Es wäre kein Einzelfall und trotzdem überraschend: Postchef Klaus Zumwinkel soll jahrelang systematisch Steuern hinterzogen haben. Wieso aber geht jemand mit einem Jahreseinkommen von rund 3 Mio. Euro das Risiko ein, wegen Steuerhinterziehung seine Karriere zu ruinieren, seinen Ruf zu zerstören und möglicherweise sogar im Gefängnis zu landen? Weil er genauso wie seine Mitbürger tickt, glaubt der Wirtschaftspsychologe Erich Witte. "Die Moral in der Bevölkerung korreliert nicht wirklich mit dem Einkommen".
Laut Witte teilt Zumwinkel vermutlich drei weitverbreitete Einstellungen gegenüber Steuern. Sie werden erstens als lästig und zweitens als leicht vermeidbar empfunden. Steuerspartipps gibt es in jedem Buchladen, Banken werben offen mit Steuersparmodellen. Vieles spielt sich in rechtlichen Grauzonen ab, weshalb sich Steuersünder oft nicht als solche empfinden. Ähnlich, vermutet Witte, sei es dem Postchef mit dem Konto in Liechtenstein gegangen, auf das er Summen im zweistelligen Millionenbereich verschoben haben soll. "Ich glaube dass Zumwinkel versucht hat einen Weg zu finden, der nicht völlig illegitim ist."
Entscheidend ist aber möglicherweise der dritte Punkt: Die meisten Steuerzahler empfinden die ihnen abverlangten Steuern als ungerecht. Nicht ohne Grund: In einem aktuellen Forschungsbericht kommen Witte und seine Kollegin Christina Mölders zu dem Schluss, Ausnahmeregelungen bei der Einkommensteuer würden überwiegend oberflächlich oder gar nicht begründet. In 71 ausgewerteten Bundestagsentscheidungen zwischen 1953 und 2004 seien für solche Regelungen nur in 30 Prozent der Fälle Gerechtigkeitsprinzipien bemüht worden. Viele Regelungen würden schlicht die "verwaltungsmäßig einfachste Lösung darstellen, die öffentlichen Kassen füllen oder der Systematik des Gesetzes dienen." Wittes Schlussfolgerung: "Der Steuergesetzgebung fehlt die Moral". Dieser Eindruck könne gerade bei Spitzenverdienern wie Zumwinkel entstehen, der eine "Reichensteuer" von 45 Prozent zahlen muss.
Sollten sich die Vorwürfe gegen Zumwinkel bestätigen, glaubt Witte nicht, dass sein Beispiel allzu abschreckend wirken würde. Schließlich habe es schon viele prominente Fällen wie die des früheren Wirtschaftsministers Otto Graf Lambsdorff (FDP) oder des Ex-Regierungssprechers Peter Bönisch (CDU) gegeben. Auch die Steueramnestie für Schwarzgeldsünder sei wenig erfolgreich gewesen. Die Betroffenen hätten überwiegend nicht einfach die Gelder aus dem Ausland zurückgeführt, sagt Witte. "Die haben Yachten gekauft."
Die Gefahr entdeckt zu werden, schätzten Steuerzahler zurecht als gering ein, sagt Witte. Bessern könnte sich die Lage deshalb nur, wenn sich das Image von Steuern verändere. Sie sollten nicht als "Diebstahl des Staates, sondern wohltätige Spenden" gesehen werden. Der Staat müsse häufiger bewerben, was er mit Steuern finanziert hat - so wie in den gelegentlichen Anzeigenkampagnen der Bundesregierung. Zudem lohne ein Blick ins Ausland: In der Schweiz werden Steuern zum Teil projektbezogen erhoben. Wenn dort etwa eine neue Brücke finanziert werden soll, müssen die Bürger zunächst zustimmen, bevor ihnen der Staat in die Taschen greift.
FTD.de, 14.02.2008
© 2008 Financial Times Deutschland
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