Die Vorbereitung auf die Globalisierung beginnt früh, und sie beginnt in einer sehr unscheinbaren Wohnsiedlung in Hamburg-Rahlstedt. Hier ist die Deutschlandzentrale von Helen Doron Early English, dem internationalen Marktführer für Frühenglischkurse. Nachmittags rollt die Kundschaft im Buggy an und setzt sich zu Sarah Poskitt in einen bunt bemalten Raum. Poskitt hält eine Karte mit einer Katze hoch und ruft: "What is this - is it a dog?" Sieben Kinder, drei bis fünf Jahre alt, brüllen "No" und rennen zur rechten Wand, zur linken Seite hieße "Yes". Dann wird noch gemalt, gesungen und gepuzzelt. Jede Woche eine Stunde lang für 40 Euro im Monat.
Das von der englischen Linguistin Helen Doron vor über 20 Jahren entwickelte Konzept ist erfolgreich: Über 400 Lernzentren gibt es in 23 Ländern; schätzungsweise 700.000 Kinder lernen nach dem "Muttersprachenprinzip" durch "wiederholtes Hören und positive Bestärkung". Bundesweit sind es 23.000 Säuglinge, Kindergartenkinder und Grundschüler, sagt Deutschlandkoordinator Richard Powell. "Deutschland ist einer der am schnellsten wachsenden Märkte weltweit." Im vergangenen Jahr eröffnete hierzulande alle zwei Wochen ein neues Lernzentrum.
"Der Druck auf die Eltern wächst, nur ja keine Chancen auszulassen", sagt der Präsident des Didacta-Verbands für die Bildungswirtschaft, der Bozener Frühpädagoge Wassilios Fthenakis. "Deshalb kaufen sie schon für die Kleinsten Bildung zu." Mittlerweile profitiert eine ganze Reihe von Firmen davon, dass staatliche Einrichtungen die frühkindliche Bildung lange vernachlässigt haben. "Wir können die Nachfrage kaum noch befriedigen", sagt Sonja Stuchtey, Geschäftsführerin von Science Lab. Das Unternehmen bietet an 70 Standorten naturwissenschaftliche Experimentierstunden für Kinder an. "Wir finden nicht genug qualifizierte Lehrer", sagt die ehemalige Unternehmensberaterin. Deshalb verkauft sie jetzt Forscherkisten für je 430 Euro an Kindergärten und trainiert die Erzieherinnen gleich mit.
"Private Frühförderung ist ein echter Wachstumsmarkt", sagt Reinhard Koslitz, Geschäftsführer des Verbands der Bildungswirtschaft. Hier tummeln sich vor allem Franchisegeber wie Starchild English, Happy Young Learning oder Lollipops, die mit mehr oder weniger selbst gestrickten Angeboten um Kundschaft werben. Happy Young Learning lockt Franchisenehmer mit Renditen von über 30 Prozent. Ein guter Partner könne ein Monatseinkommen von 8000 Euro erzielen, so Gründerin Rosa-Maria Wagner. Auch Branchengrößen wie die Sprachschulkette Berlitz haben die Kleinsten als Klientel entdeckt. Für Vierjährige gibt es das Sprachprogramm "Sesame English" - einmal die Woche Vokabeln lernen mit Ernie und Bert ab 26 Euro monatlich.
Henning Scheich, Lernforscher am Leibniz-Institut für Neurobiologie in Magdeburg, kritisiert das wöchentlich einmalige Eintrichtern von Sprache als "methodisch völlig absurd". Auch der Hirnforscher Gerald Hüther warnt vor einer "Kurs-Hysterie": "Es wird ohne Hirn und Verstand gefördert, auch Fähigkeiten, die nur den Vorstellungen ehrgeiziger Eltern entsprechen."
Manchen ist selbst das spielerische Sprachenlernen zu wenig. "Eltern suchen verstärkt nach strukturierten Programmen", sagt Angelika Mensler-Bielka, die seit einem Jahr in Berlin den ersten deutschen Ableger des US-Unternehmens Fastrackids betreibt, eine Art private Vorschule. Hier werden schon Vierjährige fit gemacht für eine globalisierte Welt: Das zweijährige Lernprogramm für drei- bis sechsjährige Kinder soll, so Mensler-Bielka, "ein Leben lang für Vorsprung sorgen". Auf dem Lehrplan stehen Ökonomie, Mathematik, Literatur und sogar "Lebensstrategien".
Gelernt wird mit Beamer und einer digitalen Tafel. Die Kinder laufen nach vorn, wenn sie etwas zeigen und sagen wollen. Von einem kleinen Podest herunter lernen sie, sich vor einer Gruppe zu präsentieren. Das wird auf Video aufgezeichnet, später analysiert und erinnert an Management-Trainings. Ähnlich effektiv soll es auch sein. "Betriebliche Führungsfähigkeiten" werden dabei vermittelt, sagt Mensler-Bielka. Eine Einheit kostet 320 Euro, das komplette Lernprogramm 2880 Euro.
Fastrackids ist in über 40 Ländern vertreten. Weitere Standorte sollen folgen. Derzeit ist Mensler-Bielka mit mehreren Interessenten im Gespräch, auch in der Schweiz. Es sei allerdings nicht einfach, geeignete Partner zu finden, sagt die gelernte Heilpraktikerin. Im Bereich der Frühförderung würden sich viele Pädagogen tummeln, "denen die unternehmerische Denke fehlt". 150.000 Euro hat sie mit ihrer Partnerin Astrid Kurys in das Unternehmen investiert, rund 20.000 Euro gingen allein für die Lizenz ans amerikanische Mutterunternehmen. Die Materialien mussten zudem übersetzt und angepasst werden.
Wie wichtig der richtige Standort ist, weiß Ulrich Bonnet. Der Leiter des Helen Doron Lernzentrums in Bergisch-Gladbach, der an der European Business School studiert hat, suchte sich vor der Geschäftsgründung bei der Gesellschaft für Konsumforschung die Städte mit der höchsten Kaufkraft raus. Bergisch-Gladbach stand weit oben auf der Liste. Also zog er mit seiner Familie dorthin. Die Investition lohnt sich: Früh-Englisch, sagt Bonnet, sei eine "geniale Geschäftsidee". Man könnte auch eine Rückenschule anbieten, schließlich würden sich Kinder heutzutage zu wenig bewegen. Auch Früh-Mathematik und Yoga hält er für marktfähig.
FTD.de, 21.02.2008
© 2008 Financial Times Deutschland, © Illustration: dpa
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