Siemens will "zweites BenQ" vermeiden

von Angela Maier (München)

Siemens nimmt mit einer Radikalsanierung in Kauf, dass sich die Trennung von seiner verlustreichen Netzwerksparte weiter verzögert. Aufgrund der anstehenden Verhandlungen mit den Arbeitnehmervertretern sei ein Verkauf von Siemens Enterprise Communications (SEN) im ursprünglichen Zeitplan bis Juni kaum zu bewerkstelligen.

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So hieß es am Dienstag in Finanzkreisen und bei Arbeitsrechtlern. Siemens-Finanzchef Joe Kaeser räumte vor der Presse ein, die Planung sei "natürlich aggressiv". Siemens will sich seit fast zwei Jahren von SEN trennen, dem letzten Kernbestandteil der Telekommunikationssparte, den der Konzern noch nicht verkauft hat. Das Problem hatte der seit Juli 2007 amtierende Siemens-Chef Peter Löscher von seinen Vorgängern Klaus Kleinfeld und Heinrich Von Pierer geerbt. Bislang hatte Siemens die notwendige Sanierung von SEN dem künftigen Eigner überlassen wollen.

Angesichts der schlechten Erfahrungen mit der Übertragung der Mobiltelefonsparte an den taiwanischen Konzern BenQ änderte der Konzern jetzt seine Entscheidung. "Ein zweites BenQ wird es nicht geben", sagte Finanzchef Kaeser. "Wir nehmen die Restrukturierung selbst in die Hand und unterstreichen damit unsere Verantwortung für die betroffenen Mitarbeiter." Wie bei den Handys hätte Siemens auch einen Erwerber von SEN mit einer beträchtlichen Mitgift bedenken müssen. BenQ Mobile ging ein Jahr nach der Trennung pleite.

Der Umbau von SEN, den der Konzern am Dienstag offiziell bekannt gab, wird die Sparte 6800 ihrer 17.500 Arbeitsplätze kosten. Siemens will selbst 3800 Stellen abbauen, davon 2000 in Deutschland, und zudem alle drei Werke von SEN verkaufen oder in Partnerschaften einbringen. Auch die Callcenter im Ausland und den Direktvertrieb für kleinere und mittlere Systeme im Inland will der Konzern loswerden. Die zum Verkauf stehenden Betriebsteile haben zusammen 3000 Beschäftigte, davon 1200 in Deutschland. Erste Details waren am Wochenende bereits durchgesickert.

"Wir wollen ein voll restrukturiertes Geschäft übergeben", sagte der Finanzchef. Über den Verkauf von SEN werde parallel weiter verhandelt. Nach FTD-Informationen aus Siemens-Kreisen ist der Favorit derzeit der US-Finanzinvestor Cerberus, der auch den US-Autohersteller Chrysler gekauft hatte. Kaeser sagte dazu nur, Siemens strebe für SEN eine strategische Allianz mit einem Wettbewerber oder einen Erwerb durch einen "verlässlichen und erfahrenen Finanzinvestor mit operativer Ausrichtung" an. Wie aus dem Konzern verlautete, waren auch die Rivalen Alcatel-Lucent und Nortel Networks als Käufer im Gespräch. Diese kämpfen aber selbst mit dem verschärften Wettbewerb in der Branche.

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Siemens beginnt jetzt Verhandlungen mit den Arbeitnehmervertretern, um sich auf einen Interessenausgleich zu einigen. Über die Dauer dieser Gespräche wollte Personalvorstand Siegfried Russwurm keine Prognose abgeben. Bayerns IG Metall kritisierte die Streichungspläne als einfallslos: "Bis heute fehlt es an einem offensiven Gesamtkonzept. Nur Personal abbauen und verkaufen ist verantwortungslos." In Deutschland sind betriebsbedingte Kündigungen bis Herbst 2009 ausgeschlossen.

SEN hatte in den vergangenen Jahren den Wandel der Branche zum Teil verschlafen. War früher vor allem Hardware - also Telefonanlagen - gefragt, geht es heute hauptsächlich um Softwarelösungen. Dies ist auch der Grund, wieso die drei Werke in Leipzig, Brasilien und Griechenland veräußert werden sollen. Während Kaeser für das Werk im griechischen Thessaloniki keine Bestandsgarantie abgeben wollte, verneinte er für das Leipziger Telefonwerk mit seinen 530 Mitarbeitern eine Schließung. Die Restrukturierungskosten sollen laut Kaeser im niedrigen dreistelligen Millionenbereich liegen.

Siemens hat in den vergangenen Jahren bei SEN nicht nur die nötigen Kostensenkungen unterlassen, sondern auch Marktanteile eingebüßt. Seit 2005 fiel SEN von 4,9 Prozent auf 4 Prozent zurück - während Marktführer Cisco den Anteil auf 18 Prozent ausbaute. Der Umsatz von SEN schrumpfte im Geschäftsjahr 2007 um rund neun Prozent auf 3,2 Mrd. Euro. Der Verlust vor Steuern wurde von 418 auf 602 Mio. Euro ausgeweitet, wozu laut Kaeser auch Sonderabschreibungen auf die Sachanlagen beitrugen. Ziel der Neuausrichtung ist es laut Siemens, eine starke Nummer zwei auf dem Weltmarkt zu formen. Zuletzt war SEN um einen Platz auf den vierten Rang hinter Konkurrent Avaya zurückgefallen.

SEN könnte ein Vorbote für noch drastischere Kürzungen bei dem Konzern sein. Siemens-Chef Löscher hatte angekündigt, die Verwaltungskosten um 10 bis 20 Prozent senken zu wollen. Was dies für die Arbeitsplätze bedeutet, dazu hatte das Unternehmen bislang geschwiegen.

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Aus der FTD vom 27.02.2008
© 2008 Financial Times Deutschland

 

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