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31 Nachhaltigkeit durch ressourcenschonende Chemie: Mit Verbundstrategien zum Erfolg
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24. September 2001

Die Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) hat ihre Mitglieder mit ihrem Verhaltenskodex auf eine "nachhaltige und dauerfähige Entwicklung in Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt" verpflichtet. Auf der GDCh-Jahrestagung Chemie 2001 vom 23. bis 29. September in Würzburg hob der Chemiker Dr. Hermann Pütter (BASF AG) hervor, dass sich die chemische Industrie in Deutschland zu einer nachhaltigen Entwicklung im Sinne der UN-Konferenz von Rio bekenne und sich ehrgeizige Ziele gesetzt habe. Er nannte zahlreiche Beispiele, die das belegen. So hat die chemische Industrie ihre CO2-Emissionen im Vergleich zu 1990 um ein Viertel gesenkt und wird diese Senkung energisch weiter voran treiben.

Die chemische Forschung berücksichtigt zunehmend die Regeln der "Green Chemistry" bei der Entwicklung ressourcenschonender Synthesen. Zum ressourcenschonenden Handwerkszeug der Chemie gehören:

§ vielfältige Methoden im Grenzgebiet zwischen Biologie und Chemie
§ katalytische Verfahren für die Rohstoffverarbeitung bis hin zur Wirkstoffsynthese
§ elektrochemische Verfahren in Synthese, Energieumwandlung und Speicherung
§ verfeinerte analytische Methoden zur effizienten Prozesssteuerung
§ Technologien zur Wiederverwendung von Abfallströmen
§ Strategien zum Ausbau unserer Basis an nachwachsenden Rohstoffen.

Mit der daraus resultierenden Palette von Werkstoffen, Wirkstoffen und Dienstleistungen trägt die Chemie dazu bei, dass der Lebensstil aller Gesellschaftsformen weltweit im Sinne der Agenda 21 nachhaltiger gestaltet werden kann. Die "klassischen" Beiträge der Chemie zur Trinkwasser- und Lebensmittelversorgung, im Gesundheitswesen, im Hausbau, für Information und Mobilität durchdringen schon heute alle Bereiche des modernen Lebens. In den vergangenen Jahrzehnten wurden die Umweltbelastungen chemischer Produktionsverfahren gesenkt und die Gefahren im Umgang mit den Produkten aus der Chemie minimiert. Die neue Fragestellung lautet, wie wir den Energie- und Stoffeinsatz unserer Prozesse bis an die Grenze des thermodynamisch und stöchiometrisch Möglichen treiben können. Obwohl diese Thematik ebensowenig wie der Gedanke einer nachhaltigen Wirtschaftsweise eine Erfindung der letzten Jahre ist, zeigt die Bündelung unserer Anstrengungen hier erste Erfolge.

Das bewusste Zusammenführen aller Ideen und Ressourcen mit dem Ziel, besonders ressourcenschonende Lösungen zu finden, entwickelt sich zu einer neuen Disziplin. Sie hat die Chance, keinen englischen sondern einen deutschen Namen zu tragen: Sie nennt sich Verbund. Einige Beispiele:
§ Neue Verfahrensvarianten senken den Stoffeinsatz und die Nebenproduktbildung. So wird TMP (Trimethylolpropan) in einer Neuanlage ohne den bisher üblichen Salzanfall und mit deutlich geringeren Einsatzstoffmengen erzeugt. TMP ist ein bedeutendes Vorprodukt für verschiedene Kunststoffe.
§ Ideen, die bisher nur im Labor verwirklicht werden konnten, werden in die Technik umgesetzt. So hat der alte Traum der Elektrochemiker, gleichzeitig Anode und Kathode für Elektrosynthesen zu nutzen, zu einem ersten Verfahren geführt. Diese doppelte Nutzung von Strom profitiert vom Verbundsystem eines großen Chemiestandortes.
§ In Deutschland und Japan arbeiten mehrere Industriepartner an einer Revolution in der Chloralkalielektrolyse, die den Energieverbrauch um ein Drittel senken wird. Dieses auf den ersten Blick thermodynamisch unmöglich erscheinende Projekt nutzt eine neue Klasse von Elektroden, mit denen Sauerstoff unter Normalbedingungen zu Wasser reduziert werden kann. In Deutschland konnte diese Entwicklung erstmalig technisch im großen Stil realisiert werden.
§ Die Brennstoffzelle ist aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht. Neue Werkstoffe und Katalysatoren machen sie wirtschaftlich und effizient. Sie wird als dezentrale stationäre Einheit schon bald eine Rolle im Verbund der nationalen Energieversorgung in vielen Industrieländern spielen.
§ Für die Brennstoffzelle muß Wasserstoff effizient bereit gestellt werden. Dies kann aus fossilen Rohstoffen oder aus Biomasse geschehen. Für die Herstellung werden neue Membranen, neue Enzymsysteme und neue Katalysatoren entwickelt.
§ Das Speichern von Energie mit Hilfe von Batterien erlebt derzeit eine dramatische Entwicklung. In wenigen Jahren werden jährlich zehn Batterien pro Erdenbürger produziert. Die Chemie für diese Batteriesysteme ist ebenso vielfältig wie ihre Einsatzbereiche. Die Größenunterschiede moderner Batterien überstreichen mehr als 6 Zehnerpotenzen. Die größten Batteriesysteme puffern mittlerweile in Japan und England lokale Stromnetze ab.
§ Als Membranen und Katalysatoren interessant sind Solid State Ionics, keramische Stoffe mit Elektronen- oder Ionenleitfähigkeit. Zur Herstellung dieser Stoffe werden neue chemische Techniken herangezogen, wie das Sol-Gel-Verfahren, bei dem Metallalkoholate einer gezielten Hydrolyse unterworfen werden, bevor die eigentliche thermische Formatierung einsetzt.
§ Im Bereich der Herstellung und Charakterisierung von Nanopartikeln verzeichnen sowohl die wissenschaftliche wie auch die Patentliteratur grundsätzlich neue Vorschläge. Anwendungen werden in so unterschiedlichen Gebieten wie Sensorik, Photokatalyse, Informations- und Energiespeicherung gesehen.
§ Viele Methoden der Oberflächenvergütung nutzen chemische Vorgänge im Temperaturbereich weit über 1000°C. Beispielsweise haben europäische Forschungseinrichtungen auf diese Weise dotierte Diamantschichten entwickelt, die nicht nur äußerst stabil sondern auch elektrisch leitfähig sind.
§ Überkritische Gase und ionische Flüssigkeiten bilden als neue Reaktionsmedien ein wichtiges Forschungsgebiet der Nachhaltigen Chemie und erleben bereits erste technische Anwendungen. Was auf den ersten Blick vielleicht nur wie eine Optimierung des Technologiepotentials innerhalb der Welt der Chemie aussieht, entfaltet auch eine dramatische Hebelwirkung zum Vorteil aller Nutzer chemischer Vorgänge:
§ Neue Hilfstoffe, in geringen Mengen angewendet, können den Energiebedarf für Baustoffe, wie Lehmziegel, drastisch senken.
§ Die intelligente Modifikation von Dämmstoffen steigert die Energiespareffekte für die Klimatisierung von Wohnräumen.
§ Neue Erkenntnisse zu Korrosionsvorgängen führen zu neuen Korrosionsschutzkonzepten.
§ Neu entwickelte Chemikalien, neue dezentrale chemische Prozesse oder neue Applikationen klassischer Chemikalien können den Wasserbedarf bzw. die Abwasserbelastung von Papierfabriken, Galvanikbetrieben oder Textilfärbereien deutlich reduzieren. Dies nützt häufig wasserarmen Gegenden, in denen eine zunehmende Industrialisierung und eine wachsende Stadtbevölkerung mit der Landwirtschaft um das knappe Süßwasser konkurrieren.

Die letzte Situation ist beispielhaft für die Herausforderung von Rio: Wirtschaftliche, ökologische und soziale Interessen bilden oft eine kaum zu entwirrende Problemstruktur. Eine ressourcenschonende Chemie kann sich deshalb nicht auf das Expertenwissen der Synthetiker, Analytiker, Verfahrensfachleute etc. zurückziehen. Auch die brillianteste Chemie im Labor muß noch keinen Durchbruch außerhalb unserer Forschungsstrukturen bedeuten. Sie wird scheitern, wenn sie nicht den Verbund mit allen Akteuren und Betroffenen ihres Umfeldes sucht.



Letzte Änderung: GCHOE, 07.11.2007


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