Bilder unserer Nutzer

Shop

Meyers Großes Taschenlexikon in 24 Bänden plus CD-ROM
ISBN 3-411-11009-0
149,00 € [D]

Weitere Informationen

Narr

Narr, törichter Mensch, Spaßmacher und Spötter oder Gestalt mit hintergründigem Witz und versteckter Weisheit. Geschichte: Figürliche Vorläufer des Narren kannten die griechische und die römische Antike, ohne dass von Kontinuitäten zur mittelalterlichen Narrenidee ausgegangen werden kann. Die tatsächliche Begriffsgeschichte des Narren ist unklar. Möglicherweise liegt dem althochdeutschen Wort »narro«, das sich zum mittelhochdeutschen »narre« entwickelte, das spätlateinische »nario« (Spötter, Nasenrümpfer) zugrunde. Im Mittelalter war das Narrentum in vielfältigen Formen verbreitet (u. a. als bunt gekleidete Spaßmacher im Gefolge der Ritter, Possenreißer auf Jahrmärkten); eine wichtige Rolle spielten die Hofnarren, frühmittelalterliche Narrenfeste parodierten kirchliche Riten. Verschiedene Brauchformen, etwa die Fastnacht, blieben bis heute lebendig. Narrheit im Sinne des lateinischen »stultitia« (Dummheit, Torheit) bedeutete in der christlichen Interpretation des Mittelalters in erster Linie das Fehlen der Erleuchtung durch den Heiligen Geist. Die didaktische Literatur verwendete den Begriff »Nerrischeit« seit dem frühen 13. Jahrhundert im Sinn von Abwesenheit von Gotteskenntnis. – Zwischen 1480 und 1550 stand die Narrenthematik im Zenit ihrer Popularität. Die komplexe, klassische Narrenidee war zum zentralen Thema der bildenden Kunst (Schwerpunkte: Oberrheinregion, Köln, Niederlande) geworden. Die weit verbreiteten Narrenbilder (»Narrenschiff«) wollten belehren und die abstrakten Moralvorstellungen einem Massenpublikum durch Verkehrung nahe bringen. Parallel entstand die humanistische Narrenphilosophie; daher wurde das Phänomen der Narrheit an der Schwelle zum 16. Jahrhundert zu einem Signum der Epoche: Die Figur des Narren war um 1500 zu einem hochmodernen, multifunktionalen Konzept gereift. An diesem Konzept ließen sich viele Fragestellungen aufzeigen und diskutieren, die für die Spannungen der damaligen Gesellschaft prägend waren. Führende Geistesgrößen der Zeit (Erasmus von Rotterdam) beschäftigten sich ausführlich mit dem Narren; Karneval und närrisches Treiben waren nun mit dem vorübergehenden Ausbruch aus den starren Ordnungen verbunden, die Figur des Narren wurde zu einem Menschen, der für eine begrenzte Zeit auch real närrisch handelt, der das Undenkbare leben durfte, und zwar in seiner gewohnten Umgebung. Dazu gehörte etwa die Verspottung weltlicher wie geistlicher Autoritäten. – Der Narr ist auch Theaterfigur, v. a. im Volksschauspiel (Hanswurst, Harlekin, Pickelhering). Volkstümliche Narrenfiguren sind u. a. Till Eulenspiegel, Nasreddin Hodja (in der Türkei) und die Schildbürger. (Narrenliteratur)

Weiterführende Artikel aus dem Archiv der Wochenzeitung DIE ZEIT

© DIE ZEIT