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20 Funktionelle Lebensmittel - mehr Schein als Sein?
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20/01
16. August 2001

Die Lebensmittelchemische Gesellschaft, Fachgruppe in der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh), und die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) haben am 16. August 2001 in München Stellung bezogen zu den gerechtfertigten oder unbegründeten Erwartungen, erwiesenen oder umstrittenen Wirkungen und Risiken funktioneller Lebensmittel. Sie kommen zu dem Schluss, dass viele Werbebehauptungen, die in diesem Zusammenhang bei Lebensmitteln gemacht werden, noch völlig unzureichend wissenschaftlich belegt sind. Dadurch werden viele falsche oder zumindest übertriebene Erwartungen geweckt.

Das Ernährungsbewusstsein sowie das Ernährungsverhalten hat sich in den letzten Jahren in der deutschen Bevölkerung deutlich verändert. Während früher der Nährstoffversorgung (Proteine, essenzielle Fettsäuren, Vitamine, Mineralstoffe) und möglichen Belastungen der Lebensmittel (Schadstoffe, Rückstände) das Hauptinteresse galt, treten heute andere gesundheitsorientierte Ernährungsweisen immer mehr in den Vordergrund. Sekundäre Inhaltsstoffe werden im Bewusstsein der Verbraucher immer stärker zu wertgebenden Bestandteilen der Nahrung. Diese bioaktiven Minorbestandteile der Lebensmittel sollen präventive Wirkungen entfalten, die das Risiko für bestimmte Krankheiten senken.

Einer Vielzahl von einzelnen Stoffen, aber auch Stoffgruppen mit mehreren tausend Inhaltsstoffen (z. B. Flavonoide) werden zur Zeit in den Medien des öfteren pauschal positive Gesundheitseffekte nachgesagt. Wissenschaftliche Beweise fehlen aber häufig noch. Um sie zu erhalten, wird ein Spektrum von Methodiken genutzt, die je nach Fragestellung allein oder in Kombination angewendet werden müssen. Am Beginn steht die Epidemiologie, die zwar traditionell für den Nachweis krankheitsauslösender Faktoren genutzt wird, aber umgekehrt ebenso gesundheitsfördernde Effekte belegen kann. So liefern wissenschaftlich korrekt durchgeführte epidemiologische Studien wertvolle Hinweise zum Einfluss eines Lebensmittelinhaltsstoffes auf die Senkung eines Erkrankungsrisikos.

Aber auch mit derartigen Studien können biologische Zusammenhänge in der Wirkung nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden. Das erfordert vielmehr Forschungen auf den Gebieten der Biochemie und der Physiologie.

Verzehrsstudien zum sicheren Beweis der Verringerung eines Erkrankungsrisikos sind prinzipiell sehr langwierig, Ergebnisse sollen aber möglichst schnell vorliegen. Ein eleganter Ausweg ist der Nachweis positiver Effekte mit Hilfe von Biomarkern. Das sind körpereigene Stoffe wie beispielsweise Cholesterin, die Krankheiten oder Erkrankungsgefährdungen anzeigen. Die Auswahl geeigneter Biomarker ist häufig schwierig, zudem sollten sicherheitshalber mehrere beobachtet werden. Die Forschungen auf diesem Gebiet stehen erst am Anfang und sollten möglichst rasch intensiviert werden. Biomarker haben nämlich den großen Vorteil, bereits in den einfacheren in-vitro-Versuchen (Modellversuchen) gute Hinweise auf Wirkungen geben zu können. Anschließende in-vivo-Versuche sind jedoch in jedem Fall unerlässlich. Biomarker werden wohl in absehbarer Zeit die klassischen Interventionsstudien nicht völlig ersetzen, aber deren Zahl für einen hinreichenden Nachweis einer gesundheitsfördernden Wirkung reduzieren können.

Ist die positive Wirksamkeit eines Lebensmittelinhaltsstoffes festgestellt, muss für eine konkrete Verzehrsempfehlung noch die notwendige Aufnahmemenge ermittelt werden. Sie ergibt sich aus der Differenz von optimaler Bedarfsdeckung und bisherigem Versorgungszustand durch die übliche Ernährung und ist je nach Alter, Geschlecht und auch besonderen physiologischen Umständen unterschiedlich. Tatsächlich sind gesicherte Daten über die notwendigen Mengen nur für ganz wenige und zumeist klassische Nährstoffe verfügbar. Das liegt vor allem daran, dass Beobachtungen an Bakterien, Zellkulturen oder bei Tierversuchen nicht ausreichen, um für Menschen relevante Aussagen zu machen. Auch auf diesem ernährungswissenschaftlichen Gebiet besteht also dringender Forschungsbedarf.

Bei allen Studien über die Wirksamkeit von Lebensmittelinhaltsstoffen ist stets zu berücksichtigen, dass die Ergebnisse nur für das Lebensmittel gelten, mit dem der Inhaltsstoff verzehrt wurde. Nicht ein Stoff als solcher ist wirksam, sondern das verzehrte Produkt. Daher sind Ergebnisse von Verzehrsstudien nicht ohne weiteres auf andere Lebensmittel mit dem selben Inhaltsstoff übertragbar. Es bestehen häufig Wechselwirkungen mit den weiteren Inhaltsstoffen. Auch werden die Lebensmittel oft mit unterschiedlichen technologischen Verfahren produziert, was wiederum einen Einfluss auf die Verfügbarkeit und Wirksamkeit des gewünschten Stoffes haben kann. Bei naturidentischen, chemisch synthetisierten Stoffen oder auch bei solchen, die mit aufwändigen Isolierungs- und Reinigungsschritten hergestellt werden, ist darüber hinaus eine neue Bewertung durchzuführen, wenn sich das Herstellungsverfahren geändert hat. Denn Verfahrensänderungen können ein völlig anderes Begleitstoffprofil bewirken und Begleitstoffe sind häufig, teilweise in niedrigsten Konzentrationen, die eigentlich wirksamen Faktoren.

Neben den Forschungsarbeiten zum Nachweis von biochemischen Mechanismen und wirksamen Mengen gesundheitsfördernder Lebensmittelinhaltsstoffe sind Untersuchungen möglicher toxischer Wirkungen dieser Stoffe von gleich großer Bedeutung. Jede Substanz kann prinzipiell toxisch sein, es ist allein eine Frage der Menge und des Zielorganismus. Eine finnische Studie hat gezeigt, dass größere Mengen des Provitamins β-Carotin zumindest bei Rauchern das Krebsrisiko erhöhen, vermutlich durch die in höheren Konzentrationen prooxidative Wirkung. Das zeigt, dass jegliche deutlich über die üblichen Verzehrsmengen hinausgehende Zufuhr eines Stoffes einer toxikologischen Prüfung bedarf.

Die Toxikologie kann auf Konzepte zur Ermittlung der notwendigen Daten (Schwellendosis, duldbare Tagesaufnahme, akzeptables Risiko) für akute und chronische Wirkungen zurückgreifen. Allerdings werden diese Methoden üblicherweise bei Einzelsubstanzen angewendet, während bei den Lebensmittelinhaltsstoffen häufig komplexe Stoffgruppen wechselnder Zusammensetzung (z. B. Flavonoide, konjugierte Linolsäuren) untersucht werden müssen. Genauere Untersuchungen zur Toxizität sind bei solchen Gemischen nur mit Leitsubstanzen durchführbar, ähnlich wie bei Kontaminanten (z. B. PCBs, Dioxine). Darüber hinaus kann man sich bei toxikologischen Prüfungen auch nur auf die Substanzen oder Gemische als solche konzentrieren.

Bei funktionellen Lebensmittelinhaltsstoffen greift auch das Lebensmittelrecht. Der Zusatz oder schon eine wirksame Anwesenheit derartiger Stoffe soll auf dem Etikett möglichst werbend herausgestellt werden. Die Möglichkeiten dazu sind jedoch nach derzeitiger Rechtslage stark eingeschränkt. Zum einen verbietet das Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz (LMBG) wissenschaftlich nicht hinreichend gesicherte Werbebehauptungen. Zum anderen ist nach LMBG jegliche krankheitsbezogene Aussage in der Werbung nicht erlaubt. Während das erste Verbot im Interesse eines lauteren Handels selbstverständlich erscheint, macht das letztere werbende, wahre Aussagen über krankheitsvorbeugende Wirkungen auf dem Etikett nahezu unmöglich. Im Interesse einer verbesserten Gesundheitsaufklärung sollte es daher unter bestimmten Voraussetzungen gelockert werden.

Selbstverständlich dürfen auch zukünftig nur wahre Aussagen zulässig sein. Daher sollte ein Hersteller, der eine entsprechende Werbung vornehmen will, seine Aussagen durch eine Dokumentation für sein konkretes Produkt belegen können. Mit steigendem Grad an Konkretheit der Werbeaussagen müssen dann auch die Nachweise entsprechend konkret sein. Dies kann bis zur Notwendigkeit der Vorlage von Ergebnissen geeigneter Verzehrsstudien mit seinem speziellen Produkt führen. Sollten nun von den Überwachungsbehörden Zweifel an der Richtigkeit einer Aussage bestehen, können sie die zugehörige Dokumentation prüfen bzw. prüfen lassen.

Ergänzend wäre es für eine verbesserte Rechtssicherheit der Hersteller sinnvoll, eine Möglichkeit zur freiwilligen Vorab-Prüfung ihrer Dokumentation einzurichten. Dies hätte den Vorteil, dass die Richtigkeit und Zulässigkeit von Werbeaussagen frühzeitig bestätigt würde und bundesweit unbeanstandet bliebe.

Empfehlungen

Die Lebensmittelchemische Gesellschaft (LChG), Fachgruppe in der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh), und die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) richten gemeinsam die nachfolgenden Empfehlungen an die verantwortlichen Personen in Politik und Verwaltung, aber auch Lebensmittelwirtschaft und Wissenschaft.

  1. Ein verändertes Ernährungsbewusstsein in der Bevölkerung erfordert verstärkte wissenschaftliche Forschungsarbeiten hinsichtlich der Wirkung von sekundären Lebensmittelinhaltsstoffen und damit auch eine Intensivierung der entsprechenden Forschungsförderung. Diese Forschung muss interdisziplinär angelegt sein und mindestens die Felder Epidemiologie, Ernährungsmedizin, Ernährungswissenschaft, Lebensmittelanalytik, Lebensmitteltechnologie und Toxikologie berücksichtigen.
  2. Ziel der Forschungen muss die Ermittlung der Wirkungsweise sowie der gesundheitsfördernden Menge eines Stoffes mit einer entsprechenden Verzehrsempfehlung sein, aber ebenfalls die Abklärung gesundheitlicher Risiken bei einer erhöhten Zufuhr dieses Stoffes. Dabei ist auch möglichen Wechselwirkungen aufgrund seiner jeweiligen Verzehrsform sowie den Einflüssen durch technologische Verfahren besondere Aufmerksamkeit zu widmen.
  3. Aufgrund der häufig auf dem Lebensmittelmarkt anzutreffenden übertriebenen Wirkungsbehauptungen für zahlreiche Lebensmittelinhaltsstoffe sollten die bestehenden Programme zur Ernährungsaufklärung (z. B. "Talking Food") entsprechend ergänzt bzw. eigene Programme eingerichtet werden. DGE und LChG bieten dazu ihre Mitarbeit an.
  4. Zur sachgerechten Information des interessierten und verständigen Verbrauchers sollten Hinweise auf gesundheitsfördernde Wirkungen von Inhaltsstoffen in der Etikettierung von Lebensmitteln ermöglicht werden. Dazu sind die rechtlichen Voraussetzungen durch Novellierung des Artikels 2 der Richtlinie 2000/13/EG bzw. des § 18 des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes zu schaffen.
  5. Hinweise auf gesundheitsfördernde Wirkungen dürfen jedoch den Verbraucher nicht irreführen und müssen wissenschaftlich hinreichend gesichert sein. Aufgrund der Komplexizität der Fälle sind allgemeine Wirkungsbestätigungen für sekundäre Inhaltsstoffe in der Regel nicht möglich. Daher sollte der Hersteller eines Produktes verpflichtet werden, die Richtigkeit konkreter, positiver Wirkungsaussagen mit entsprechendem Material (wissenschaftliche Veröffentlichungen, ggfs. auch Studien) für sein spezielles Produkt belegen zukönnen. Dies gilt für funktionsfördernde Aussagen ebenso wie für solche über die Minderung des Risikos für eine bestimmte Erkrankung. Bei der Bewertung des Materials ist wissenschaftlicher Sachverstand unverzichtbar und regelmäßig hinzuzuziehen.
  6. Ein Hersteller sollte die Möglichkeit erhalten, sich freiwillig und auf eigene Initiative bestätigen zu lassen, dass die von ihm zusammengestellten Unterlagen für einen wissenschaftlich hinreichend gesicherten Nachweis der Richtigkeit einer Wirkungsbehauptung ausreichend sind. Eine solche Bestätigung sollte vorzugsweise bundesweit gelten und daher von einer zentralen wissenschaftlichen Einrichtung wie dem Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin ausgestellt werden.

16. August 2001



Letzte Änderung: GCHOE, 07.11.2007


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