Wie die Wilden

von Helen Livingstone

Nördlich von Frankreich liegt eine exotische Insel: Großbritannien. Vieles dort wirkt befremdlich auf Besucher. Vor allem, wenn diese von dem winzigen Pazifik-Eiland Tanna kommen und noch nie zuvor eine Stadt gesehen haben.

Anthropologie ist eine einseitige Wissenschaft. Seit Generationen schickt der Westen Forscher an entlegene Orte, um zu beobachten, wie die Einheimischen dort leben. Nur selten hingegen studieren Mitglieder anderer Kulturen den Westen.

 Mit Camcordern und landestypischer Freizeitkleidung: Die Pazifik-Insulaner Joel, Albi, Yapa, Posen und JJ (v. l.) auf Stippvisite in London

Insofern war es etwas Besonderes, als der britische Fernsehsender Channel 4 im März eine Delegation der Kastam einlud; eines Stammes, der auf der Insel Tanna im Pazifikarchipel Vanuatu lebt. Für die Dokuserie "Meet the Natives" verbrachten fünf Stammesangehörige einen Monat in Großbritannien, lernten das Leben von Unter-, Mittel- und Oberschicht kennen - und filmten mit Camcordern ihre Erlebnisse in einem Land, das vor ihnen kein Kastam je gesehen hatte.

 Karte: Die Lage von Tanna

Die Delegation bestand aus Häuptling Yapa, dem Arzt Joel, dem Schweinehalter Posen, Albi, dem Tänzer und JJ, dem Lehrer und Dolmetscher der Gruppe. Zu Hause bebauen sie das Land, züchten Schweine und verbringen viel Zeit damit, unter einem Banyanbaum zu sitzen. Elektrizität, Fernsehen oder Flugzeuge gibt es nicht. Ein Land mit Easyjet, Sandwichtoastern und "Britain's Next Top Model" könnte von Tanna nicht weiter entfernt sein. Vielleicht sind die Kastam genau deshalb die perfekten Reiseführer für England - hier sind ihre Erfahrungen aus erster Hand.