle sich tägliches "festes Drücken der Hoden - einmal für jedes Lebensjahr".

Darüberhinaus führt das Lehrbuch eine ganze Reihe an "Maßnahmen bei Frigidität der Frau" auf: "1. Die Frau nehme Bauchlage ein. 2. In Richtung nach abwärts drücke man mit dem ganzen Gewicht beidseitig auf den dritten, vierten und fünften Lendenwirbel. 3. Dann übe man sanften Druck auf die vier Punkte auf dem Gesäß aus. 4. Man schließe mit einer gründlichen Shiatsu-Behandlung der Vorderseite des Halses über der Schilddrüse, der Brüste und der Innenseite der Schenkel".

Druck auf die Schilddrüse soll im übrigen auch zur "Vergrößerung der Brüste" und damit zur Steigerung der weiblichen Attraktivität beitragen. Schon vor über viertausend Jahren, wie das Lehrbuch verrät, sei "entdeckt worden, dass Frauen auf diese Weise ihren Liebreiz und die Neigung ihres Herrn und Gebieters erhalten konnten".

Auch die aktuelle Literatur zu Shiatsu quillt über von ähnlich hanebüchenenem Unsinn: Asthma, Durchfall und Schilddrüsenüberfunktion etwa seien probat mit Druck auf Punkt LG14 (unterhalb der Dornfortsatzspitze des siebten Halswirbels) zu beheben, Bauchspeicheldrüsenentzündung, Schluckauf und Verstopfung hingegen durch Druck auf die beiden Punkte B20, "auf dem Rücken, zwei Querfinger von der Wirbelsäulenmittellinie entfernt, in Höhe zwischen dem vorletzten und letzten Brustwirbel".

Hochgefährlich werden die Maßgaben des Shiatsu, wenn etwa zur Behandlung von Bandscheibenproblemen Herumdrücken an der Lendenwirbelsäule, oftmals unter Einsatz des vollen Körpergewichtes, empfohlen wird. Bei Manipulation der Wirbelsäule hört selbst die wohlwollendste Toleranz gegenüber "alternativen Heilverfahren" auf.

Komplett abwegig sind auch Behauptungen wie die, durch Druck auf Punkt LG26, direkt unterhalb der Nasenlöcher, könne ein Bewusstloser sofort wieder zu Bewusstsein gebracht werden.

Selbst von einem Geheimpunkt hinter dem Ohr ist die Rede, der zu drücken sei, wenn man einen eben Verstorbenen ins Leben zurückholen wolle. Hergeleitet sind derlei Behauptungen aus der Shiatsu-Variante des Kuatsu, der “Kunst der Wiederbelebung”, die, angeblich dem Fundus japanischer Schwertkämpfer entstammend, jahrhundertelang nur “von Samurai-Meister zu Samurai-Schüler weitergegeben” worden sei.

Kuatsu bietet eine Vielzahl an Drucktechniken zur Schmerzlinderung sowie zu schnellerer Genesung bei Verletzungen.

Für die behauptete Wirksamkeit des Shiatsu, in chinesischer Variante als "Tuina" bekannt, geringfügig abgewandelt auch als "Shendo", "Trigger-”, "Energypoint-” oder “Akupunktmassage” bzw. “Akupressur”, gibt es keinerlei seriösen Beleg. Auch für die Existenz der Meridiane und Akupunkturpunkte beziehungsweise des angenommenen Energieflusses “Ki” fehlt bis heute jeder tragfähige Nachweis.

Bestenfalls läßt sich bei Shiatsu ebenso wie bei der sogenannten “Emotional Freedom-” oder “Energiefeldtechnik”, die die vorgeblichen Aku-Punkte mit hohler Hand abklopft, von der Möglichkeit eines unspezifischen Placeboeffekts sprechen, von mehr jedoch nicht.

Dasselbe gilt für das sogenannte “Ohashiatsu”, welches die Druckpunktmassage des Shiatsu mit einer Art Bewegungstherapie verknüpft, und für “WaterShiatsu”, bekannt unter dem Kürzel “WATSU”, das in Wellnesszentren als “aquatische Körpertherapie” angeboten wird.

Und nicht zuletzt gilt dies für das sogenannte “TantricShiatsu” oder “TANTSU”, das sich mit seinem Versprechen "unmittelbarer Freisetzung sexueller Energien” den ursprünglichen Absichten des Shiatsu wiederannähert.

(sueddeutsche.de)

Colin Goldner ist klinischer Psychologe. Er setzt sich seit etlichen Jahren kritisch mit alternativen Heilverfahren auseinander.


Kommentare


06.11.2007 16:12:15

Frank Seemann: Shiatsu - Lust unter Druck

Als Leiter eines Shiatsu-Ausbildungsinstituts, Shiatsu-Praktiker seid 20 Jahren und als Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Shiatsu in Deutschland (GSD) kann ich fast nichts von dem, was wir unter Shiatsu verstehen in dem Artikels wieder finden.

In der Kritik schließe ich mich den VorkommentatorInnen an.

Mein Tipp: Trennen Sie sich von einem Autor, der so schlecht recherchiert und wohl selbst unter dem Druck steht, Sensationspresse zu machen. Ob es an der Lust liegt?

Für eine seriöse Zeitung sind solche Artikel völlig ungeeignet und alles andere als eine vertrauensbildende Werbemaßnahme.

Wer seriöse Informationen zu Shiatsu möchte:
www.shiatsu-gsd.de
www.shiatsu-institut.de

Herzliche Grüsse,
Frank Seemann
ISOM Institut für Shiatsu

.


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26.07.2007 11:55:52

Eduard_Tripp: Shiatsu - Lust unter Druck

Sehr geehrter Herr Kollege!

Durch einen Link von Wikipedia ist mir Ihr Artikel vom 10. Juni 2006 zur Kenntnis gelangt.

Sehr interessant und in vielen Aspekten neu, was Sie da an Material gefunden und weitergegeben haben. Von manchen Ihrer Informationen bin ich sehr überrascht, obwohl ich Shiatsu schon vor etwa 25 Jahren kennen gelernt habe und seit über 20 Jahren unterrichte. Dass Millionen von Patienten „praktisch sämtlicher Krankheitsbilder“ erfolgreich mit Shiatsu behandelt wurden, manche von ihnen innerhalb kürzester Zeit schon durch Druck eines einzigen Punktes, war dabei noch nicht mal das überraschendste. (Nebenbei bemerkt ist Shiatsu in österreich eine gewerbliche Methode, die keinerlei Anspruch zu heilen oder Krankheiten zu behandeln hat). Solche Aussagen hört und liest man über viele Methoden, auch über die Psychologie. Und zum Glück werden heute so manche frühere Theorien und Ansätze der Psychologie nicht mehr vertreten, weil sie wissenschaftlich überholt sind und letztlich voll „hanebüchenen Unsinns“ waren. Es ist erfreulich, dass Wissen voranschreitet und unhaltbare Ansätze im Sinne des Erkenntnisfortschritts hinter sich gelassen werden.

Gänzlich neu ist für mich aber, dass das originäre Bestreben des Shiatsu vor allem darin liegen soll, den Verlust der sexuellen Kräfte, vor allem älterer Männer, zu verhindern. Mir ist dieser Ansatz in all den Jahren weder begegnet noch gelehrt worden. Womit ich nicht ausschließen möchte, dass es Menschen gibt, die das glauben und verbreiten (wie Sie ja selbst in anderen Publikationen aufzeigen, tummeln sich im „erweiterten Gesundheitsmarkt“ auch viele unseriöse Anbieter). Als wissenschaftlich ausgebildeter Klinischer Psychologe bin ich deshalb an Ihren Quellen interessiert, um nachvollziehen zu können, wie Sie zu ihrem Schluss gekommen sind.

Ich würde mich sehr freuen und es im Sinne des akademischen, wissenschaftlichen Umgangs mit diesem Thema und im Sinne von Qualitätssicherung als hilfreich und notwendig erachten, wenn Sie mir und anderen Interessierten ihre Quellen zugänglich machen und hier im Forum online stellen könnten.

Dr. Eduard Tripp
Klinischer Psychologe, Psychotherapeut und Leiter der Shiatsu-Ausbildungen Austria www.shiatsu-austria.at


3 Besucher haben diesen Kommentar bewertet



25.06.2007 20:54:59

Amalie167: Shiatsu - unterhalb der Gürtellinie

Sehr geehrter, lieber Collin Goldner!

Kürzlich wurde ich auf Ihren Beitrag über Shiatsu im Onlinemagazin der SZ (vom 10.6.2007) aufmerksam gemacht. Ehrlich gesagt, war ich etwas erstaunt über den Inhalt Ihrer Recherche, da Ihre Darstellung von Shiatsu sich erheblich davon unterscheidet, wie ich (vor 21 Jahren) Shiatsu in Deutschland gelernt habe und auch davon, wie ich es auch selbst lehre (seit 17 Jahren).

Ich würde mich freuen, wenn Sie mir die Quelle angeben können, wo Sie gefunden haben, dass „Millionen von Patienten praktisch sämtlicher Krankheitsbilder sind nach Angaben der Shiatsu-Anhänger schon erfolgreich damit behandelt worden, von Asthma und Neurodermitis bis hin zu Immunschwäche- und Stoffwechselerkrankungen“. Ebenso bin ich an der Angabe über das „japanischen Lehrbuch von 1925“ interessiert. Haben Sie Zugang zu dem Originaltext? Liegt Ihnen eine englische übersetzung vor? Womöglich ist diese Art von Shiatsu, auf die Sie ausführlich hinweisen, nämlich mit dem Schwerpunkt auf die sexuellen Lebenskräfte tatsächlich im Japan von 1925 so praktiziert worden. Dazu fehlen mir Informationen, um das beurteilen zu können. Auch würde mich interessieren, wer „etwa zur Behandlung von Bandscheibenproblemen (das) Herumdrücken an der Lendenwirbelsäule, oftmals unter Einsatz des vollen Körpergewichtes“ empfiehlt? In Deutschland darf niemand mit Kranken arbeiten, der nicht Arzt oder Heilpraktiker ist. Dies ist auch unseren SchülerInnen sehr bewusst. Mit „uns“ meine ich in diesem Fall alle ShiatsupraktikerInnen, die Mitglied in der „Gesellschaft für Shiatsu in Deutschland e.V.“ sind. Und ebenso diejenigen, die an einem Ausbildungsinstitut ausgebildet wurden, dass von der Gesellschaft für Shiatsu anerkannt ist.

Ich kann Ihnen versichern, dass das Shiatsu, wie es heutzutage im Westen gelehrt , gelernt und angewendet wird, sehr von dem Shiatsu unterscheidet, über das Sie berichten. Sollten Sie Interesse an einer Shiatsubehandlung haben: gerne! Shiatsu selbst zu erleben, ist die stimmigste Möglichkeit etwas darüber zu erfahren – allerdings dürfen Sie nicht diesen von Ihnen beschriebenen Focus auf den Bereich `unterhalb der Gürtellinie´ erwarten.

Mehr Informationen finden Sie auch unter :
www.shiatsu-gsd.de
www.zenshiatsu.de


Herzliche Grüße,
Ulrike Schmidt
Berliner Schule für Zen Shi


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