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Meyers Großes Taschenlexikon in 24 Bänden plus CD-ROM
ISBN 3-411-11009-0
149,00 € [D]

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Ungarn (Ungarn)

Flagge, Wappen, Kfz-...
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Ziehbrunnen in der u...
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Die Ungarnzüge vom 5...
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Die Ungarnzüge vom 5...
Türkenkriege
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Türkenkriege

Ungarn,

Fläche 93 030 km2
Einwohner (2004) 10,12 Mio.
Hauptstadt Budapest
Verwaltungsgliederung 19 Bezirke (Megye) und die Hauptstadt
Amtsprache Ungarisch
Nationalfeiertag 15. 3., 20. 8. und 23. 10.
Währung 1 Forint (Ft) = 100 Fillér (f)
Zeitzone MEZ

ungarisch Magyarország, amtlich Magyar Köztársaság, deutsch Republik Ungarn, Staat im Südosten Mitteleuropas, grenzt im Norden an die Slowakische Republik, im Nordosten an die Ukraine (Gebiet Transkarpatien), im Osten an Rumänien, im Süden an Kroatien sowie an die Republik Serbien (Provinz Wojwodina), im Südwesten an Slowenien und im Westen an Österreich (Burgenland).

Inhaltsverzeichnis

S T A A T · R E C H T

Nach der am 18./19. 10. 1989 einer Totalrevision unterzogenen und seither mehrfach geänderten Verfassung vom 18. 8. 1949 ist Ungarn eine parlamentarische Republik. Staatsoberhaupt ist der vom Parlament auf 5 Jahre gewählte Präsident (einmalige Wiederwahl zulässig). Er ist formell Oberbefehlshaber der Streitkräfte, ernennt die Mitglieder des Kabinetts, kann Gesetze initiieren und verfügt über ein Vetorecht. Die Legislative liegt bei der Nationalversammlung (386 Abgeordnete, für 4 Jahre gewählt), die Exekutive bei der Regierung unter Vorsitz des Ministerpräsidenten (vom Parlament auf Vorschlag des Präsidenten gewählt). – Einflussreichste Parteien: Ungarische Sozialistische Partei (MSzP), Bund Junger Demokraten – Ungarische Bürgerpartei (FIDESz – MPP), Ungarisches Demokratisches Forum (MDF), Bund Freier Demokraten (SzDSz). Daneben spielen eine Rolle die Unabhängige Partei der Kleinen Landwirte, Landarbeiter und Bürger (FKgP), die Ungarische Partei für Gerechtigkeit und Leben (MIÉP) und die Zentrumspartei (CP).

Ungarn: Verwaltungsgliederung (2004)
Bezirk (Megye)RegionFläche (in km2)Einwohner (in 1 000)Einwohner (je km2)Hauptstadt
Budapest (Stadt)Zentralungarn5251 705
Pest6 3931 124176Budapest
FejérZentraltransdanubien4 35942998Székesfehérvár
Komárom-Esztergom2 265316140Tatabánya
Veszprém4 49336982Veszprém
Győr-Moson-SopronWesttransdanubien4 208440105Győr
Vas3 33626680Szombathely
Zala3 78429779Zalaegerszeg
BaranyaSüdtransdanubien4 43040291Pécs
Somogy6 03633455Kaposvár
Tolna3 70324767Szekszárd
Borsod-Abaúj-ZemplénNordungarn7 247738102Miskolc
Heves3 63732489Eger
Nógrád2 54621886Salgótarján
Hájdú-BiharNördliche Große Tiefebene6 21155089Debrecen
Jász-Nagykun-Szolnok5 58241374Szolnok
Szabolcs-Szatmár-Bereg5 93658498Nyíregyháza
Bács-KiskunSüdliche Große Tiefebene8 44554264Kecskemét
Békés5 63139370Békéscsaba
Csongrád4 263426100Szeged
Ungarn93 03010 117109Budapest

L A N D E S N A T U R · B E V Ö L K E R U N G

Landesnatur:

Ungarn liegt im Pannonischen Becken; es umfasst hauptsächlich das Ungarische Tiefland, das vom Ungarischen Mittelgebirge in das Kleine Ungarische Tiefland (Kisalföld) im Nordwesten und das Große Ungarische Tiefland (Alföld) im Osten und Süden geteilt und von Donau und Theiß, den Hauptflüssen des Landes, durchzogen wird. Im Südwesten zwischen Donau und Drau erhebt sich das Transdanubische Hügelland mit dem Mecsekgebirge (bis 682 m über dem Meeresspiegel); an der Grenze zu Österreich reichen mit dem Ödenburger und Günser Gebirge Ausläufer der Ostalpen nach Ungarn hinein. Größte Seen sind der Plattensee, der Velencer See und der nur mit seinem Südteil zu Ungarn gehörende Neusiedler See (der Nordteil gehört zu Österreich). – Becken- und Binnenlage bedingen ein gemäßigt kontinentales Klima mit atlantischen und subtropisch-mediterranen Einflüssen; mittlere Jahresniederschläge 500–800 mm. Rund ein Fünftel der Fläche ist bewaldet, v. a. in den Hügelländern und Mittelgebirgen. Die im Großen Ungarischen Tiefland früher verbreitete, von Au- und Moorwäldern durchsetzte Steppe (Puszta) ist bis auf wenige Reste (Naturschutzgebiete) durch Melioration verschwunden.

Bevölkerung:

Rund 97 % sind Ungarn (Magyaren), ferner gibt es Minderheiten von Sinti und Roma (Zigeuner 1,8 %, nach anderen Angaben bis zu 4,4 %), Deutschen (0,6 %), Slowaken (0,2 %), Kroaten (0,2 %), Rumänen, Serben, Slowenen, Bulgaren, Griechen, Armeniern, Polen. Der Anteil der Stadtbevölkerung beträgt 65 %; Budapest ist das überragende Zentrum des Landes, fast jeder fünfte ungarische Bürger wohnt in der Hauptstadt. Etwa 5 Mio. Ungarn leben im Ausland. – Rund 90 % der Bevölkerung sind Christen: Rund 68 % gehören der katholischen Kirche an (darunter rund 278 000 Katholiken des byzantinischen Ritus), rund 21 % protestantischen Kirchen (ganz überwiegend [rund 16 %] Reformierte, daneben besonders Lutheraner), rund 1 % orthodoxen Kirchen. Die jüdische Gemeinschaft zählt rund 60 000 Mitglieder. – Es besteht allgemeine Schulpflicht im Alter von 6 bis 18 Jahren und ein für alle Kinder ab 3 Jahre offenes Vorschulangebot (im letzten Jahr obligatorisch). Nach Absolvierung der achtjährigen Primarschule sind folgende Ausbildungswege möglich: zweijähriger weiterer Besuch der Primarschule (Abschluss: Klasse 10), vierjähriger Besuch des Gymnasiums (Abschluss: Hochschulreife); zwei- bis dreijähriger Besuch berufsbildender Schulen. Es gibt über 30 Universitäten und Hochschulen; die ältesten Universitäten sind die Universitäten von Pécs (gegründet 1367) und Budapest (1635).

W I R T S C H A F T · V E R K E H R

In Ungarn wurde bereits Ende der 1980er-Jahre eine Systemwende zu parlamentarischer Demokratie und Marktwirtschaft eingeleitet; seit 1990 wurde die Volkswirtschaft weitgehend privatisiert. Die Transformation hatte zunächst einen wirtschaftlichen Niedergang und für die Bevölkerung eine soziale Polarisierung zur Folge. Während der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre konsolidierte sich die ungarische Wirtschaft; Ungarn wurde zum bevorzugten Ziel ausländischer Direktinvestitionen in Mittel- und Osteuropa. Seit 1997 ist die ungarische Wirtschaft zu einem nachhaltigen Wachstum übergegangen. Seit dem 1. 5. 2004 ist Ungarn Mitglied der EU. – Die Landwirtschaft wird sowohl von kleinen privaten Familienbetrieben als auch von großen Agrargesellschaften betrieben. Landwirtschaftlich genutzt werden rd. 63 % der Landesfläche, davon sind 77 % Ackerland und 18 % Grünland. Angebaut werden v. a. Weizen, Gerste, Mais, Roggen, Hafer, Sonnenblumen, Kartoffeln und Zuckerrüben sowie Tomaten, Paprika, Zwiebeln, Obst und Wein. In der Viehzucht dominiert Rinder- und Schweinehaltung; Truthühner, Enten und Gänse werden v. a. für den Export gehalten. – Ungarn ist arm an mineralischen Rohstoffen. Abgebaut wird in größerem Umfang Bauxit in den Revieren im Bakonywald und Vértesgebirge. Genutzt wird die große Anzahl der Thermal- und Mineralquellen. Wichtige Industriebranchen sind der Maschinen- und Fahrzeugbau, die Nahrungsmittel-, chemische, Kunststoff-, metallurgische und Metall verarbeitende, Textil- und Bekleidungsindustrie. Die Industrieproduktion ist nach dem starken Rückgang Anfang der 1990er-Jahre wieder deutlich gewachsen. Neue Industrieinvestitionen gab es etwa im Automobilbau, in der Kfz-Zuliefer- und elektronischen Industrie. Bedeutend für den Tourismus sind Budapest, der Plattensee, die Pusztalandschaften und die zahlreichen Kurorte mit ihren Heilquellen; weitere wichtige Reisegebiete sind einige Städte mit mittelalterlich oder barock geprägten Stadtkernen (z. B. Sopron, Győr, Pécs, Esztergom, Eger). – Hauptexportgüter sind Maschinen und Ausrüstungen, Elektrogeräte, Fahrzeuge und Nahrungsmittel. Die Haupthandelspartner sind Deutschland, Österreich und Russland.

Das Eisenbahn- und Straßennetz ist vergleichsweise dicht und räumlich auf die Hauptstadt orientiert. Die Streckenlänge der Bahnen beträgt rund 7 900 km (davon 2 780 km elektrifiziert). Das Straßennetz (Nationalstraßen) ist 30 460 km lang, davon 533 km Autobahnen. Donau und Theiß sind die wichtigsten Schifffahrtswege; der internationale Flughafen Budapest-Ferihegy liegt südöstlich von Budapest.

G E S C H I C H T E

Zur Vorgeschichte Südosteuropa.

Bis zur Christianisierung (5.–11. Jahrhundert): In das mittlere Donautal, das römische Pannonien, strömten seit dem Rückzug der Römer (um 400) germanische und hunnische Stämme. Es war zunächst Mittelpunkt des Hunnenreichs unter Attila († 453), später zogen Wandalen und Langobarden durch, Gepiden siedelten dauerhaft. Der Awarenherrschaft seit 567 setzte Karl der Große zwischen 791 und 803 ein Ende. Seit 896 besetzten die Magyaren das Pannonische Becken und unternahmen Raubzüge in ganz Europa (besiegt bei Riade 933, auf dem Lechfeld 955, vor Byzanz 970). Großfürst Géza (* um 940/945, † 997; etwa 970–997; um 973/74 auf den Namen Stephan [István] getauft) aus der Dynastie der Árpáden festigte die fürstliche Macht und bereitete die Christianisierung vor. Sein Sohn Stephan I., der Heilige, ließ sich Weihnachten 1000 zum König krönen (Stephanskrone; die historische Forschung ist inzwischen zumeist dazu übergegangen, die Krönung auf den 1. 1. 1001 zu datieren).

Unabhängiges Königreich Ungarn (bis 1526): 906 um die Slowakei vergrößert, Mitte des 11. Jahrhunderts vorübergehend vom Heiligen Römischen Reich lehensabhängig, kam es 1102 zur Personalunion mit Kroatien. Unter König Géza II. (1141–62) begann um 1150 die Ansiedlung von Deutschen in Siebenbürgen (Siebenbürger Sachsen), später auch in der Zips; nach 1239/40 wanderten Kumanen ein. Von König Andreas II. (1205–35) erzwang der ungarische Adel 1222 in der »Goldenen Bulle« die Bestätigung seiner Vorrechte; 1224 gewährte er im »Privilegium Andreanum« den Siebenbürger Sachsen Autonomierechte. 1241/42 besetzten die Mongolen das Land. Nach dem Aussterben der Árpáden (1301) folgten Herrscher aus verschiedenen Häusern. Ludwig I., der Große (1342–82), seit 1370 auch König von Polen, betrieb eine expansive Außenpolitik (v. a. gegenüber den Balkanländern). Sein Schwiegersohn, Sigismund von Luxemburg (1387–1437; seit 1410/11 auch Römischer König), wandte sich nach der Niederlage gegen die Osmanen bei Nikopol 1396 stärker der Politik im Heiligen Römischen Reich zu und suchte eine europäische Koalition gegen die Osmanen zu bilden. Aber erst der Sieg von J. Hunyadi bei Belgrad (1456) bannte die osmanische Gefahr für längere Zeit. Matthias I. Corvinus (1458–90) eroberte Mähren, Schlesien und die Lausitz, Niederösterreich und die Steiermark. 1485 zog er in Wien ein und machte es zu seiner Residenz; Wirtschaft und Kultur erlebten eine Blütezeit (Renaissance). Unter der Dynastie der Jagiellonen (1490–1526) zerfiel die Zentralmacht. Nach der grausamen Niederschlagung des Bauernkrieges 1514 unter G. Dózsa wurde die Leibeigenschaft verschärft und gesetzlich fixiert. Die verbliebene, zahlenmäßig schwache Adelsarmee unterlag den Türken 1526 bei Mohács, auch König Ludwig II. (1516–26) fiel; Ungarn zerfiel in drei Teile.

Ungarn unter Osmanen und Habsburgern (1526–1918): Nach der Doppelwahl von 1526 konnte Johann I. Zápolya, Woiwode von Siebenbürgen (1526–64), mit osmanischer Unterstützung den Machtbereich seines habsburgischen Gegenkönigs Ferdinand I. (1526/27–64) auf Oberungarn (die Slowakei) und einen schmalen Teil Westungarns beschränken, das zur österreichischen Provinz herabsank. Mittelungarn (mit Slawonien) wurde ab 1541 als Paschalik »Ofen« türkisch (Türkisch-Ungarn), Ostungarn (Siebenbürgen) selbstständiges Fürstentum unter türkischer Oberhoheit. Fürst Stephan IV. Báthory (1571–86) legte die Grundlagen eines starken siebenbürgischen Staates, dessen Unabhängigkeit und Religionsfreiheit (Reformation) nach einem Aufstand der ungarischen Stände unter I. Bocskay (1605–06) von Österreich im Wiener Frieden (1606) anerkannt wurden. Als die Türken den nach der Wesselényischen Verschwörung ausgebrochenen Aufstand der Kuruzen unter Führung von Graf I. Thököly (1678–82) unterstützten, entbrannte der »Große Türkenkrieg« (1683–99). Nach der raschen Eroberung Ungarns durch kaiserliche Truppen (1686 Fall Budas, 1697 Sieg bei Zenta) traten die Osmanen im Frieden von Karlowitz 1699 Ungarn (mit Ausnahme des späteren Banats von Temesvar), Kroatien und Slawonien an Österreich ab. Nach dem Tokajer Kuruzenaufstand 1697 und dem Freiheitskampf unter Franz II. Rákóczi (1703–11) sicherte der Friede von Sathmar (1711) die ständische Verfassung und die Religionsfreiheit; die Stände behaupteten in der Folgezeit immer wieder ihre Sonderrechte (Steuerfreiheit des Adels, Leibeigenschaftssystem). Im Gebiet der Militärgrenze wurden die vor den Türken geflohenen Serben und Kroaten angesiedelt. Die Kolonisation in der Batschka und im Banat (Banater Schwaben), v. a. unter Maria Theresia (1740–80), ließ die Magyaren im Land zur Minderheit werden. Kaiser Joseph II. (1780–90) gewährte Religionsfreiheit durch das Toleranzpatent von 1781 und Freizügigkeit für Leibeigene 1785; doch der wachsende Zentralismus, besonders aber die einschneidenden Verwaltungsreformen (u. a. Deutsch [statt Latein] als Amts- und Unterrichtssprache) scheiterten am Widerstand des ungarischen Adels. Während der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts erwachte das ungarische Nationalbewusstsein, begleitet von einem kulturellen Aufschwung, wenngleich die Unzufriedenheit mit dem »System Metternich« immer breitere Kreise erfasste. Am 15. 3. 1848 brach unter Führung von S. Petőfi in Pest die Märzrevolution in Ungarn aus. Am 17. 3. akzeptierte Wien die Bildung einer liberalen ungarischen Regierung unter L. Graf Batthyány. Im September 1848 kam es zum offenen Bruch mit Habsburg, dessen Truppen L. Kossuth mit der Honvéd-Armee bezwang (Anfang 1849; am 14. 4. 1849 Erklärung der Unabhängigkeit Ungarns). Mit russischer Hilfe konnte Österreich den ungarischen Freiheitskampf im Juli/August 1849 niederwerfen (u. a. Schlacht bei Schässburg). Ungarn wurde der zentralistischen österreichischen Verwaltung eingegliedert und nach dem Muster der übrigen österreichischen Kronländer regiert. Nach der Niederlage Österreichs im Deutschen Krieg 1866 kam es zum österreichisch-ungarischen Ausgleich von 1867, durch den Ungarn in Realunion mit Österreich selbstständiges Königreich wurde (Österreich, Geschichte; Österreich-Ungarn). Der kroatisch-ungarische Ausgleich vom Juni 1868 regelte das Verhältnis zu Kroatien mit Slawonien; die Union Siebenbürgens mit Ungarn wurde im Dezember 1868 endgültig vollzogen. Das Banat war 1860 wieder an Ungarn gekommen. Nach 1875 verschärften sich die sozialen (Arbeiterunruhen) und ethnischen (v. a. durch die forcierte Magyarisierungspolitik und Abwehrmaßnahmen der nationalen Minderheiten) Gegensätze. Eine Auswanderungswelle nach Übersee kam in Gang.

Republik Ungarn und restaurierte Monarchie (1918–45): Die Niederlage im Ersten Weltkrieg führte zur Revolution und Ausrufung der Republik am 16. 11. 1918. Die Regierung unter M. Graf Károlyi musste weite Gebiete im Süden und Osten des Landes räumen. Kroatien-Slawonien hatte bereits am 29. 10. die staatsrechtliche Verbindung mit Ungarn gelöst. Unter dem Schutz der Entente-Alliierten besetzten die Tschechen Oberungarn (Slowakei), die Rumänen Siebenbürgen und die Serben Südungarn. Am 21. 3. 1919 musste Károlyi einer sozialdemokratisch-kommunistischen Regierung weichen, die faktisch von B. Kun geleitet wurde und die Ungarische Räterepublik proklamierte. In Szeged bildete sich eine gegenrevolutionäre Regierung; roter Terror, wirtschaftlicher Stillstand und der Krieg gegen die ČSR sowie v. a. Rumänien brachten die Räteregierung rasch zu Fall (1. 8. 1919; vom 6. bis 23. 8. fungierte Erzherzog Josef als »Reichsverweser«). Nach blutiger Abrechnung mit den Anhängern der Räterepublik siegte bei den Wahlen zur Nationalversammlung die 1909 gegründete »Partei der Kleinen Landwirte«; am 1. 3. 1920 wählte die Nationalversammlung M. Horthy zum Reichsverweser und stellte trotz späterer Amtsenthebung der Habsburger (6. 11. 1921; nach zwei erfolglosen Restaurationsversuchen König Karls IV. am 5. 4. und 25. 10. 1921) die Monarchie wieder her. Nach dem Friedensvertrag von Trianon (4. 6. 1920) verlor Ungarn 68 % seines früheren Staatsgebietes und 59 % seiner früheren Bevölkerung. Die Wiener Schiedssprüche von 1938/40 und die Teilnahme am Angriffskrieg gegen Jugoslawien 1941 brachten Ungarn einen Teil der 1918/20 verlorenen Gebiete zurück (Batschka, Karpato-Ukraine [[[Transkarpatien|Transkarpatien]]], Nordsiebenbürgen). Am 19. 3. 1944 besetzten deutsche Truppen das Land und zwangen Horthy, eine deutschfreundliche Regierung einzusetzen. Sein Versuch, am 15. 10. 1944 einen Waffenstillstand zu schließen, scheiterte. Horthy dankte ab und übergab die Macht dem Pfeilkreuzlerführer F. Szálasi. Sowjetische Truppen besetzten das Land schrittweise ab 23. 9. 1944 bis zum 4. 4. 1945. Am 22. 12. 1944 hatte sich im sowjetisch besetzten Debrecen eine provisorische Regierung der Ungarischen Nationalen Unabhängigkeitsfront gebildet, die am 28. 12. Deutschland den Krieg erklärte und am 20. 1. 1945 einen Waffenstillstand mit den Alliierten schloss.

»Volksdemokratie« und kommunistische Herrschaft (1945–89): Nach den Wahlen zur Nationalversammlung im Herbst 1945 wurde Z. Tildy zum Ministerpräsidenten und am 1. 2. 1946 zum Staatspräsidenten gewählt. Der Pariser Frieden vom 10. 2. 1947 stellte die ungarischen Grenzen vom 1. 1. 1938 wieder her. 1946–49 vollzog sich eine Adaption des sowjetischen Sozialismusmodells, die zu schweren wirtschaftlichen und politischen Deformationen (u. a. Schauprozesse gegen Oppositionelle wie J. Kardinal Mindszenty oder L. Rajk) führte. Bis Sommer 1948 waren fast alle Parteien verboten oder hatten sich selbst aufgelöst; am 12. 6. 1948 erfolgte (unter Druck) die Vereinigung der Sozialdemokraten mit der KP zur Partei der Ungarischen Werktätigen (seit 1956 Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei [USAP]). Die Verfassung vom 20. 8. 1949 erklärte Ungarn zur Volksrepublik. Anstelle des Stalinisten M. Rákosi wurde am 3. 7. 1953 I. Nagy als Ministerpräsident eingesetzt. Er führte 1953–55 politische und wirtschaftliche Reformen (v. a. Milderung der schnellen Industrialisierung und der auf Gewalt begründeten Kollektivierung) durch; der politische Terror ließ nach. Nagy scheiterte 1955 jedoch am Widerstand der dogmatischen Kräfte um Rákosi, der 1956 durch den ebenfalls dogmatischen Stalinisten E. Gerős als Generalsekretär abgelöst wurde. Dessen starrer Haltung ist es hauptsächlich mit zuzuschreiben, dass es am 23. 10. 1956 zum ungarischen Volksaufstand kam; Nagy bildete eine Koalitionsregierung und kündigte den Austritt aus dem Warschauer Pakt an. Am 4. 11. 1956 bildete J. Kádár eine Gegenregierung und ließ den Volksaufstand von sowjetischen Truppen blutig niederschlagen sowie die am Aufstand Beteiligten hart verfolgen; fast 200 000 Ungarn flüchteten ins westliche Ausland.

Als Erster ZK-Sekretär der neuen USAP konnte Kádár (bis 1958 und 1961–68 auch Ministerpräsident) unter gewaltsamer Ausschaltung der Parteiopposition unter Nagy (mit P. Maléter u. a. 1958 hingerichtet) sowie der Konservativen um J. Révai das politische und ökonomische System konsolidieren. Nach einer in der Folgezeit wieder eindeutig prosowjetischen Politik begannen Anfang der 1960er-Jahre schrittweise Korrekturen hin zu einem selbstständigen Sozialismusmodell, die relativ schnell zu sozialen Verbesserungen, einem Wirtschaftsaufschwung sowie einer gewissen Liberalisierung führten (»Gulaschkommunismus«; besonders ab 1978 intensiviert). Die schon vor Beginn der sowjetischen Politik von Glasnost und Perestroika einsetzenden reformkommunistischen Bestrebungen, die dann durch diese eine Verstärkung erfuhren, schlugen ab 1987 in eine umfassende Liberalisierung um (u. a. Mai 1988 Entmachtung Kádárs), die den Übergang zum politischen Pluralismus (Oktober 1989 gesetzlich verankert) und zur Marktwirtschaft vorbereitete. Parallel dazu entwickelte sich 1988 in der Bevölkerung eine Reformbewegung mit eigener Dynamik, die die Reformkommunisten bald überrollte (Bürgerbewegung).

Neues demokratisches Ungarn (seit 1989/90): Schon am 27. 9. 1987 war das Ungarische Demokratische Forum (MDF) gegründet worden. Weitere Parteien entstanden 1988/89, u. a. der Bund Freier Demokraten (SzDSz), die Partei der Kleinen Landwirte, Landarbeiter und Bürger (FKgP, wieder gegründet) und die Christlich-Demokratische Volkspartei (KDNP). Der am 2. 5. 1989 begonnene Abbau der Sperranlagen an der österreichisch-ungarischen Grenze führte ab Sommer 1989 (erster Höhepunkt: Sopron) zu einer in ihrem Ausmaß nicht vorhergesehenen Flüchtlingswelle v. a. jüngerer DDR-Bürger, da Außenminister G. Horn diesen am 11. 9. 1989 die Grenze zur freien Ausreise öffnen ließ; die damit verbundenen schweren politischen Erschütterungen beschleunigten den tief greifenden gesellschaftlichen Umbruch in der DDR und ganz Osteuropa. Im Ergebnis der Selbstauflösung der USAP (7./8. 10. 1989) entstand u. a. die Ungarische Sozialistische Partei (MSzP). Am 23. 10. 1989 änderte das Parlament den Staatsnamen in Republik Ungarn; am 10. 3. 1990 wurde der vollständige Abzug der sowjetischen Truppen bis Ende Juni 1991 vereinbart. Die ersten freien Wahlen seit 1947 (25. 3. beziehungsweise 8. 4. 1990) gewann das MDF; Ministerpräsident einer Koalitionsregierung von MDF, FKgP und KDNP wurde J. Antall (MDF; † 1993). Am 2. 3. 1990 wählte das Parlament Á. Göncz (SzDSz) zum Parlamentspräsidenten, am 3. 8. 1990 zum Staatspräsidenten (Wiederwahl 1995). Nach den Wahlen vom Mai 1994 bildete Ministerpräsident G. Horn eine Koalitionsregierung aus MSzP und SzDSz; die Wahlen im Mai 1998 gewann die bürgerlich-liberale FIDESz – MPP, die mit V. Orbán den neuen Ministerpräsidenten stellte. 2000 wurde F. Mádl zum Staatspräsidenten gewählt. Nach den Wahlen vom April 2002 kam Ende Mai 2002 eine sozialliberale Koalition aus MSzP und SzDSz unter Ministerpräsident P. Medgyessy (parteilos; als MSzP-Kandidat) zustande. Infolge einer Koalitionskrise im August 2004 trat Medgyessy zurück; neuer Ministerpräsident wurde F. Gyurcsány (MSzP). Im Juni 2005 wählte das Parlament L. Sólyom (parteilos) zum Staatspräsidenten. Bei den Parlamentswahlen im April 2006 wurde die sozialliberale Regierungskoalition unter Ministerpräsident Gyurcsány bestätigt. Im September 2006 kam es zu tagelangen, v.a. von der Opposition um Orban getragenen Unruhen; deren Auslöser war ein an die Öffentlichkeit gelangtes parteiinternes Eingeständnis von Gyurcsány, im Wahlkampf gelogen zu haben.

Außenpolitik: Durch Grundlagenverträge, die die Rechte ethnischer Minderheiten regeln, suchte Ungarn das Verhältnis zur Ukraine (1993), zur Slowakischen Republik (1994) und zu Rumänien (1996) zu bessern. Ein Statusgesetz (in Kraft seit 1. 1. 2002) zur Unterstützung der ungarischen Minderheiten jenseits der Grenzen fand erst Ende 2001 die Zustimmung Rumäniens, blieb aber dort und in der Slowakischen Republik sowie in der EU umstritten. 1994 trat Ungarn dem NATO-Programm »Partnerschaft für den Frieden« bei; 1999 wurde Ungarn Mitglied der NATO. Nach dem Assoziierungsabkommen mit der EU (in Kraft seit 1994) und dem Antrag auf Vollmitgliedschaft in der EU (1994) begannen 1998 Beitrittsverhandlungen; nach ihrem Abschluss im Dezember 2002 und der Zustimmung der Bevölkerung im EU-Referendum (12. 4. 2003) erfolgte die Aufnahme am 1. 5. 2004.

Sekundärliteratur: I. Nemeskürty: Abriss der Kulturgeschichte Ungarns (aus dem Ungarischen, Budapest 1994); G. Dalos: Ungarn. Vom roten Stern zur Stephanskrone (aus dem Ungarischen, 1997); P. Lendvai: Die Ungarn. Ein Jahrtausend Sieger in Niederlagen (1999); H. Fischer: Eine kleine Geschichte Ungarns (Neuausgabe 2000); G. Kristó: Die Geburt der ungarischen Nation (aus dem Ungarischen, 2000); J. Hauszmann: Ungarn. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart (2004); R. Kipke: Das politische System Ungarns (2005); Ungarn, bearbeitet v. B. Abend (72006).

Weiterführende Artikel aus dem Archiv der Wochenzeitung DIE ZEIT

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