In Amerika passiert derzeit etwas Seltsames: Bei den Republikanern steht John McCain, Jahrgang 1936, kurz davor, die Präsidentschaftskandidatur seiner Partei zu erringen. Am Wahltag Anfang November wird der Senator aus Arizona 72 Jahre alt sein und damit einer der ältesten Bewerber, den die Republikaner jemals ins Rennen um das Weiße Haus geschickt haben.
Bei den Demokraten sieht es ähnlich bemerkenswert aus. Zwar ist dort der Kampf um die Kandidatur noch in vollem Gang. Doch Barack Obama, Jahrgang 1961, fügt der einst als unbesiegbar geltenden Hillary Clinton schmerzhafte Niederlagen zu. Gewänne Obama die Kandidatur, wäre er am Wahltag 47 Jahre alt - und damit nach John F. Kennedy der zweitjüngste Präsidentschaftsbewerber, der je für die Demokraten angetreten ist.
Die Vorwahlkämpfe haben damit eines gemeinsam: Auf beiden Seiten sind die Angehörigen der Babyboomer-Generation - die Geburtsjahrgänge 1946 folgende - ins Hintertreffen geraten. McCain schlug den 1947 geborenen Mitt Romney erstaunlich leicht aus dem Feld. Obama setzt der ebenfalls 1947 zur Welt gekommenen Clinton ebenso überraschend hart zu. Die Babyboomer, deren politische Wurzeln in den späten 60er-Jahren liegen und die mit Bill Clinton und George W. Bush bereits zwei US-Präsidenten gestellt haben, haben ihr Monopol auf die Führung Amerikas verloren.
Diese Feststellung gilt, selbst wenn Hillary Clinton am Ende doch gegen Obama gewinnt. Allein, dass sie hart um die Kandidatur ringen muss, zeigt, dass die Demokraten nicht mehr bereit sind, Clinton nur deshalb einen Bonus einzuräumen, weil sie eine Altachtundsechzigerin ist.
Politisch liegen Obama und McCain oft Welten auseinander. Doch es gibt auch eine Gemeinsamkeit. Auf den ersten Blick erscheint diese paradox - schließlich symbolisiert der grauhaarige McCain die Rückkehr zu alten Ufern, der jugendliche Obama den Aufbruch zu neuen. Doch das ist kein Widerspruch: Die Ufer, nach denen McCain und Obama streben, mögen in unterschiedlichen Richtungen liegen. Aber beide versprechen, Amerika vom Hier und Heute wegzuführen.
Dieses Versprechen hat enorme Zugkraft, weil das Hier und Heute düster ist. Die Machtübernahme der Babyboomer Anfang der 90er-Jahre hat in der amerikanischen Politik zu einem verbitterten Klima geführt, in dem jeder Meinungsunterschied zum Kulturkampf stilisiert und zur Fortsetzung der alten Achtundsechziger-Schlachten aufgebläht wurde. In diesem hasserfüllten Klima gelten Kompromisse als Verrat, weil sie die eigene, in langen Kämpfen gehärtete Identität infrage stellen. Politische Gegner werden zu Feinden. Politik ist nicht das vernünftige Austarieren von Interessenunterschieden, sondern Häuserkampf, der mit aller Schärfe, mit Lügen, Verleumdungen und Charaktermorden, geführt wird.Die Amerikaner haben diese Art von Politik schon lange satt. Es ist daher kein Wunder, dass sie jetzt für die Kandidaten stimmen, die eine Alternative bieten - mehr Zivilität, mehr Überparteilichkeit. Und es ist kein Zufall, dass Obama und McCain vor allem bei gemäßigten Parteimitgliedern und unabhängigen Wählern ankommen, weniger bei den ideologischen Hardlinern.
Sowohl McCain als auch Obama können mit den Kulturkämpfen der späten 60er-Jahre wenig anfangen. McCain ist alt genug, um noch von den Tugenden der "Greatest Generation" geprägt zu sein, der Generation, die den Zweiten Weltkrieg geführt und gewonnen hat: Pflichterfüllung, Ehre, Patriotismus, Dienst am Vaterland. Nach Vietnam, das Trauma der Babyboomer, wurde McCain 1967 nicht als halbwüchsiger widerwilliger Zwangsrekrut geschickt. Er war 31 Jahre alt, Absolvent der Marineakademie und Offizier.
Obama wiederum ist zu jung, um von den Kämpfen der Achtundsechziger geformt zu sein. Als er politisch aktiv wurde, waren die großen Schlachten längst geschlagen. Der frühere Sozialarbeiter aus Chicago hat völlig andere Lebensstationen hinter sich als McCain, ihn treiben nicht die individualistischen Tugenden des alten Senators an, sondern gemeinschaftliche Ideale. "Unity", die Einigkeit der Amerikaner - anstatt der Spaltung des Landes in Blau (demokratisch) und Rot (republikanisch) -, war das Schlagwort, mit dem der Lokalpolitiker Obama 2004 auf die nationale politische Bühne stürmte.
McCain glaubt an die Stärke des Einzelnen, Obama an die Stärke der Gemeinschaft. Von ihren innerparteilichen Rivalen unterscheiden sie sich aber dadurch, dass sie sich trotzdem an einem Punkt treffen. Beide würden unterschreiben, was John F. Kennedy 1961 in seiner Antrittsrede als Präsident gesagt hat: Frag nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern was du für dein Land tun kannst.
Dieses Credo haben die Babyboomer, Demokraten wie Republikaner, missachtet. Für sie ging es in der Politik allzu oft darum, etwas für sich selbst und die Partei zu tun - und nicht für das Land. McCain und Obama verkörpern den Wechsel, nach dem sich die Amerikaner sehnen - wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise.
Aus der FTD vom 13.02.2008
© 2008 Financial Times Deutschland
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