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Das Übergangsjahr des deutschen Biathlon

von Andreas Morbach (Oberhof)

Die deutschen Biathlon-Haudegen sind bis auf Michael Greis im Ruhestand, die jungen Fahrer schaffen es noch nicht in die Weltspitze. Aber in Oberhof wollen sie glänzen.

Im Spätherbst, bei den letzten Vorbereitungen auf die beginnende Weltcupsaison der Biathleten, staunte Michael Rösch nicht schlecht, als er Frank Ullrich Tag für Tag auf seinen Skiern durch die finnischen Wälder sausen sah. Schmunzelnd beobachtete Rösch den eifrigen und strengen Bundestrainer und stellte fest: "Der erlebt gerade seinen zweiten Frühling." Nun sind die ersten drei Weltcup-Orte passiert, im thüringischen Oberhof absolvieren die Biathleten bis zum Sonntag ihre vierte Runde - und Ullrich erläutert seinen vorsaisonalen Ehrgeiz. "Dieser Winter", sagt der 49-Jährige, "ist für uns alle eine ganz neue Herausforderung. Und da wollte ich als Trainer natürlich mit gutem Beispiel vorangehen."

 Bundestrainer Frank Ullrich erlebte bis jetzt einige Überraschungen

Das gezielte Vorturnen hat auch durchaus Ertrag gebracht, bislang allerdings in sehr unerwarteter Form. Denn Deutschlands auffälligste Skijäger heißen in diesem Winter nicht Michael Greis, Michael Rösch oder Andreas Birnbacher, sondern Daniel Graf, Alexander Wolf und Carsten Pump. "Da sind Athleten auf das Podium gefahren, mit denen vorher keiner gerechnet hat; eine sehr positive Überraschung", lobt Ullrich das erstaunliche Trio - und wartet im Thüringer Wald nun vor allem auf erfreulichere Rauchzeichen von den etablierten Athleten.

Dass diese bislang ausgeblieben sind, erklärt der Bundestrainer mit der speziellen Konstellation in diesem Winter: "Sven Fischer und Ricco Groß haben nach der letzten Saison aufgehört. Das ist einfach ein großer Verlust für die Mannschaft, in der sich jetzt jeder erst einmal neu eingruppieren muss." Und so ein Bäumchen-wechsel-dich-Spiel braucht eben seine Zeit, zumal sich Olympiasieger wie Greis und Rösch als Leitwölfe erst akklimatisieren müssen. "Ihr Wille, mehr Verantwortung zu übernehmen, ist da", sagt der Trainer. "Aber die Fähigkeit, im richtigen Augenblick in die Speichen zu greifen, ist eben immer noch nicht in dem Maße vorhanden, wie das etwa bei Sven Fischer der Fall war."

Balance zwischen Aggression und Ruhe

Also übt sich Frank Ullrich in Geduld, rechnet insgeheim schon damit, dass diesem "Übergangsjahr" im nächsten Winter "vielleicht noch ein zweites" folgen wird, und hält fest: "Das Ganze ist im Moment eben auf mehrere und etwas schwächere Schultern verteilt." Wobei der deutsche Cheftrainer das deutliche Lebenszeichen von Michael Greis zwei Tage vor Silvester nicht übersehen hat. Nach seiner letzten Schießeinlage beim Biathlon-Spaß in der Schalke-Arena meinte der dreifache Olympiasieger von Turin selbst: "Da habe ich die nötige Balance zwischen Aggression und Gelassenheit gefunden - besser geht's nicht." Auch Kollege Rösch ("So ein gutes Schießen macht Mut") applaudierte, und Ullrich lobt nun nachträglich: "Das war sehr erfreulich."

Er sei "überzeugt davon", sagt der Bundestrainer, "dass der Michael Greis auf dem Weg nach oben ist". Wunderdinge erwartet er von dem 31-jährigen Routinier in diesen Tagen von Oberhof allerdings noch nicht - mit einer soliden Leistung als Schlussläufer der deutschen Staffel in der Besetzung Rösch/Wolf/Birnbacher/Greis wäre er beim Rennen am Donnerstag schon zufrieden. Schließlich ist bei Deutschlands Biathleten gerade so etwas wie eine Übergangszeit - und bei so einem Findungsprozess erklärt auch ein ehrgeiziger Mann wie Frank Ullrich irgendwann in geradezu staatsmännischer Ruhe: "Rom wurde auch nicht von heute auf morgen erbaut."