Im Clinch mit den vier Wänden

von Wolfgang Richter (Berlin)

Häuser dürfen gerne schlau sein - nur anmerken sollte man es ihnen nicht. In Feldversuchen lernen Forscher, dass sich viele Menschen schwertun mit den Techniken, die sie für das Wohnen der Zukunft entwickeln.

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Ein frostiger Wind heult, leise knistert ein Lagerfeuer, und ein Bach plätschert im Hintergrund. Klingt nach Camping, könnte in Zukunft aber auch bedeuten: Die Kühlschranktür steht offen, eine Herdplatte ist noch an, und wir haben mal wieder vergessen, unser Inkontinenz-Medikament zu nehmen. "Gerade die letzte Information würde man ja nicht gerne per Lautsprecherdurchsage bekommen, wenn gerade Besuch da ist", sagt Wilko Heuten vom Oldenburger Institut für Informatik (Offis). Er arbeitet auf dem Forschungsgebiet des "Ambient Assisted Living" (AAL). Auf Deutsch heißt das so viel wie "von der Umgebung unterstütztes Leben" und umfasst Technologien, die Menschen den Alltag erleichtern sollen.

Von früher hoch gehandelten Zukunftsszenarien wie dem sprechenden Haus haben sich viele Forscher inzwischen verabschiedet. Nicht nur wegen möglicher Indiskretionen: "Viele ältere Menschen empfinden es als sehr merkwürdig, wenn Geräte mit ihnen reden", sagt Heuten. "Denn oft haben sie eine latente Angst davor, geistig verwirrt zu werden und Selbstgespräche zu führen." Die Wissenschaftler von Offis haben deshalb ein Raumklangsystem entwickelt, das den Bewohner mit dezenten Geräuschen dorthin lenkt, wo seine Aufmerksamkeit gefordert ist.

Lange hatte sich die AAL-Szene vor allem damit beschäftigt, was technisch machbar ist. Feldtests zeigen jetzt, was tatsächlich passiert, wenn Technik auf Mensch trifft. Im Pilotprojekt "Smarter Wohnen NRW" sind es 60 Familien in der Kleinstadt Hattingen, deren Wohnungen mit AAL-Technik ausgestattet wurden: Über einen kleinen Bildschirm im Flur können sie die Heizung regeln, die Beleuchtung einstellen und morgens noch schnell kontrollieren, ob der Herd aus und das Fenster zu ist. Brandmelder und Einbruchssensoren informieren im Notfall selbstständig Rettungsdienst oder Polizei. Den Komfortzuwachs hätten die Mieter sehr positiv bewertet, sagt Wolfgang Deiters vom Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik, das die Ausstattung entwickelt hat. "Die meisten Mieter hätten sich aber gewünscht, dass die technischen Geräte noch mehr versteckt worden wären." Auch habe sich kaum jemand in die Technik einarbeiten mögen. So hätten viele Schwierigkeiten mit dem Steuergerät gehabt, das mit einem Druck-Drehknopf bedient wird, wie er auch an vielen Navigationsgeräten zu finden ist.

Fernseher wird zum schwarzen Brett

Sofort angenommen worden sei dagegen der "Smart Living Manager": Eine Settop-Box, die den Fernseher zum schwarzen Brett macht. Die Mieter können sich austauschen, Lebensmittel und Medikamente bei Läden in der Nachbarschaft bestellen oder Friseurtermine buchen - alles über die vertraute Fernbedienung.

Nach dem Versuch in Hattingen soll das System nun auch in Dortmund und in Henningsdorf bei Berlin erprobt werden. Während hier nur handelsübliche Geräte zum Einsatz kommen, testen Forscher in Laborwohnungen, sogenannten Living Labs, neue Techniken, die möglichst unbemerkt arbeiten sollen, um die Akzeptanz bei den künftigen Benutzern zu erhöhen. Hauptzielgruppe sind ältere Menschen, die möglichst lange in der eigenen Wohnung bleiben möchten. "Der Bedarf für solch eine Unterstützung zu Hause wird dramatisch steigen", sagt Vjenka Garms-Homolova, Professorin für Pflegemanagement an der Alice-Salomon-Fachhochschule in Berlin. Im Jahr 2050 werden nach Schätzungen zehn Millionen Menschen über 80 Jahre in Deutschland leben - mehr als vier Millionen davon sind pflegebedürftig. "Zudem wird der Schwarzmarkt für Hilfskräfte im Haushalt bei uns stark einbrechen, wenn sich die wirtschaftliche Situation in Osteuropa verbessert hat."

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Aus der FTD vom 12.02.2008
© 2008 Financial Times Deutschland

 

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