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19.12.2007    16:16 Uhr Drucken  |  Versenden  |  Kontakt
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Hirnforschung

Die Macht der Zelle

Die Annahme, Empfindungen würden aus dem Zusammenspiel etlicher Neuronen entstehen, ist offenbar falsch. Bereits einzelne Nervenzellen haben einen großen Einfluss auf die Wahrnehmung von Gefühlen.
Von Joachim Marschall


vergrößern Karel Svoboda schleuste fremde DNS-Abschnitte in Mäuse-Neurone, damit diese ein lichtempfindliches Protein herstellen und in ihre Zellwände einbauen.
Foto: Daniel Huber/Howard Hughes Medical Institute
 

Der Einfluss einzelner Nervenzellen im Gehirn auf die Wahrnehmung von Gefühlen wurde bislang unterschätzt. In einer Untersuchung konnte der Berliner Neurowissenschaftler Michael Brecht von der Humboldt Universität erstmals nachweisen, dass die Reizung einer einzigen Nervenzelle bei Ratten eine Sinnes-Wahrnehmung und Verhaltensänderung hervorrufen kann.

Bisher ging man davon aus, dass Empfindungen erst aus dem Zusammenspiel vieler hunderter oder tausender Neuronen entstehen.

Brecht hatte die Tiere darauf trainiert, sich mit der Zunge über das Gesicht zu lecken, sobald sie einen Reiz an einem Schnurrhaar spüren. In früheren Studien konnten Forscher das Zungenlecken hervorrufen, indem sie nicht die Härchen selbst berührten, sondern jene Region der Großhirnrinde elektrisch reizten, in der die Tastreize der Schnurrhaare verarbeitet werden.

Aber selbst bei dem bislang feinsten Verfahren, der so genannten Mikrostimulation, werden immer mehrere Neurone gleichzeitig angeregt. "Wie viele Zellen dabei genau angeregt werden, weiß man nicht", sagt Brecht. "Es könnten Dutzende sein, vielleicht aber auch Tausende."

In seiner jüngsten Untersuchung bediente er sich einer hauchdünnen Glaspipette, die fein genug war, sodass er damit die Oberfläche einer einzelnen Hirnzelle berühren konnten. Über diese ultrafeine Elektrode schickte er winzige Strömstöße.


Das Resultat war für den Forscher selbst überraschend. Ein einziges Neuron mit 15 kurzen Stromstößen zu stimulieren, reichte offenbar aus, um den Ratten die Wahrnehmung einer Berührung zu bescheren. Einige Zellen sprachen dabei besser auf die Mini-Elektroschocks an als andere; im Durchschnitt führte die künstliche Erregung nur in fünf Prozent der Versuche zu einer Verhaltensreaktion, berichtet der Forscher zusammen mit seinem Kollegen Arthur Houweling am heutigen Donnerstag in Nature (online).

Zwei weitere Studien in der aktuellen Ausgabe des Fachjournals bescheinigen einzelnen Neuronen ebenfalls erheblichen Einfluss auf das Verhalten. Mit einer neuartigen Methode brachte der amerikanische Biophysiker Karel Svoboda vom Howard Hughes Medical Institute Nervenzellen von Mäusen dazu, sich durch einen Lichtstrahl ein- und ausschalten zu lassen. Dazu schleuste er fremde DNS-Abschnitte in Mäuse-Neurone, damit diese ein lichtempfindliches Protein herstellen und in ihre Zellwände einbauen. Fällt nun durch eine offene, mit einem Schutzglas abgedeckte Stelle im Schädel Licht auf das Gehirn, werden gezielt die wenigen Neuronen angeregt, die das fremde Eiweiß bilden.

Mit dieser Methode manipulierte Svoboda ebenfalls die Gehirnzellen, die für Tasthaar-Empfindungen zuständig sind. Mitunter genügte es, nur wenige Zellen gleichzeitig zu mit Licht reizen, um eine Reaktion beim Versuchstier hervorzurufen. Nach Svobodas Berechnungen genügte es, weniger als ein Prozent der Nervenzellen in einer spezialisierten Hirnregion zu stimulieren, um eine Verhaltensänderung zu erreichen.

"Das zeigt, dass man die Einzelzellaktivität ernst nehmen muss", sagt Brecht. Und dass eine Wahrnehmung nicht nur entsteht, wenn sehr viele Zellen aktiv sind. Der Neurobiologe vermutet, dass sich die Resultate auch auf Menschen übertragen lassen, schließlich seien die Nervenzellen bei Säugetieren vergleichbar. Bei der gröberen Mikrostimulations-Methode sorgen auch bei Menschen schon geringe Stromreize im Gehirn dafür, dass die Probanden über ein taubes Gefühl oder Kribbeln auf der Haut berichten.

(SZ vom 20.12.2007/mcs)


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Kommentare

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21.12.2007 11:43:15

KunibertHurtig: diese ...

Erkenntnis ist nicht neu. in den 90-ger Jahren haben englische Neurologen nachgewiesen, dass Abbildungen von Wolfsköpfen (bis herunter zu Piktogrammen) bei Schafen auf eine einzelne Hirnzelle wirkt, die dann Kaskaden neurologischer Aktivitäten initiieren, die alle 'logischen' Folgehandlungen, wie Fluchtbereitschaft, Panik, Angst usw. bewirken.

Dann gab es noch eine Experimentalreihe unter dem Kennwort 'Dunkelangst', in der Ratten so konditioniert wurden, dass sie bei Gefahr nicht mehr in ihren dunklen Bau flüchteten, weil darin elektrische Drähre gespannt waren, die bei Kontakt Schmerzen bereiteten. Man hat die Gehirne von 4000 Ratten extrahiert und letztlich eine Substanz (ein Protein, Molulargewicht ca. 64.000) gewonnen, das diese Dunkelangst kodierte, denn untrainierte Ratten reagierten genauso wie wie konditionierte. Auch hier ist anzunehmen, dass nur wenige Moleküle 'Erkenntnisträger' sind.

Der Hinweis im Vorigen, dass Computersimulationen sinnvoller seien, halte ich für Unsinn, denn die spezifische Wirkung komplexer Proteine im neurologischen Apparat ist derzeit nicht zu simulieren. Dazu fehlt es an Wissen oder Gewissheiten. Was stört ist eigentlich nur die Wiederholung von langst Erforschtem und die Präsentation der Ergebnisse als neue Erkenntnis meint
Kuni


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20.12.2007 11:25:05

JPaudio: @astra1971

Damit Sie etwas am Computer zuverlässig simulieren können, müssen Sie erst einmal herausfinden, wie sich dessen Einzelteile tatsächlich verhalten. Sonst simulieren Sie irgendetwas, das nichts mit der Realität zu tun hat.

Um herauszufinden, wie sich einzelne Nervenzellen als Eingänge komplexerer Verarbeitungsgruppen verhalten, dienen denke ich die hier gezeigten Experimente. Insofern kann ich nicht erkennen, dass sie nutzlos wären.

Wie man solche Versuche durch epidemologische Studien oder klinische Untersuchungen durchführen sollte, ist mir nicht ganz klar. Vielleicht wollen Sie dazu in diesem Kontext genauer stellungnehmen?

Abgesehen davon: Seien Sie den Tieren für die erfolgreichen Versuche und geretteten Leben dankbar und entwerten Sie deren Tod nicht durch die pauschale Aussage, dass er sinnlos gewesen sei.

Es gibt ohne Frage sinnlose Tierversuche. Diese hier gehören nach meiner Ansicht aber nicht dazu.


3 Besucher haben diesen Kommentar bewertet



20.12.2007 10:32:16

chemist78: @astra1971

An dieser Stelle muss ich Ihnen widersprechen. Ohne Tierversuche hätten wir sehr viel weniger zuverlässige Arzneimittel und Verständnis unseres Organismusses. Wenn beispielsweise ein Medikament entwickelt wird, dann wird zunächst an Ratten getestet und erst wenn diese Tests abgeschlossen sind, beginnt man das potentielle Medikament an Menschen zu testen. Nach Ihrer Moralvorstellung sollte man also gleich auf den Menschen über gehen, oder wie? Sie Sprechen von Computersimulationen? Das wird zum Teil gemacht, aber kein Computerprogramm der Welt kann einen so komplexen Organismus wie den Menschen simulieren.

Die Studiendaten sind u.a. das Resultat von Tierversuchen.

übrigens werden Tierversuche durch die Pharmaindustrie gezahlt.

Ich gebe zu, dass es überflüssige Tierversuche gibt, z.B. wenn der x-te rote Lippenstift am Laborkarnickeln getestet wird.

Sie sollten Ihre ignorante Einstellung überdenken. Ich hoffe für Sie, dass Sie nicht schwer erkanken und dann auf sichere Medikamente und ärztliches Wissen (aus der Grundlagenforschung) angewiesen sind.


7 Besucher haben diesen Kommentar bewertet



20.12.2007 09:25:28

astra1971: Tierversuche - zum Wohle des Menschen ?

Tierversuche verursachen extremes Leid und Tod von unschuldigen Lebewesen und verschwenden jährlich Unsummen Ihrer Steuergelder.

Tierversuche gefährden und schädigen Ihre Gesundheit und verursachen den Tod von Menschen, da ihre Ergebnisse unsinnigerweise auf den Menschen übertragen werden.

Wir hören immer wieder, dass Tierversuche zwar grausam, aber insgesamt ein notwendiges übel seien, um menschliche Krankheiten heilen zu können. Leider wird nicht gesagt, dass dies nach allen Erfahrungen der Vergangenheit völliger Unfug ist und eine Verschwendung von Steuergeldern in gigantischem Umfang darstellt.

Tierversuche in der Grundlagenforschung: Liefern keine Ergebnisse, die diese unvorstellbaren Grausamkeiten rechtfertigen könnten. Grundlagenforschung kann zudem sinnvoller durch Computerverfahren, epidemiologische Studien und klinische Untersuchungen durchgeführt werden.


8 Besucher haben diesen Kommentar bewertet


 
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