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Das Herz der europäischen Filmindustrie

18.Januar 2007 | Ondřej Lipár

Was verbindet den 007-Agenten James Bond und Oliver Twist, den König von Narnia und den Predator miteinander? Die Antwort lautet: Die Barrandov-Filmstudios in Prag. Dabei stellten diese Studios nicht nur die Kulissen für die genannten Filmhelden, sondern an deren Kinoerfolg waren nicht zuletzt auch tschechische Filmleute beteiligt. Mit Eröffnung des neuen Tonstudios, des größten in Europa, wird nun vielleicht das Wirklichkeit, über das schon vor einigen Jahren unter vorgehaltener Hand gemunkelt wurde. Wird die Tschechische Republik tatsächlich zum Hollywood Europas?

Ausländische Produktionsgesellschaften – kommen sie nun aus den USA, Großbritannien oder aus anderen Ländern – kehren  immer wieder gerne in die Tschechische Republik zurück. Sie schätzen die niedrigen Preise und die gute Arbeit der hiesigen Filmleute. Entscheidende Bedeutung für das Drehen abendfüllender oder High-Budget-Fernsehfilme kommt dabei den Barrandov-Studios zu. Sie können auf eine lange Tradition verweisen, die im Jahr 1931 ihren Anfang nahm. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der darauffolgenden Machtübernahme der Kommunisten beschränkte sich das Spektrum der Filmproduktion vor allem auf tschechische und slowakische Streifen.

Eine Wende trat diesbezüglich dann im Jahr 1984 ein, als der Regisseur (und tschechische US-Emigrant) Miloš Forman beschloss, seinen Filmbiografie Amadeus in der damaligen Tschechoslowakei zu drehen, und dabei selbstverständlich auch auf die Dienste der Barrandov-Studios zurückgriff. Damit hatte er den Startschuss gegeben für ein mehr und mehr zunehmendes Interesse, das nicht nur zurückzuführen ist auf die problemlose Zugänglichkeit außergewöhnlicher Lokalitäten, die insbesondere beim Drehen historischer Filme wichtig sind, so etwa eben bei  Amadeus oder auch dem Film Yentl mit Barbara Streisand, die kurz nach Forman nach Prag kam. Darüber hinaus wusste und weiß man in der internationalen Filmszene die Fertigkeiten zu schätzen, was Filmstäbe und Dekoration, Herstellung von Requisiten und Kostümen anbelangt.

Atelier numéro 7, Studios Barrandov Barrandov Studio Nr.7, Filmdekorationen, Foto: Barrandov Studio AG

In den neunziger Jahren kam es dann zur ersten wirklich großen, in Tschechien gedrehten Hollywood-Produktion. Der Film Mission Impossible - unter der Regie von Brian de Palma und mit Tom Cruise in der Hauptrolle – stellte einen klassischen High-Budget-Blockbuster amerikanischer Machart dar, dem viele andere folgen sollten. In Barrandov entstand des Weiteren etwa die Märchengeschichte Die Geschichte eines Ritters, die Thrilleradaption eines Comics von Allan Moor Aus der Hölle, sowie der Agententhriller Bourne Identity. Von den in den letzten Monaten in den Kinos angelaufenen Filmen wären noch zu nennen der erste Teil der Chronik von Narnia (auch der zweite Teil dürfte wohl in Tschechien gedreht werden), The Illusionist oder die vorläufig letzte Geschichte des britischen Agenten im Auftrag Ihrer Majestät, Casino Royal.

Die Barandov-Leute haben immer was zu tun und ruhen sich keineswegs auf der faulen Haut aus. Im Dezember nahm ein schalldichtes Atelier mit für europäische Verhältnis rekordverdächtigen Ausmaßen seinen Betrieb auf. Es handelt sich dabei im Grunde um einen Komplex aus drei neuen Ateliers. Es besteht aus zwei Ateliers mit einer Fläche von tausend Quadratmetern und einer Höhe von zwölf Metern. Das dritte – größte – Atelier erstreckt sich über eine Fläche von zweitausend Quadratmetern und weist eine Höhe von fast vierzehn Metern auf. Der gesamte Komplex ist so miteinander verbunden, dass ein gemeinsames Atelier mit einer Länge von 98,5 Metren und einer Fläche von fast 4000 Quadratmetern entsteht. Die Ateliers sind selbstverständlich mit der gesamten erforderlichen Technik für die Arbeit mit Lasten, Dekorationen und Scheinwerfern ausgestattet.

Ateliér číslo 6, Barrandov Studia a.s. Barrandov Studio Nr.6 beim Drehen, Foto: Barrandov Studio AG

„Dieser Neubau stellt zweifellos die umfangreichste Investition in die tschechische Filmindustrie in den vergangenen 60 Jahren dar. Dank dieser gewaltigen Erweiterung haben sich die Barrandov-Studios ihre führende Stellung unter den Filmstudios nicht nur in Europa festigen können,“ sagte der Vorstandsvorsitzende der Gesellschaft Barrandov Studio, Tomáš Chrenek, und betont dabei, dass diese Ateliers dank Ausstattung und Umfeld auch die anspruchsvollsten Anforderungen an Filmproduktionen befriedigen.

Ein Kapitel für sich sind dabei die tschechischen Stuntmen, bzw. die Filmka Stunts, die heute um die hundert  tschechische Stuntmen männlichen wie weiblichen Geschlechts unter sich vereinigt. In den letzen Jahren, in denen sie bei mehr als hundert abendfüllenden Filmen, Fernsehfilmen und TV-Serien mitwirkten, erarbeiteten sie sich einen hervorragenden Ruf. Ihre Dienste werden nicht nur von den in Tschechien drehenden Filmteams, sondern mehr und mehr auch im Ausland in Anspruch genommen. Nicht zufällig griff auch James Cameron bei den Dreharbeiten der Titanic auf sie zurück.

Mögen die guten Erfahrungen mit den tschechischen Filmprofis und das gute Umfeld auch wichtige Faktoren bei der Auswahl des Drehortes sein, so darf auch die finanzielle Frage nicht außer Acht gelassen werden. Dreharbeiten in Prag sind einstweilen immer noch billiger als beispielsweise in Großbritannien, Frankreich oder Deutschland, insbesondere wenn es sich um Kostümfilme handelt . Ulrich Limmer, in dessen Produktion im vergangenen Jahr der Märchenfilm Loupežník Osoblaha entstand, sagte kürzlich in einem Gespräch mit der in Deutschland erscheinenden Wirtschaftswoche: „Wenn wir nur in Deutschland gedreht hätten, hätten wir angesichts der hohen Kosten mit erheblich weniger Atelierszenen auskommen müssen.“ Aber ebenso wie in allen anderen Branchen, sinken die Preise, je weiter man in Richtung Osten geht.

Was verbindet den 007-Agenten James Bond und Oliver Twist, den König von Narnia und den Predator miteinander? Die Antwort lautet: Die Barandov-Filmstudios in Prag. Dekorationen zu dem Film Oliver Twist, der im Jahre 2004 in Prag gedreht wurde, Foto: Barrandov Studio AG

Rumänien beispielsweise machte, was die Filmindustrie angeht, insbesondere im Jahr 2003 vor dem Anlaufen des amerikanischen Films des Regisseurs Anthny Minghelly, Rückkehr nach Cold Mountain, weltweit von sich reden. Das Echo darauf war im gleichen Maße positiv wie negativ. Der Film, der in der Zeit nach dem Ende des amerikanischen Bürgerkriegs in den Bergen von Virginia spielt, wurde zu einem großen Teil eben in Rumänien gedreht. In diesem Zusammenhang wurden viele Stimmen laut, die einwendeten, dass Hollywood auf diese Weise um Arbeit komme. Minghella selbst behauptete, dass diese Variante einerseits aus finanziellen Gründen besser gewesen sei, aber im gleichem Maße sei auch die Tatsache entscheidend gewesen, dass die rumänischen Karpaten weitaus weniger von der Industrialisierung gezeichnet sind als das heutige Virginia.

Aber Rumänien bzw. die rumänische Gesellschaft Castel Film Studio, ist bei Weitem nicht der einzige Player auf dem mittel- und osteuropäischen Markt. Zu den weiteren Konkurrenten zählen das Studio Babelsberg im deutschen Potsdam, der neuerrichtete Atelierkomplex Stern Film Studio and Media Center in Ungarn, die Gesellschaft Boyana Film a Nimar in Bulgarien und das litauische Filmstudio LFS. Einige Länder gewähren den ausländischen Filmemachern steuerliche Erleichterungen oder senken den örtlichen Gesellschaften, die sich als Koproduzenten mit einbringen, die Steuern. Ungarn bietet sogar staatliche Hilfen an.

Der Konkurrenzvorteil der Tschechischen Republik – und besonders Prags – besteht im Vergleich zu anderen Drehorten in der einzigartigen Filmlokation, vor allem dank der historischen Bauten und einiger Naturszenerien, aber eine wichtige Rolle spielt hier auch die hiesige Infrastruktur, die für den Betrieb einer Filmproduktion unverzichtbar, in vielen Fällen sogar entscheidend ist. Sei es nun die Freizeitgestaltung des Filmstabs oder die Gewährleistung einer großen Zahl fähiger Leute mit Filmerfahrung, die Tschechische Republik hat Filmemachern heutzutage sicherlich einiges zu bieten.

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