Es begann mit einem Selbstversuch. Als pummeliger Student versprach Dean Karlan seinem Kommilitonen, ihm 10,000 $ zu zahlen, sollte er nicht in einer bestimmten Zeit 17 kg abgenommen haben, umgekehrt galt das Gleiche. Sollten beide versagen, würde der, der das Ziel am wenigsten verfehlte, vom anderen 5000 $ einstreichen. Die beiden Yale-Studenten verloren ihre Pfunde statt der Dollar und wandelten die ursprüngliche Wette in einen "Haltevertrag" um: 5000 $ gehen nach wie vor an den Vertragspartner, sollte der andere ein bestimmten Kilozahl überschreiten - unangekündigte Kontrollen sind jederzeit erlaubt.
Der Vertrag unter Freunden hält seit sechs Jahren. Das Konzept hat Karlan, inzwischen Wirtschaftsprofessor in Yale, nun kommerziell weiterentwickelt: Zusammen mit seinem Kollegen Ian Ayres, einem Juraprofessor, der nach der gleichen Methode zwölf kg abgenommen hat, und dem MBA-Studenten Jordan Goldberg, startete er im Januar die Webseite stickK.com. Dort kann sich jedermann selbst ein Ziel innerhalb eines bestimmten Zeitraums setzen - sei es, Gewicht zu verlieren, im Fitness-Studio zu trainieren, oder aufhören zu rauchen - und sich zu einer Strafe verpflichten, sollte er es verfehlen. Etwa 1000 Verträge wurden schon unterzeichnet, mit zusammengerechnet 50.000 $ an Strafzahlungen bei Nichteinhaltung.
Verhaltensökonom Karlan ist von der Wirksamkeit der Methode nicht nur durch persönliche Erfahrung überzeugt. Er schöpft zugleich aus dem Fundus seiner Forschungen: Die traditionelle Wirtschaftslehre geht von komplett rational handelnden Menschen aus. Warum wir uns wissentlich zu Dingen verführen lassen, die uns langfristig schaden, kann sie nicht erklären. Die Verhaltensökonomie dagegen kombiniert Psychologie mit Wirtschaftslehre und kommt zu dem Schluss, dass im menschlichen Gehirn zwei Ichs miteinander streiten. Das kurzfristig denkende "schlechte Ich" sagt: "Ich will Schokolade - jetzt". Das gute: "Ich will schlanker und gesünder sein, also Finger weg von Süßigkeiten." Das kurzfristige Vergnügen wird oft stärker gewichtet als langfristige Wünsche. Ergebnis: Wir essen Schokolade als gäbe es kein Morgen.
Der StickK-Vertrag ist also ein Instrument, um das "schlechte Ich" auszutricksen. Das "gute Ich" bekommt dafür eine mächtige Waffe an die Hand: Cash. Wer Geld aufs Spiel setzt, erhöht auch die kurzfristigen Kosten des Vergnügens. Die Balance, so die Theorie, sollte damit zugunsten des langfristigen Ziels kippen.
Wie schmerzhaft ein Einknicken werden soll, können Kunden selbst festlegen. StickK bietet ihnen eine breite Palette an Sanktionen an. Sie reichen von bloßer öffentlicher Scham - das Versagen wird auf der Webseite veröffentlicht - bis zu Geldsummen, die der Unterzeichner gleich bei Vertragsabschluss auf einem StickK-Konto hinterlegt. Erreicht er sein Ziel, wird es ihm zurück überwiesen. Versagt er, leitet StickK es entweder an eine gemeinnützige Organisation weiter oder an eine vorher ausgewählte Person.
Wer den persönlichen Anreiz zusätzlich erhöhen möchte, kann sogar im Voraus eine Empfänger-Organisation auswählen, deren Zweck er hasst - etwa amerikanische Anti-Abtreibungs- oder Waffenlobbyisten.
Wer sich auf StickK einlässt, verpflichtet sich, wöchentlich einen Bericht über seinen Fortschritt an die Firma zu schicken. Ein selbst gewählter Schiedsrichter - beispielsweise ein Freund, Verwandter oder Fitnesstrainer - bestätigt ihn. Die Firma verlässt sich allerdings, falls erwünscht, auch auf das Ehrenwort der Nutzer.
Weil das eingesetzte Geld nicht bei StickK verbleibt, haben die Seitenbetreiber kein Interesse daran, dass die Kunden ihr Ziel nicht erreichen. Geld machen wollen sie über Werbung und über Provisionen für Diätprodukte, die auf der Seite verkauft werden. Auch Unternehmen, die Interesse an gesünderen, produktiveren Mitarbeitern haben, wollen sie über maßgeschneiderte Loginportale ihre Dienste anbieten.
Immerhin stecken Unternehmen bereits Geld in Präventionsanreize wie Fitnessabonnements - ohne Kontrolle darüber zu haben, ob ihre Mitarbeiter diese dann tatsächlich nutzen. Denkbar wäre auch ein positiver Anreiz: Arbeitgeber könnten Prämien an Angestellte zahlen, die abnehmen oder aufhören zu rauchen. Eine US-Studie aus dem vergangenen Jahr zeigt, dass selbst kleine Geldbeträge beim Abnehmen helfen: Nach drei Monaten hatte eine Testgruppe, der für jedes verlorene Prozent Ursprungsgewicht 14 $ gezahlt wurde, durchschnittlich etwas über zwei Kilo verloren. Eine unbezahlte Gruppe im Schnitt weniger als ein Kilo.
Einzelne deutsche Unternehmen nutzen den Lockruf des Geldes schon lange. Die Berliner Großdruckerei Laserline zahlt seit 2001 jedem Mitarbeiter monatlich 100 Euro extra, der zum Monatsende per Unterschrift versichert, nicht geraucht zu haben. Etwa 20 von 150 Mitarbeitern haben seitdem dem Tabak abgeschworen. Und die Firma BuS Elektronik aus Sachsen gewährt seit zehn Jahren fürs Nichtrauchen zwei Tage Sonderurlaub. Statt ehemals 40 Prozent raucht jetzt nur noch etwa 5 Prozent der Belegschaft.
FTD.de, 16.02.2008
© 2008 Financial Times Deutschland
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