FTD-SERIE Die Steueraffäre

Klaus Zumwinkel ist laut Staatsanwaltschaft nur einer von mehreren Hundert Verdächtigen. Ermittler sprechen von einem "Steuerskandal von historischem Ausmaß". Die FTD-Serie hält Sie auf dem Laufenden.


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» Frühstück mit dem Fahnder «

von Claus Hecking und Jens Tartler

Steuerfahnder ermitteln jedes Jahr in Tausenden Fällen. Die Durchsuchungen sind gründlich und robust. Da wird dann auch mal eine Matratze aufgeschlitzt.

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"Das war der Wendepunkt zum Schlechten", sagt Bärbel Wille über den Junimorgen, der ihr Leben veränderte. Sie und Ehemann Walter hatten kaum ihre Bäckerei in Hannover aufgeschlossen, da stand die Steuerfahndung vorm Geschäft. 18 Ermittler filzten zeitgleich fünf Filialen und die Privatwohnung des Paares. Die Vorwürfe: Ungereimtheiten in der Kasse, Steuerhinterziehung in Höhe von 280.000 DM. Die meisten Steuerrazzien - so auch im Fall Zumwinkel - starten im Morgengrauen. "Zwischen 6 und 7 Uhr ist Standard", sagt der frühere Ermittler und jetzige Steuerberater Helge Wollny. Der Beschuldigte sei in der Regel noch zu Hause, der Überraschungseffekt am größten - "und man hat den ganzen Tag lang Zeit zum Suchen".

Klingeln die Fahnder einmal an der Haustür, werden sie fast immer fündig. "Denn den meisten Durchsuchungen geht tagelange professionelle Vorarbeit voraus", sagt Rudolf Schwenger, langjähriger Steuerfahnder in Frankfurt. Am Beginn der Ermittlungen steht oft ein Tipp aus dem Umfeld des mutmaßlichen Steuersünders. Ist der Fall sehr groß oder sind Prominente oder unter Immunität stehende Abgeordnete in ihn verwickelt, wird die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Ansonsten übernimmt die Strafsachenstelle des Finanzamts.

Der Einsatzleiter besorgt sich einen Durchsuchungsbeschluss und stellt ein Team zusammen. Für die Razzia eines Einfamilienhauses rechnet man vier Fahnder: Einer führt das Gespräch mit dem Verdächtigen, einer steht als Zeuge dabei, zwei durchsuchen das Haus.

Besonders kritisch sind die ersten Minuten. "Von der Toilette haben die mich geholt", empört sich Walter Wille, "und gleich eine Leibesvisitation gemacht, um mich unter psychologischen Druck zu setzen."

Denn manche Beschuldigten gestehen an Ort und Stelle. Andere "reagieren aggressiv, teilnahmslos oder brechen in Weinkrämpfe aus" , erzählt Wollny. "Es ist jede Gefühlsregung dabei - außer Freude." Vermögende Beschuldigte riefen meist sofort ihren Anwalt an, berichtet Dieter Ondracek, Vorsitzender der Deutschen Steuergewerkschaft und selbst ehemaliger Ermittler.

Das Arbeitszimmer ist nur der Anfang

Die Fahnder gehen oft zuerst ins Arbeitszimmer, nehmen Aktenordner und Computer mit, durchsuchen den Safe oder Tresor. Die Razzia ist damit aber noch längst nicht zu Ende: "Man muss auf alles achten: Fotos, Schlüssel, Privatbriefe, handschriftliche Aufzeichnungen", sagt Ondracek.

Ab und zu wird auch schon mal eine Matratze aufgeschlitzt. "Einmal hatten wir einen Hinweis, dass die Unterlagen unter dem Teerboden der Garage sind" , erzählt ein Fahnder. "Da haben wir den Boden aufgerissen." Überführte Steuersünder müssen alle Kosten der Razzia selbst tragen. Trotzdem sollte man den Fahndern nicht gleich sein Herz ausschütten, rät Martin Wulf, Partner der auf Steuerstrafverteidigung spezialisierten Kanzlei Streck Mack Schwedhelm. "Die Grundregeln sind: nichts zur Sache sagen, Anwalt herbeiholen und dafür sorgen, dass die Durchsuchung möglichst schnell und geräuschlos abläuft."

Den Willes hat das nichts genützt - obwohl sie unschuldig waren: Ein Softwarefehler hatte die Abweichungen in der Kasse verursacht, stellte sich Jahre später heraus. Da aber war ihre Bäckerei schon pleite. Für die jetzigen Razzien haben sie dennoch Verständnis. "Die Leute, die es jetzt trifft, bemitleide ich nicht", sagt Bärbel Wille. "Die haben ja wirklich etwas verbrochen."

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Aus der FTD vom 19.02.2008
© 2008 Financial Times Deutschland

 

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