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25.10.2007    08:26 Uhr Drucken  |  Versenden  |  Kontakt
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Geburtshilfe

Unfug im Kreißsaal

Einläufe, Öffnung der Fruchtblase, Wehenschreiber im Dauereinsatz - viele medizinische Prozeduren rund um die Geburt sind fragwürdig und völlig überflüssig.
Von Wiebke Rögener

Geburt, Hilfen, Hebammen, Studie
Unnötige Prozeduren: Viele Eingriffe vor der Geburt sind laut Studien fragwürdig.
Foto: dpa
 

Kommen die Wehen in immer kürzerer Folge, muss sich die Schwangere entschließen. Ist noch Zeit, um zu Hause abzuwarten, oder sollte man lieber gleich ins Krankenhaus fahren? Einmal dort eingetroffen, ist es mit der Entscheidungsfreiheit oft vorbei.

Die Gebärende bekommt womöglich als Erstes einen Einlauf und wird an den Wehenschreiber angeschlossen. Geht es nicht zügig voran mit der Geburt, wird häufig die Fruchtblase eröffnet oder der Wehentropf zur Beschleunigung eingesetzt.

Steigern sich bei einer so forcierten Geburt die Schmerzen ins Unerträgliche, folgt eine Periduralanästhesie, die sogenannte Rückenmarksnarkose. Etliche Frauen sagen hinterher: "Es ist alles so gelaufen, wie ich es nicht wollte."

Dabei sind manche medizinische Prozeduren rund um die Geburt nicht nur unangenehm, sondern überflüssig. So widerlegte jetzt eine Auswertung von drei Studien die Mär, ein Einlauf zur Entleerung des Darms trage zur Erleichterung der Geburt bei (Cochrane Database of Systematic Reviews, Bd. 4). Weder verkürzt er die Wehendauer, noch gab es weniger Infektionen bei Müttern oder Neugeborenen als nach Geburten, bei denen aufs Klistier verzichtet wurde.

In sehr seltenen Fällen kann es sogar zur Durchlöcherung des Darms mit anschließender Blutvergiftung kommen. "Bei uns werden Einläufe nur in speziellen Fällen gemacht - wenn der Darm sehr voll ist, kann das ein Geburtshindernis sein. Dann sind Einläufe sinnvoll, nicht zur Einleitung‘‘, sagt Bernhard Hackelöer, Chef der geburtshilflichen Abteilung an der Asklepios-Klinik Barmbek in Hamburg. Als Routinemaßnahme sei die Prozedur aus der Mode gekommen.

Nicht viel besser steht es um einen anderen Brauch im Kreißsaal: Die Blasensprengung wird zwar traditionell eingesetzt, um die Geburt zu beschleunigen, taugt dazu aber nicht, ergab eine weitere Studienauswertung der Cochrane Collaboration (Cochrane Database of Systematic Reviews, Bd. 4). Platzt die Fruchtblase nicht spätestens mit Beginn der Presswehen, lässt das viele Geburtshelfer nicht ruhen: Die Fruchtblase wird angestochen.

Die Natur richtet nicht alles

Schon 1756 beschrieb der englische Gynäkologe Thomas Denman, dass sich dadurch die Geburt einleiten oder der Ablauf verkürzen ließe. 150 Jahre später wird auch eine biochemische Erklärung für diese vermeintliche Wirkung nachgeliefert: Das Öffnen der Fruchtblase führe zur Ausschüttung der wehenfördernden Hormone Prostaglandin und Oxytozin, so die gängige Erklärung.

Das mag so plausibel sein wie der oft kolportierte Ratschlag, Sex kurz vor der Entbindung sei ein Mittel, die Geburt in Gang zu bringen. Hier werden ebenfalls Prostaglandine - aus der Spermienflüssigkeit - und die Anregung der Oxytozin-Produktion als Auslöser vermutet.

Es gibt jedoch keine Studie, die zuverlässig belegt, dass Sex kurz vor der Niederkunft die Wehen fördert, ergab ein Cochrane-Review schon 2001. Dieses Verfahren der Geburtseinleitung dürfte jedoch auch schwer zu standardisieren sein, merkten die Gutachter an.


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Kommentare


26.10.2007 12:23:17

obi0033: eben drum.

liebe faz-leserin, ungewollt nähern wir uns an: eben weil noch kein kind dringeblieben ist, ist das tamtam ums kinderkriegen in vielen fällen albern und unnötig - nur dadurch, dass den frauen (hebammen wie gebärenden) durch die angeblich unendlich reichen möglichkeiten das hirn vernebelt und die wahrnehmung verschoben wird, tauchen die in diesen kommentaren beschriebenen probleme erst auf. und natürlich haben viele frauen noch nicht mal sauberes wasser auf dieser welt, aber eben aus diesem grund ist es beispielsweise nicht nötig, in einem westlichen industrieland ein bedingungsloses 'zurück zur natürlichkeit' (samt firlefanz) zu propagieren, das in vielen fällen eben risiken zurückbringt, denen anno '45 folgende unsere mütter und grossmütter ausgesetzt waren (von denen es übrigens, was gern übersehen wird, auch viele nicht überlebt haben).


7 Besucher haben diesen Kommentar bewertet



26.10.2007 12:11:17

FAZ-Leserin: Alles im Leben ist relativ

Habe sehr gelacht über diesen Angriff.
Komme aus einer kinderreichen Familie.
Wir haben in der Verwandtschaft viele Sozialberufe, auch ärztin und Hebamme.

Ich hatte das erste Kind mit 19. Wir hatten damals kein Auto und kein Telefon. Der Krankenwagen brachte die Frauen grundsätzlich nur in das nächste Krankenhaus, aber nicht in eine Wunschklinik. Eine ältere Hebamme meinte:
Meine Güte, die jungen Dinger heutzutage, so ein Theater... drinne geblieben ist noch keines.

Könnte es sich hier im Westen im hysterisches Wohlstandstheater und einen für mich nicht nachvollziehbaren Geltungsdrang handeln?

Wenn ich da an meine Mutter denke, die Ende 1944 in einem Luftschutzbunker geboren wurde. Stromsperre und kein Wasser. Das wurde in Eimer geholt. Die Hebamme hatte eine Petroleumlampe und ein Hörrohr aus Holz. In Dresden 1945 rannte meine Oma mit dem Baby auf dem Arm und den anderen Kindern an der Hand zwischen den Bomben hin und her.
Und heute regen sich Frauen auf über eine Musik vom CD-Player und einen Wehenschreiber.

Millionen Frauen auf der Welt haben nicht einmal sauberes Wasser.


8 Besucher haben diesen Kommentar bewertet



26.10.2007 11:53:06

obi0033: faz-leserin

abgesehen davon, dass ich es unnötig finde, den redakteuren hinterherzurecherchieren (wen das thema interessiert, der kann sich via fachzeitschriften perfekt informieren), und mir auch egal ist, ob die verfasserin promoviert und um die 50 ist. geht es in dem artikel doch vor allem darum, dass binsenweisheiten PRAKTIZIERT werden. und zwar jede menge - den sinn der einzelnen maßnhamen mag man differenziert beurteilen können, wie urmel im vorletzten kommentar dies tat, fakt ist (und das ist einfach fakt, punkt, basta), dass in deutschen kreissäälen jede menge unnötiger firlefanz gemacht wird. fruchtblase öffnen bei wehenbeginn, dauer-ctg trotz völlig unauffälliger herztöne. und vieles mehr. einschließlich vielleicht auch psychedelisch-musikalsicher dauerberegnung, die ich aber für verschmerzbar halte (kann man sicher leicht veratmen), zu der frau natürlich nein sagen kann ( vor allem die überinformierte enddreissiger akademikerin). Das problem ist aber, dass auch diese traditionell der hebamme vertraut und (wie in einer solchen 'schwellensituation verständlich) vertrauen willl und sich deswegen leider viel quatsch aufschwatzen lässt.
und der informationsgehalt der geburtsvorbereitungskurse variiert enorm. hier wird oft derart viel schrott erzählt, dass es der aufgeklärten und überinformierten akademikerin im enddreissiger bereich (die bereits kinder hat) schier die haare zu berge stellt. obwohl sich viele meiner enddreissiger-akademiker-freundinenn buchstäblich schrott gelacht haben ob des kollektiven räucherkerzen- und heilteeterrors in manchen kursen.
und vieles klingt vor einer geburt toll und soo glückstriefend, ist währenddessen aber u. u. unpassend (wenn bei einer schweren geburt die hebamme säuselt, ob man das köpfchen selbst halten will, währenddessen aber vergisst, den besagten kopf selbst zu halten, so dass ein sektkorkeneffekt eintritt - gute hebammen wissen, welche verletzungen das bei der gebärenden oft nach sich zieht).
gehen sie mal durch krankenhäuser und fragen frauen nach schweren geburten, wieviel praxisnähe ihre brav absolvierten hechelkurse hatten.


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26.10.2007 11:30:17

Comadrona:

Ich möchte hier darauf hinweisen, dass die Aussage zu den holländischen Statistiken nicht stimmen. Und natürlich ist die Säuglingssterblichkeit nicht alleine davon abhängig, wo man entbindet. Leider blieb das im Artikel völlig unkommentiert.
Nicht erwähnt wird auch, dass momentan in Deutschland die Zahl der Frühgeburten wieder steigt, trotz aller Technik. Und wer ist es angeblich schuld? Wir Frauen, die immer älter werden und dann auch noch Kinder bekommen wollen.
Ich bin Hebamme mit der Erfahrung von mehr als 4000 Geburten und das in fast allen Variationen die dieser Beruf bietet. Und gerade deswegen werde ich mich an der Polemik hier nicht beteiligen. Hebammen sind nicht grundsätzlich die besseren Menschen, aber ärzte eben auch auch nicht. Es gibt viele gut funktionierende Teams aber mindestens genau so viele die nicht gut arbeiten, und auf dem Rücken der Frauen iihre Kämpfe austragen. Von der Personalsituation auf beiden Seiten will ich gar nicht erst reden. So etwas führt oft zu inneren Kündigung und Resignation. Glauben Sie mir, ich weiß wirklich wovon ich rede.
Momentan ist es "IN" die Paare zu verunsichern, ihnen Angst zu machen und die Kaiserschnittrate auf 30% zu treiben. Das lässt sich medizinisch mit nichts begründen, sage nicht nur ich, sondern auch die WHO. Dafür hätte ich gerne eine einleuchtende Erklärung. Meine persönliche Deutung spielt zunächst keine Rolle.
Geburten sind immer ein sehr subjektives Erlebnis, dazu noch unter einer riesigen Anspannung. Von daher ist es kein Wunder, dass gewisse Abläufe selektiv wahrgenommen werden und oft auch das Hintergrundwissen fehlt, um sie korrekt einordnen zu können. Bei Hausbesuchen nach der Geburt hört man solche Berichte täglich. Und natürlich ist es völlig in Ordnung, dass diese Erzählungen gar nicht objektiv sein können.


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26.10.2007 10:46:33

FAZ-Leserin: Ein alter Hut - seit Jahren bekannt

Die Verfasserin des Artikels soll nach Internet-Recherchen eine promovierte Wissenschaftlerin um die 50 sein. Der Artikel wirkt wie ein Aufguss von Binsenweisheiten und ist fachlich nicht substantiiert.
Das alles ist seit 20 Jahren bekannt und wird seitdem in Frauenzeitschriften wie Eltern, Eltern for familiy, Brigitte, Für Sie, Cosmopolitan usw. immer wieder berichtet.
Lediglich die Vogue und Madame verzichten auf das Thema…

Geht es um das uralte Thema spontane Geburt gegen geplante Geburt (Tropf, Kaiserschnitt usw.) Geht es um den Vergleich Naturvölker gegen Industrienationen? Oder um das Thema Ärzte kontra Hebammen? Soll der Artikel das Gesundheitswesen kritisieren oder rechtliche Informationen bieten? Nichts dergleichen ist hier geschehen. Es wirkt wie abgeschrieben und eine Zusammenkettung von Binsenweisheiten.

Eine lange schmerzhafte Geburt kann durch Medikamente erleichtert und beschleunigt werden. Das wussten auch die Naturvölker und nahmen Giftstoffe, pflanzliche Extrakte, teilweise auch Rauch – in Kerzenform oder bei Indianerfrauen direkt inhaliert. Nicht alles, was pflanzlich ist, ist auch „okö“ oder harmlos. Auch unsere Pflanzen (Fliegenpilz, Fingerhut, Seidelbast, Maiglöckchen uva. Enthalten toxische Stoffe, also Gift). Das Gift lähmt die Nerven und kann Schmerz ausschalten, egal ob es aus dem Labor kommt oder von der Wiese.

Und ob die Frau baden möchte oder nicht, ob sie liegen möchte oder nicht, ob sie Musik hören möchte oder nicht – das kann sie doch sagen. Wie soll eine Mutter mit pubertätsfrechen Kindern umgehen, wenn sie nicht zur Hebamme sagen kann: „Ach, schalten Sie doch bitte den CD-Player aus, ich mag das jetzt nicht...“

Krankenhäuser buhlen natürlich um Kundinnen und zeigen ihre Schokoladenseite.
Das ist aber in jeder Werbung und in jeder Kurklinik so.
Man will das Beste – nämlich das Geld.

Alles in allem – ein Artikel, der weder neue Erkenntnisse, noch neue gesellschaftliche Hintergründe nennt. „Öko-Hebammen“ übersehen gern, dass in armen Ländern Frauen ihre Kinder zwischen 15 und 30 bekommen, während es bei uns immer mehr Frauen gibt, die das erste Kind mit 40 erwarten. Niemand macht bei einer 20jährigen in Afrika einen „Mongi-Test“ – bei einer Frau in Europa, die über 35 ist, empfiehlt man das aber.

Und alles andere können Frauen doch bereits bei ihren Gymnastikkursen mit der Hebamme besprec


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