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Kolumne

Christian Schütte: Der Unehrliche bleibt der Dumme

von Christian Schütte

Es ist scheinheilig, aus dem spektakulären Fall Zumwinkel/Liechtenstein eine Eliten- und Systemdebatte zu basteln. Da ist viel gedankenlose Aufregung und vor allem Scheinheiligkeit dabei.

ZUM THEMA

Im "Fall Zumwinkel", der offenbar nur ein besonders prominenter Mosaikstein in einem viel größeren "Fall Steuerhinterzieher in Liechtenstein" ist, sind die Fakten bisher nur schemenhaft bekannt. Umso schärfer wird aber bereits mit Begriffen Politik gemacht.

Ein Sprecher von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück orakelt finster, es werde inzwischen gegen "sehr viele Leistungsträger" ermittelt; parallel sieht SPD-Generalsekretär Hubertus Heil eine Klasse der "neuen Asozialen" am Werk. Pünktlich zur Wahl am nächsten Sonntag in Hamburg wird seine Partei am Montag eine Erklärung vorlegen, die pauschal behauptet: "Bei vielen Managern ist eine Praxis eingerissen, die man nur unanständig nennen kann."

So bastelt man sich aus einem spektakulären Kriminalfall eine Eliten- und Systemdebatte. Da ist viel gedankenlose Aufregung und vor allem Scheinheiligkeit dabei.

Freifahrscheine gibt es nicht

Völlig klar und unbestritten ist, dass Gesetzestreue und Ehrbarkeit Mindestanforderungen an jeden sind, der ein Spitzenamt in der deutschen Wirtschaft oder Politik ausüben soll. Wer dagegen verstößt, disqualifiziert sich automatisch selbst. Der schnelle Rücktritt von Klaus Zumwinkel war insofern nicht bloß konsequent. Er war unausweichlich. Den Rest klären jetzt die Mühlen der Justiz.

Dabei geht es dann allerdings um eine Frage der individuellen Verantwortung. Nicht um das angebliche Kollektivproblem einer ganzen "unanständigen Kaste" von "Managern" und "Prominenten", ja von "Leistungsträgern" schlechthin - für das es keinerlei belastbare Daten jenseits des Stammtisches und der Boulevard-Schlagzeile gibt.

Erst recht geht es nicht um eine Frage der Wirtschaftsordnung: Es ist eben gerade nicht so, dass der Kapitalismus denen an der Spitze einen ganz speziellen Freifahrschein erteilt und sie über das Gesetz stellt. Und es ist erst recht nicht so, dass diese Wirtschaftsordnung systematisch dem skrupellosesten Gesetzesbrecher die besten Karrierechancen verschafft. Falls Klaus Zumwinkel jemals gedacht haben sollte, dass der Ehrliche in diesem Land immer der Dumme ist, hat er jetzt dazugelernt.

Nur absurd ist es deshalb, wenn sein Fall nun sogar zum Anlass genommen wird, vor "amerikanischem Egoismus" und "Turbokapitalismus" zu warnen, wie das etwa der Aktionärsschützer Klaus Nieding von der Deutschen Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz getan hat. Falls daran Zweifel bestehen sollten: Steuerhinterzieher werden auch in den USA hart bestraft; dort finden sich sogar immer wieder allzu dreiste Manager wegen Anlegerbetrugs hinter Gittern. Was in Deutschland eher die exotische Ausnahme ist.

Wer sich oder anderen einreden will, die Überlegenheit "unserer" sozialen Marktwirtschaft beruhe darauf - beziehungsweise hänge davon ab -, dass bei uns die moralisch vorzüglicheren Menschen an der Spitze stehen, der hat etwas Grundlegendes missverstanden. Und programmiert damit, unabsichtlich oder auch absichtlich, immer neue Enttäuschungen.

Zweifellos verdient es hohe Anerkennung, wenn sich Menschen für andere und für das Gemeinwohl einsetzen, ganz gleich, in welcher Position. Die Stärke der marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung beruht aber gerade darauf, dass sie auch dann noch gute Ergebnisse liefert, wenn einmal nicht Mutter Teresa oder Albert Schweitzer an der Spitze stehen.

Dass das System dabei nur funktionieren kann, wenn Gesetze respektiert und Rechtsbrüche bestraft werden, versteht sich von selbst.

Die Moral der Eliten in der sozialen Marktwirtschaft sollte nur insofern ein bisschen über dem statistischen Durchschnitt der Gesellschaft liegen, als bestimmte Verfehlungen und Verhaltensweisen mit dem Aufstieg in diesen Kreis (und dem Verbleiben dort) schlicht nicht vereinbar sind. Einschlägig Vorbestrafte werden sozusagen systematisch herausgefiltert.

Darüber hinaus gibt es aber keinen Grund, der Elite moralischen Vorbildstatus zuzuschreiben oder ihn zu erwarten. Und schon gar nicht sollte der Eindruck erweckt werden, die verliehene Macht und die gezahlten sehr hohen Einkommen hätten ihren Grund in einer besonderen moralischen Vortrefflichkeit der Elite.

Viele haben Klaus Zumwinkel vermutlich bislang für einen besonders integeren Mann gehalten und sind nun zu Recht menschlich tief enttäuscht. Hoch dotierter Post-Chef wurde er aber nicht, weil seine Arbeitgeber ihn für einen besseren Menschen hielten. Er wurde Post-Chef, weil er über besondere Managementfähigkeiten verfügt. Und weil er zugleich den notwendigen Mindestanstand für diese Position mitzubringen schien. Letzteres erweist sich nun offenbar als Fehleinschätzung.

Glücklich ohne Helden

Der Befund, dass die Menschen in den obersten Führungspositionen hierzulande keine deutlich edlere Moral haben als die Normalbürger, ist letztlich weder besonders überraschend - Skandale pflastern die Geschichte nicht nur dieser Republik -, noch ist er besonders dramatisch. Glücklicherweise ist dieses Land so organisiert, dass es in aller Regel nicht auf Heldengestalten angewiesen ist.

Zur reinen Heuchelei wird die begonnene Moral- und Systemdebatte, wenn sie nur dazu dient, zwischen den Zeilen einen Freifahrschein für jedermann zu konstruieren. Getreu dem Motto: Wenn die da oben "alle" so handeln, muss sich der "kleine Mann" ja auch keinen Zwang mehr antun.

Der kleine, ganz alltägliche Versicherungs- oder Sozialbetrug wird nicht dadurch ehrenwerter und moralischer, dass es anderswo noch größere Betrügereien gibt. Und übrigens auch nicht dadurch, dass der Staat selbst mit seinem Geld manchmal fragwürdig umgeht - so wie das Linke-Fraktionschef Gregor Gysi jüngst in der Bundestagsdebatte über die IKB-Rettung durch den Bund suggerierte. Motto: Wer die Steuermilliarden so blind verplempert, der hat auch kein Recht mehr, beim Hartz-IV-Empfänger auf Korrektheit zu pochen. Mit derselben Logik hat sich vermutlich auch mancher Steuerhinterzieher seinen Liechtenstein-Coup gegen den Fiskus ein bisschen schöngeredet.

Christian Schütte ist FTD-Kommentarchef. Er schreibt jeden zweiten Montag an dieser Stelle.

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Aus der FTD vom 18.02.2008
© 2008 Financial Times Deutschland

 

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