» Reise in die Twilight-Zone «

von Nicolas Schöneich

Die deutsche Wirtschaftselite wird in einer Welt groß, die mit dem Alltag nichts zu tun hat. Nur manchmal bricht die Realität bei ihr ein - wenn der Steuerfahnder klingelt.

ZUM THEMA

Es gibt Neues zum Thema Parallelwelten: Künftig gehören nicht mehr nur Ahmed und Aishe, die schlecht Deutsch sprechen und an Allah glauben, dazu. Neu am - diesmal oberen - Rand der Gesellschaft sind Konstantin und Dorothee, die mehrsprachig aufwachsen und an nichts so sehr glauben wie an sich selbst.

Die einen hängen am Tropf des Staates, müssen öffentliche Schulen besuchen, die anderen werden kaum, dass sie der Windel entwachsen sind, mit frühkindlicher Bildung verhätschelt. Darauf folgen private Kindergärten, Schulen und Universitäten, dann ein lukrativer Managementjob. Die einen erleben den Alltag, die anderen eine Welt der unbegrenzten Möglichkeiten.

Wie solche Eliten gemacht werden, hat die 28-jährige Journalistin Julia Friedrichs in ihrem Buch "Gestatten: Elite. Auf den Spuren der Mächtigen von morgen" beschrieben. Dafür hat sie deutsche Privatschulen und -universitäten bereist, englischsprachige Wirtschaftskurse für Dreijährige besucht und mit Menschen gesprochen, die für sich selbst oder ihre Kinder eine Führungsposition reklamieren.

"Ich habe nie verstanden, warum Leute bei zwei Dönerbuden und einem Kulturverein in der Straße von Parallelwelten sprechen", sagt Friedrichs. Denn wenigstens sind die Dönerbuden allgemein zugänglich. Die wahre Parallelwelt hat sie an Bildungseinrichtungen erlebt, auf die wohlhabende Eltern ihre Kinder schicken. "Die Menschen sehen anders aus und sind auch woanders." Ohne ein stattliches Eintrittsgeld kommt dort keiner rein. Michael Hartmann, Elitenforscher an der TU Darmstadt, nennt denn auch Macht und Geld als die Kriterien, über die deutsche Eliten sich vor allem definieren.

Haben Eltern Geld, wuchern sie damit. Über ihre Kinder wollen sie ihren Status halten oder ausbauen. "Für Eltern ist Elite werden absolut erstrebenswert", sagt Friedrichs. Das führt zur Auslese. Wer keine 10.000 Euro pro Jahr erübrigen kann, kann seine Sprösslinge etwa nicht auf die European Business School (EBS) schicken. Und nur, wer 750 Euro monatlich investiert, kann dem sechsjährigen Sohn Biologieunterricht und dessen dreijährigem Bruder Wochenendseminare in Marketing bieten. Dass immer mehr Eltern ihre Kinder früh zu Höchstleistungen treiben wollen, führt Friedrichs auf die Unsicherheit der Mittelschicht zurück: "Die Leute haben Angst, dass es anders nicht klappt."

Die Bosse von morgen verlassen ihre hermetische Welt kaum. Vom Kindergarten werden sie in die internationale Grundschule, von Schloss Salem an die EBS und weiter zu McKinsey und Siemens gereicht. Bald halten sie deren Moral und Maßstäbe - oder den Mangel an beidem - für normal. "Den obersten 3,5 Prozent wird vermittelt, dass sie Regeln geben und nicht empfangen", sagt Elitenforscher Hartmann. "Die Elite macht die Regeln, die Elite bricht die Regeln wie es ihr gerade passt."

Manchmal sendet der Staat indes Signale, dass ihm auch seine nach oben enteilte Parallelwelt nicht völlig gleichgültig ist. Zuletzt schickte er Steuerfahnder.

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Aus der FTD vom 21.02.2008
© 2008 Financial Times Deutschland

 

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