MVV beschwört Untergang vieler Stadtwerke herauf

von Matthias Ruch (Frankfurt)

Der Stadtwerke-Konzern MVV beschwört für die kommenden Jahre den Untergang von hunderten Konkurrenten herauf. "Vor und hinter den Kulissen ist einiges im Gange", sagt MVV-Chef Rudolf Schulten.

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"Die Stadtwerke werden künftig deutlich weniger verdienen, damit kommen viele Stadtväter unter Handlungszwang." Heute gäbe es noch 300 bis 400 bedeutende Stadtwerke, sagte Schulten am Freitag in Frankfurt. "Von denen werden in einigen Jahren vielleicht noch 50 übrig bleiben", stellte er fest. Vergleichbare Vorhersagen von Schulten aus der Vergangenheit haben sich allerdings bislang nicht erfüllt: Die Zahl der Übernahmen und Fusionen, die zum Liberalisierungsbeginn in der Energiewirtschaft ab 1998 prognostiziert worden waren, blieb weit hinter den Erwartungen zurück. Von den knapp 1000 Stadtwerken vor zehn Jahren sind noch immer rund 800 am Markt.

"Vor zehn Jahren haben die Stadtwerke die fallenden Erzeugerpreise nicht weitergegeben. Mit diesen Gewinnen konnten sie sich halten", sagte Schulten. Mit dem Anstieg der Großhandelspreise und der Senkung der Netzentgelte spitzt sich die Lage nun aber stetig zu. "Langsam macht sich unter den Stadtwerken Unruhe breit. Das große Sterben könnte noch kommen", sagte der MVV-Chef.

Von diesem Sterben will MVV, der sechstgrößte deutsche Energieversorger, profitieren. Mit Beteiligungen an verschiedenen Stadtwerken in ganz Deutschland ist der börsennotierte Mannheimer Versorger seit 1999 kräftig gewachsen. Zuletzt war MVV allerdings mit dem Versuch gescheitert, sich an den Leipziger Stadtwerken zu beteiligen. "Die Preise sind sehr hoch, die Erweiterung unserer Beteiligungen ist schwierig", räumte Schulten ein. Zugleich kündigte er an, auch für die Stadtwerke Saarbrücken ein Angebot abzugeben. Die saarländische Landeshauptstadt will bis zu 49 Prozent ihrer Anteile abgeben. Im abgelaufenen Geschäftsjahr hatte MVV 2,26 Mrd. Euro umgesetzt und knapp 200 Mio. Euro verdient.

Geschäftsgrundlage bricht weg

Die steigenden Preise in der Beschaffung entziehen vielen, vor allem kleineren Regionalversorgern, die Geschäftsgrundlage. Gewinne werden vor allem in der Erzeugung gemacht. Die Margen in Transport und Vertrieb brechen ein. Für die großen Erzeuger Eon, RWE, EnBW und Vattenfall, die gemeinsam rund 80 Prozent der deutschen Stromproduktion abdecken, wird das Endkundengeschäft damit unattraktiver.

"Das Verteilergeschäft genügt zunehmend nicht mehr den Renditeerwartungen großer Dax-Konzerne", sagte Schulten. Zugleich kannibalisieren diese Unternehmen mit ihrem bundesweiten Vertrieb ihr eigenes Regionalgeschäft." Mit ihren neuen Vertriebstöchtern E wie Einfach und Eprimo haben Eon und RWE in den vergangenen Monaten jeweils mehrere Hunderttausend Haushaltskunden gewonnen.

"In den letzten zehn Jahren haben eine Million Kunden den Versorger gewechselt", sagte Matthias Brückmann, neuer Vertriebschef von MVV. "Allein 2007 haben noch einmal 1,2 Millionen gewechselt." Branchenschätzungen zufolge sind mittlerweile bis zu zehn Prozent der Haushalte wechselbereit. Deshalb gehen nun auch Stadtwerke bundesweit auf Kundenfang. "Der Preis wird an Dominanz verlieren, da hier die Unterschiede immer geringer werden", sagte Brückmann. Bei einem Jahresgewinn von 20 Euro pro Kunde und einer Wechselprämie von 50 Euro könnten die neuen Anbieter frühestens im dritten Jahr an Neukunden verdienen.

MVV will trotzdem in den bundesweiten Kampf um Haushalte einsteigen und bis 2013 rund 300.000 Neukunden gewinnen. Mit einem Ökostromsiegel und einer Versicherung gegen technische Ausfälle wirbt der Konzern für sein neues Produkt. Ob das Konzept aufgehen wird, weiß auch Schulten nicht: "Wir haben die Möglichkeit, nach zwei Jahren die Reißleine zu ziehen."

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FTD.de, 19.01.2008
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