Süddeutsche Zeitung: Nein, es machen nicht alle. Aber es machen viel zu viele. In etlichen Golfclubs und an noch mehr Stammtischen führen die das Wort, die sich damit brüsten, wie sie das Finanzamt, die Arbeitsagentur oder die Krankenkasse austricksen. Der Staat wird von viel zu vielen grinsend, pardon, beschissen - von Hartz-IV-Empfängern, von Angestellten, von Millionären. Die im Betrug vereinten Schlauberger jeden Besitzstandes interessieren sich mehr dafür, wie man Gesetze umgeht, als dass sie sich dafür interessierten, warum und zu wessen Wohl diese Gesetze erlassen worden sind. Für die res publica, den Staat als Angelegenheit aller, haben zu viele nur noch Missachtung bis hin zur Verachtung übrig.
Sächsische Zeitung (Dresden): Doch ob illegal oder bloß an der Grenze zur Legalität - Steuersparmodelle und Kapitalflucht ins Ausland verkleinern die deutschen Steuereinnahmen. Also gibt es weniger Geld, um Straßen und Schulen zu bauen - und um Gefängnisse zu modernisieren, was einigen der Steuerflüchtlinge am Ende auch nicht recht ist. Jeder Steuerbetrüger kennt diese Zusammenhänge ungefähr - glaubt aber, sein Nachbar mache es auch nicht anders. Doch zum Glück gibt es positive Vorbilder, auch in der Wirtschaft. Sie sollten häufiger von sich reden machen: die Firmenchefs im Ethikverband, im Lions Club oder in den christlichen Unternehmerverbänden. Sie können beweisen: Es ist selbstverständlich, Steuern zu zahlen.
Stuttgarter Nachrichten: Über 30 Mrd. Euro entgehen dem Fiskus jährlich, schätzt Dieter Ondracek, Vorsitzender der Deutschen Steuergewerkschaft. Das aber wäre eine Summe, die nicht nur rücksichtslose Millionäre in Erklärungszwang bringt, sondern ein ganzes Völkchen von Steuerzahlern, das auf niedrigstem Niveau, wohl wahr die Einkommensteuererklärung nicht ohne die Versuchung zum vermeintlich lässlichen Kleinbetrug ausfüllt. Empören wir uns zu Recht über viel zu viele wie Zumwinkel. Aber entlassen wir die Politik nicht aus ihrer Pflicht, endlich für ein einfacheres Steuersystem zu sorgen, in dem die Ehrlichen nicht die Dummen sind.
Aachener Nachrichten: Steuern zahlen ist etwas für Dumme. Das ist nicht der zynische Schluss aus dem mutmaßlich größten deutschen Steuerskandal aller Zeiten. Es ist vielmehr die Lebenseinstellung ganzer Nachkriegsgenerationen, die es zum Sport erklärt haben, dem Fiskus ihr hart verdientes Geld nicht kampflos zu überlassen. Der Skandal ist deshalb nur die logische Konsequenz eines Systems mit "Tausend ganz legalen Steuertricks", die jeder Interessierte im Buchhandel finden kann eines Paragraphendschungels mit tausend garantiert illegalen Steuertricks und ebenso vielen Modellen, die selbst Experten kaum der einen oder anderen Kategorie mehr zuordnen können.
Saarbrücker Zeitung: Die Dimension der mit dem Fall Zumwinkel verknüpften Steuerfahndung ist so gewaltig, dass manche Medien schon das Wort von der "Staatskrise" verbreiten. Eine solche Interpretation wäre indes unzutreffend. Nicht der Staat ist in der Krise, seine Behörden funktionieren ja. Es handelt sich eher um eine gesellschaftliche Krise, um die schleichende Abkehr von allgemeingültigen Sitten und Normen, die einem Gemeinwesen erst innere Stabilität verleihen. Man glaubt sofort, was da über die mutmaßliche Steuerhinterziehung historischen Ausmaßes berichtet wird. Unsere sorgsam gepflegten Vorurteile über "die Reichen" lassen keine Zweifel zu. Tatsächlich aber ist der Werbespruch "Ich bin ja nicht blöd" keineswegs ein Privileg der Besserverdiener.
Nürnberger Nachrichten: Sehr viele Unternehmer in diesem Land handeln anders, schaffen gut bezahlte Stellen, zahlen Steuern und stützen oft darüber hinaus das Gemeinwesen durch stilles Engagement. Es wäre höchste Zeit für einen Aufschrei dieser Gruppe echter Vorbilder: Ihre Leistung wird diskreditiert durch die Exzesse eines Kapitalismus, der die soziale Marktwirtschaft pervertiert und auch zerstört. Die Großrazzia samt ihrer möglichen Folgen sollte die echten Leistungsträger aufrütteln, sich offensiver zu den Grundregeln der Gemeinschaft zu bekennen. Und für die Abzocker ist sie womöglich ein Warnschuss, der zeigt: Der Staat kann es sich buchstäblich nicht leisten, ausgenommen zu werden.
FTD.de, 16.02.2008
© 2008 Financial Times Deutschland
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