Eine angenehme Umgebung fördert das Studieren, gar keine Frage - aber es gibt auch gute Studienbedingungen, bei denen man nachdenklich wird. Ein Semester auf einem Kreuzfahrtschiff, zum Beispiel. "Wird ein solches Studium wirklich ernst genommen?", fragte sich David Grethen, einer der Deutschen unter den 210 Studenten an Bord. Eine Revolution der universitären Ausbildung? Oder ist es "das, was man hier ,professional suicide‘ nennt?".
Grethens Zweifel sind ein paar Wochen alt und inzwischen verflogen. So viel lassen die Berichte vom Studieren an Bord und an Land erkennen, die Grethen gemeinsam mit seinen Kommilitonen Judith Korth, Martin Michalek und Christian Waloszek im Weblog auf FTD.de veröffentlicht.
Das Schiff ist ein schwimmender Schmelztiegel, 40 Nationalitäten müssen an Bord miteinander auskommen - so wird das Zusammenleben zum Teil der Ausbildung in internationaler Kommunikation. Das Schiff hat mittlerweile den Atlantik hinter sich gelassen und schippert derzeit nach Tahiti, Landaufenthalte in China und Australien sind geplant - viel Ausland in wenig Zeit, und viel Exotik auch beim Lernen auf hoher See. Niemand hat in den modernisierten schwedischen Dampfer aus den 50er-Jahren Hörsäle eingebaut. Die Diskussion über Terrorismus findet an der Bar statt, über Australiens Ureinwohner wird im Kino geredet, und über Stile der Konfliktbewältigung lässt sich auch auf Yoga-Sesseln im Ballsaal philosophieren. Die 200 Mann starke Besatzung tut ihr Übriges für den Komfort.
Jeder der Studenten hat 20.000 Dollar für sein weltumspannendes Semester bezahlt. Rentabel ist das Unischiff auf seiner Jungfernfahrt deswegen allerdings noch nicht, sagt Anders Fosse, der Europa-Koordinator der amerikanischen Organisation: "The Scholar Ship wird sich finanziell tragen", wenn auch vielleicht erst bei der nächsten oder übernächsten Reise.
Derzeit ist nur einer von drei Studienplätzen an Bord tatsächlich besetzt. Finanziell über Wasser gehalten wird das Projekt von Royal Caribbean, dem weltweit zweitgrößten Veranstalter von Kreuzfahrten, der das Schiff bis 2010 gechartert hat. Neben weiteren Studiensemestern im Januar und September 2008 werden zwei- bis viermonatige Englischkurse und wohl auch noch ein Sommerkurs hinzukommen.
Das Programm ist mit seinem internationalen Zuschnitt und seinen akademischen Ambitionen einzigartig. Es gibt nur ein ähnliches Projekt, Semester at Sea, ein US-Unternehmen, das seit den 60er-Jahren knapp 50.000 US-Studenten in langen Studienreisen über die Weltmeere geschickt hat.
Die Mannschaft des Scholar Ship kooperiert mit international bekannten Institutionen wie der University of California in Berkeley, um die Zeit auf dem Schiff und die Zeit im Hafen in das Raster von Studiengängen einzupassen. Die Praxis an Land - Interviews mit Kindern in Ecuador, oder ein Blick darauf, was Ökotourismus den Ureinwohnern in Panama bringt - werden im Rahmen des eng gestrickten Stundenplanes auf hoher See vor- und nachbereitet. Fünf Hochschulen aus der ganzen Welt, darunter die Macquarie University in Australien und die Hochschule Pforzheim, bieten die Anerkennung eines Semesters auf dem Scholar Ship für diverse Masterstudiengänge wie MBA oder International Relations an.
Das Lernpensum orientiert sich mit geschätzten 100 Seiten Lektüre am Tag eher an amerikanischen als an deutschen Universitäten, betreut werden die Studenten von rund 60 Dozenten. Einer von ihnen, Ravinder Bathia, ehemals Forscher bei der europäischen Raumfahrtagentur Esa, leitet sogar ein kleines Forschungsprogramm, das sich an Bord mit Meeres- und Ozeanforschung beschäftigt und an Land sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Projekte mit Partneruniversitäten umsetzt.
Diese Professionalität sorgt bei den Studenten mittlerweile für das Gefühl, bei allem Kreuzfahrtkomfort trotzdem etwas Ernsthaftes zu studieren. "Ich fühle mich als Teil von etwas Größerem", schreibt Grethen im Weblog.
FTD.de, 25.10.2007
© 2007 Financial Times Deutschland, © Illustration: Carnival
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