FTD Wir hätten wahnsinnig gern auch ein Graffiti auf der Mauer. Muss man sich da beeilen, oder gibt es noch genug Platz?
Faris Arouri Wir haben bisher 100 Nachrichten gesprayt und noch 50 weitere Aufträge. Aber alles in allem bietet die Mauer ungefähr 700 Kilometer mal acht Meter Fläche. Ich würde sagen, es gibt noch locker Platz für alle.
FTD Was muss man machen, damit die Nachricht auf die Mauer kommt?
Faris Arouri Das funktioniert eigentlich ähnlich wie das Versenden einer E-Mail. Man geht einfach auf unsere Website und tippt dort ein, was man gesprayt haben will. Natürlich testen wir, ob mit der Bankverbindung alles in Ordnung ist, und wir brauchen die E-Mail-Adresse, weil wir ja immer drei Fotos an den Kunden schicken: Ein Close-up,ein Bild vom Sprayer bei der Arbeit und eines aus einer weiteren Perspektive, damit man auch einen Eindruck von der Mauer bekommt.
FTD Und der Inhalt des Textes ist egal?
Faris Arouri Wir sprühen keine Beleidigungen und auch kein rassistisches Material. Und wenn der Text nicht auf Englisch ist, wollen wir eine Übersetzung sehen.
FTD Woher kommen Ihre Kunden?
Faris Arouri Bisher bekommen wir hauptsächlich Nachrichten aus Westeuropa, aus England oder Frankreich, aber auch ein paar aus Brasilien. Ein Graffiti gibt es auch auf Gälisch.
FTD Was wollen die Leute der Welt denn mitteilen?
Faris Arouri Die Themen variieren: Heiratsanträge, Party-Einladungen. An der Mauer steht auch ein Rezept für eine wirklich gute Falafel, und ein Mädchen fragt, wohin ihr Freund durchgebrannt ist. Außerdem gibt es politische Statements oder Friedensbotschaften. An der Mauer steht zum Beispiel "Ich bin ein Palästinenser" auf Deutsch. Manche Graffitis bringen uns auch zum Lachen: Einer ist dabei, der sein Mädchen auf einen Drink einladen möchte. Er versucht es jetzt schon zum siebten Mal.
FTD Wer Graffitis auf Gebäude sprüht, kann in Deutschland bestraft werden. Gibt es so etwas in Palästina nicht?
Faris Arouri Sprayen ist auch in Israel und Palästina illegal, aber wir profitieren von einer Lücke in der Rechtsprechung. Im Westjordanland gibt es keine israelische Polizei, bloß die Armee, aber das gehört einfach nicht in deren Bereich - und die palästinensische Polizei erkennt die Mauer ja nicht mal an. Wir sprayen also an eine Mauer, die laut palästinensischer Rechtsprechung nicht existiert. Es ist paradox.
FTD Trotzdem ist es bestimmt nicht ungefährlich, was Sie tun.
Faris Arouri Wir versuchen eben, so gut es geht aufzufallen. Wir lachen und machen unsere Späße. Jeder sieht, dass wir keinen Schaden anrichten wollen. Und Gefahr, dass etwas Unvorhergesehenes passiert, gibt es hier überall. Sie ist Teil unseres Lebens auf den Straßen von Ramallah.
FTD Und wer bekommt die 30 Euro, die Sie pro Nachricht berechnen?
Faris Arouri Mit den Einnahmen finanzieren wir kleinere Sozialprojekte. Da gibt es zum Beispiel einen Park in der Stadt Bir Zait, den wir mitfinanzieren wollen. Ein anderes Projekt ist ein Basketballplatz für Jugendliche. Wir können das Geld mit gutem Gewissen verteilen: Die Organisationen, mit denen wir zusammenarbeiten, sind in Palästina angemeldet und werden auch von den israelischen Behörden anerkannt.
FTD Was ist es denn nun genau, was Sie da machen? Kunst oder Politik?
Faris Arouri Ich würde es nicht als Kunst im klassischen Sinne bezeichnen - es sind ja einfache Nachrichten, keine komplexen Motive. Über die Farbe lassen wir noch mit uns diskutieren, aber wir fangen nicht an zu zeichnen. Ich würde es als eine alternative, künstlerische Form des Widerstands bezeichnen.
FTD Wären Sie denn nicht enttäuscht, wenn die Mauer irgendwann mal abgerissen werden sollte?
Faris Arouri Auf keinen Fall. Wie Millionen Palästinenser hoffen auch wir, dass die Mauer so früh wie möglich verschwindet. Die politische Botschaft senden wir übrigens mit den Fotos: Einige Worte über die Geschichte der Mauer und die Situation der Palästinenser.
FTD.de, 23.02.2008
© 2008 Financial Times Deutschland, © Illustration: AP
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