Hier wird der Chef zum Märchenonkel

von Sabine Zarling

Wie Kinder und Bosse beim Vorlesen zueinanderfinden. Auf diese Art und Weise wird ein Beitrag für die Zukunft der Kinder geleistet und sie sehen, Bildung lohnt sich.

Das Treffen war spannend. "Und etwas aufgeregt war ich auch", sagt Matthias Quaritsch. Der 48-Jährige ist Leiter der Unternehmenskommunikation beim Flughafen Hamburg und im Alltag Chef von 90 Mitarbeitern. "Ich versuche, ein entspannter Chef zu sein." Doch sein Puls schlägt höher, als sechs Viertklässler der Gesamtschule am Heidberg sein Büro entern. Der zweifache Vater weiß: "Kinder können so direkt sein."

Die nächsten 40 Minuten sind Premiere für ihn und drei seiner Chefkollegen: Sie lesen der Klasse 4a, aufgeteilt in kleine Gruppen, rund 20 Minuten vor. Anschließend bleibt Zeit für Fragen. Die Schüler treffen sich mit dem Vorleser insgesamt dreimal in zwei Monaten.

Verantwortlich für diese ungewöhnlichen Zusammenkünfte ist Dirk Brandt. Der 47-jährige Coach für Führungskräfte hat den Verein "Chefs lesen Kindern vor e.V." gegründet. Auf die Idee brachte ihn sein Patensohn, der widerwillig seine Schularbeiten erledigte: "Arbeiten macht doch eh keinen Spaß!"

Gibt es auch Chefinnen?

"Kinder bekommen durch die Medien und ihre Eltern eine Menge von der Arbeitswelt mit", sagt Brandt. "Aber meistens nur das Negative." Die Grundschüler der dritten und vierten Klassen sollen ein besseres Bild von Unternehmen erhalten.

Bevor es mit dem Vorlesen losgeht, zieht Quaritsch sein Jackett aus und nimmt hinter seinem Schreibtisch Platz. "Wie alt seid ihr denn?", fragt Quaritsch. "Neun!", "Zehn!", rufen die Kinder durcheinander. "Ich heiße Matthias Quaritsch. Klingt ein bisschen wie Quatsch."

Die Schüler lachen. "Möchtet ihr was trinken? Kekse könnt ihr euch auch nehmen", sagt der Vorleser. "Kennt ihr das Buch ,Herr der Diebe‘ von Cornelia Funke? Eine Empfehlung meiner Kinder. "

Ein Beitrag für die Zukunft

Quaritsch beginnt zu lesen. Finn nimmt die Zahnspange raus, schiebt einen Keks in den Mund. Dustin kreuzt die Arme und legt sie samt Kopf auf den Tisch. Nolawie mümmelt Plätzchen. Konzentriert hören sie dem Vorleser zu, es ist still wie bei einer Andacht.

Quaritsch klappt das Buch zu. "Hat es euch gefallen?" "Ja!", rufen sie im Chor. Unverzüglich beginnt die Kanonade an Fragen: "Was machen Sie als Chef? Wie sind Sie zu Ihrer Arbeit gekommen? Gibt es auch Chefinnen? Fliegen Sie viel?"

"Chefs werden durch das Zusammensein aufgeräumter, präsenter und einfühlsamer", sagt Brandt. "Sie können Hemmschwellen überwinden und leisten zudem einen Beitrag für die Zukunft der Kinder." Und die Kinder? "Sie erhalten ein positives Bild von aufgeschlossenen, interessierten und gar nicht so ernsten Chefs", erzählt Brandt, "und bemerken, dass sich Bildung lohnt."